Blühendes Geschäft mit KI-Musik: Neues aus der zwielichtigen Zone
Weil auf Tiktok und im Streaming so gut wie alles geht, gibt es jetzt auch Countrysongs mit pornografischen Texten. Generiert hat sie eine KI.

K ieran Press-Reynolds berichtete unlängst in seiner lesenswerten Kolumne „Rabbit Holed“ im US-Internetmagazin Pitchfork, dass seit einiger Zeit KI-generierte Country-Songs mit pornografischen Texten seine Tiktok-Timeline fluteten. Als alter Country-Fan und in der Hoffnung, hier Anhaltspunkte über die psychische Verfasstheit der MAGA-Welt zu finden, habe ich mir das mal genauer angesehen.
Die zwielichtige Zone, in der sich Pornografie und Pipi-Kaka-Humor treffen, hatte bislang keinen leichten Stand in der Popmusik, schließlich wird es schwierig, in die Charts zu kommen mit Songs, die nicht im Radio gespielt und höchstens unterm Ladentisch verkauft werden können.
Andererseits ist die Zielgruppe von Popmusik ein eher junges Publikum, das von solchen Tabuzonen gemeinhin besonders angezogen wird. Und so gab es doch immer wieder mal Künstler*innen, die sich dieser Themen annahmen, ich nenne mal den US-Rapper Blowfly, Wilma Fingerdoo und Lloydie & The Lowbites. Wer tiefer einsteigen möchte, möge mit diesen Namen die Recherche beginnen.
Wer es gern deutschsprachig hat, sollte sich mit den Veröffentlichungen des „Schlüsselloch“-Labels beschäftigen. Seit jedoch Hiphop vorangeprescht ist und man unter dem Schutz von „Parental Advisory“ so gut wie alles singen darf, ist das alles selbst für den nervolabilsten Teenager nicht mehr aufregend.
Früher galt: bitte keine Geschlechtsteile
Es gibt aber auch Genres, die sauber geblieben sind. Country beispielsweise. Über ein paar zotige Doppeldeutigkeiten ging es dort eigentlich nie hinaus. Das ist insofern erstaunlich, als Country-Textdichter*innen ansonsten nichts Menschliches fremd ist und etwa Alkoholismus, Polyarmorie oder die Lust am Morden mit viel Empathie in den Songtexten verhandelt werden. Aber bitte keine Geschlechtsteile, sexuelle Praktiken oder Körperflüssigkeiten.
Selbst wilde Outlaws übten lieber Selbstzensur, als sich Ärger mit dem konservativ-religiös geprägten Publikum einzuhandeln. KIs ist das egal, auf Tiktok und in den Streaming-Diensten geht so gut wie alles, und deswegen wurde diese Lücke geschlossen. Da singt nun in „Country Girls Make Do“ eine weibliche KI-Stimme über die Freuden der Masturbation mittels Maiskolben, und in „Cornbread Creek“ beichtet eine männliche KI einen „versehentlichen“ Analakt mit dem Best-Buddy.
Über die MAGA-Welt lernt man indes wenig, Songs und Ideen dahinter wirken eher wie aus der Prä-MAGA-Welt: ein augenzwinkernder Versuch, „Spießer“ zu schockieren, ersonnen in einer urbanen, liberalen Collegewelt.
Das Œuvre von SuS Records aus Philadelphia
Auf Tiktok finden sich zu den Songs wohl ebenfalls KI-generierte Videos, in denen diese vermeintlichen Spießereltern vorgespielt werden, die darauf mehr oder weniger entsetzt reagieren. Recherchiert man weiter, stößt man auf das Œuvre von SuS Records aus Philadelphia, das sich unter dem Motto: „Bringing back the songs that never were“ darauf spezialisiert hat, versaute Songs im Stile des 1940er Jahre R&B und des 1970er Softpop produzieren zu lassen.
Auf der Bandcamp-Seite bietet man 229 digitale Songs für je einen US-Dollar feil. Beats by AI, Produzent der oben genannten Countrysongs, hat 600.000 monatliche Hörer bei Spotify. Hier blüht also das Geschäft.
Interessanteste Erkenntnis aber: Die musikalische Qualität ist mitunter erstaunlich. Angesichts der Beats-by-AI-Kreationen staunt auch Kieran Press-Reynolds, wie bis ins Detail menschlich die Gesangsdarbietungen klingen. Bei den SuS-Softpopsongs überzeugen auch die Kompositionen. Musikalisch ist das nicht mehr sooo weit weg von Carole King und Kenny Loggins. Das KI-generierte nächste „Pet Sounds“ scheint auf einmal vorstellbar.
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