Blöd gelaufen: Urteil ging nach hinten los

Von einer Entscheidung des Landessozialgerichts war der Anwalt der Klägerin überrascht: Er wollte mehr Geld für Hartz-IV-Empfänger – die Richter weniger.

Wenn es Falschgeld wäre, könnte man es wenigstens verheizen. Bild: dpa

Dieses Ergebnis hat er nicht gewollt: Sebastian Leonhard ist der Anwalt der Hartz-IV-Empfängerin, deren Klage vor einer Woche zu einem überraschenden Urteil des Landessozialgerichtes führte. Demzufolge ist der Senat zu großzügig mit den Heizkosten für die 303.000 Berliner Haushalte, denen der Staat die Kosten für Heizung und Unterkunft zahlt (taz berichtete). Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig, der Senat kann noch vor das Bundessozialgericht ziehen.

Das Urteil ist Ergebnis einer neuen Prozessmöglichkeit. Bis zum Jahr 2010 konnte ein Hartz-IV-Empfänger nur seinen eigenen einzelnen Fall vor Gericht überprüfen lassen. Eine Verschlechterung war dabei nicht möglich, sondern nur eine Abweisung der Klage oder eine Verbesserung: Wenn der Kläger Recht bekam, erhielt er fortan mehr Geld vom Amt – aber nur er. Das Urteil war für andere Jobcenter und Empfänger nicht bindend.

Doch zum Jahresbeginn 2011 führte die schwarz-gelbe Koalition auf Bundesebene eine neue Normenkontrollklage ein für die Bestimmungen, mit denen Kommunen oder Bundesländer festlegen, wie teuer Hartz-IV-Empfänger vor Ort wohnen und heizen dürfen. Geprüft wird grundsätzlich nicht der Einzelfall, sondern die ganze Regelung.

Anwalt Leonhard hatte nicht wegen der Heizkosten geklagt. „Der Kernstreitpunkt war von unserer Seite, ob der Senat bei den Wohnkosten einfach nur die Werte aus dem Mietspiegel abschreiben darf, die mehrere Jahre alt sind, ohne die Preissteigerungen seither zu berücksichtigen.“ Wenn das Gericht dieser Argumentation gefolgt wäre, hätte der Senat die Werte anheben müssen.

Das Gericht hat dann aber einen anderen Punkt gefunden: Bei der Frage, welche Heizkosten vom Jobcenter gezahlt werden, hat der Senat die Zahlen aus dem bundesweiten Heizkostenspiegel übernommen. Darin werden die Heizkosten von Gebäuden verglichen und dann in vier Kategorien eingeteilt: „niedrig“, „mittel“, „erhöht“ und „zu hoch“. Der Senat übernimmt die Zahlen aus der Kategorie „zu hoch“. Damit werde die Verschwendung zum Grundsatz gemacht, meinen die Richter.

Für Anwalt Leonhard heißt das nicht, dass er mit seiner ursprünglichen Argumentation gescheitert ist – denn darauf seien die Richter aus Bequemlichkeit gar nicht eingegangen, sagt er. „Für das Gericht ist es prozessökonomisch, nur den ersten Punkt zu nehmen, der für die Unwirksamkeit der Verordnung reicht, und nicht jedes Detail zu prüfen.“ Bei einem weiteren Anlauf könnte es also doch noch klappen, meint er.

Sozialsenator Mario Czaja (CDU) möchte erst abwarten, bis die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. Dann werde er entscheiden, ob er in Revision geht, auch wenn er schon dazu neige: „Wir sind daran interessiert, die Verordnung höchstrichterlich prüfen zu lassen“, sagte er nach der Urteilsverkündung. Bis ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, gilt die bisherige Regelung zu den Heizkosten.

In Kürze soll allerdings der neue Mietspiegel veröffentlicht werden. Weil die Mieten weiter gestiegen sind, werden in der Folge auch die erlaubten Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger angehoben. Derzeit zahlt der Staat 1,4 Milliarden Euro pro Jahr an Miete und Nebenkosten für bedürftige Berliner.

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