Blutpass in der Leichtathletik: Eine Frage des Profils

Der Leichtathletik-Weltverband fühlt sich zu Unrecht attackiert. Der biologische Pass habe funktioniert. Wirklich?

Beine von Läufern auf einer Sandbahn

Athleten aus Kenia beim Training für die Weltmeisterschaft in Peking. Foto: reuters

Sebastian Coe hat den absoluten Ausnahmezustand erklärt. Der stellvertretende Chef des Leichtathletikweltverbands (IAAF) bezeichnete die jüngsten Doping-Enthüllungen der ARD und Sunday Times als „Kriegserklärung an meinen Sport“ und als Angriff auf die Integrität des Antidopingkampfs seines Verbandes. Seine harschen Worte sind zugleich Programm. Schließlich will der einstige britische Weltklasseleichtathlet sich Ende August in Peking zum Präsidenten des Weltverbands wählen lassen.

Auch die IAAF wies am Dienstagabend die Berichte als „sensationslüstern und konfus“ zurück und drohte den Urhebern mit rechtlichen Konsequenzen. Dem ARD-Redakteur Hajo Seppelt war anonym ein Datensatz mit 12.000 Bluttests von rund 5.000 professionellen Leichtathleten zugespielt worden, die im Zeitraum von 2001 bis 2012 erhoben wurden.

Eine Auswertung ergab, dass jeder siebte Sportler verdächtige Blutwerte aufweist, bei den Großereignissen sogar jeder dritte Medaillengewinner in Ausdauersportarten. In den meisten Fällen habe die IAAF trotz dieser Kenntnisse aber nichts unternommen, behauptet Seppelt.

Von letzterem Vorwurf fühlen sich die Funktionäre des Weltverbands hart und zu Unrecht getroffen. Folgt man der Erklärung des IAAF vom Dienstag, dann müsste der Verband für seine Pionierleistung im Antidopingkampf ausgezeichnet werden. Nach der Einführung des biologischen Athletenpasses habe man mehr dopende Sportler aus dem Verkehr gezogen als alle anderen Sportverbände und nationale Antidoping-Agenturen zusammen. Zudem verwies die IAAF darauf, man habe bereits 2011 selbst eine Untersuchung zur Verbreitung des Dopings unterstützt, die bereits offenlegte, dass jeder siebte Bluttest dopingverdächtig ausfiel.

Nicht vollkommen untätig

In der Tat wurde im Clinical Chemistry, einem amerikanischen Fachjournal, diese Untersuchung auch veröffentlicht. Journalist Seppelt weist aber auf den geringen Verbreitungsgrad der Studie, die fehlenden Rohdaten und insbesondere auf die fehlende Aufschlüsselung bezüglich der dopingverdächtigen Medaillengewinner hin.

Vollkommen untätig war die IAAF jedenfalls nicht: Seit 2009 gibt es in diesem Verband den biologischen Pass, in dem Blutwerte eingetragen werden, aber auch das Steroidprofil und der Hormonstatus. Der Verband nutzte den Pass immer wieder, um Athleten wegen auffälliger Abweichungen zu sperren: Goumri aus Marokko, die Griechin Kokkinaríou, Erdogan aus der Türkei, die Russinnen Kljuka, Julamanowa, Abitowa und Zinurowa wurden im Jahr 2012 gesperrt; als erster Leichtathlet war im Mai 2012 der portugiesische Marathonläufer Ornelas Helder auf Grundlage des Passes gesperrt worden.

Die IAAF ließ im Mai 2013 verlautbaren, dass sie insgesamt 19 Sportler wegen Auffälligkeiten im biologischen Pass für zwei oder vier Jahre gesperrt habe. Gegen mindestens 17 weitere Athleten wurde 2013 nach Unregelmäßigkeiten eine Ermittlung eingeleitet. In diesem Jahr wurde der katarische Mittelstreckenläufer Hamza Driouch, ein ehemaliger Juniorenweltmeister, gesperrt.

Extrem hohe Durchschnittswerte

Mindestens vier oder fünf Blut- und Urinproben im Jahr sind notwendig, um aussagekräftige Profile zu erstellen. Dabei wird jeweils ein Mittelwert errechnet, sogenannte „individuelle Referenzgrenzen“. Kommt es zu signifikanten Abweichungen, die über ein statistisches Modell, den Satz von Bayes, errechnet werden, dann müssen drei Experten, zumeist Endokrinologen und Hämatologen, unabhängig voneinander zum gleichen Ergebnis kommen: Doping oder nicht. Erst dann wird sanktioniert.

Die im Pass erfassten Durchschnittswerte der Spitzensportler allerdings sind schon für sich genommen sehr hoch, wie Anne Jakob-Milica der taz bestätigt: „Die Werte sind zum Teil extrem hoch, wir Normalbürger würden da wahrscheinlich umfallen“, sagt sie. Jakob-Milica sitzt in der juristischen Kommission des Leichtathletik-Weltverbandes und hat bei den Weltmeisterschaften 2011 in Daegu und 2009 in Berlin die Dopingkontrollen organisiert. Von vielen Athleten könne überhaupt kein vernünftiger Pass erstellt werden, weil es zu wenige Daten gibt. Sie nennt Kenia und die Türkei als Negativbeispiele.

Aber es gibt noch viel mehr Länder, wo Antidopingkampf ein Fremdwort ist. „Uns sind oft die Hände gebunden“, sagt die Juristin. „Wir auf dem unteren Level [der IAAF] bemühen uns ja total, aber es bleibt dann oben oft stecken.“Kritik kommt bei den oberen Funktionären ohnehin nicht gut an. „Man erleidet persönliche Nachteile oder ist der Buhmann, wenn man sich zu offensiv gegen den Verband äußert.“

Auch der ARD-Redakteur Hajo Seppelt wurde während seiner Recherche massiv unter Druck gesetzt. Die IAAF wollte die Veröffentlichung gewisser Informationen verhindern. Zweimal wurde ihm von einer Hamburger Kanzlei eine Unterlassungserklärung zugesandt. Selbst Clemens Prokop, der Präsident des deutschen Leichtathletikverbandes, der dem Weltverband die Etablierung eines deutlich verbesserten Kontrollsystems in den letzten Jahren zugutehält, bezeichnet das als „unklug“. Zuvor hat die IAAF noch etwas moderater versucht, die Lage zu kontrollieren. Seppelt stellt das so dar: „Vor meinen Auftritten bei internationalen Konferenzen in London und Lausanne erklärten sie mir, sie wären mir sehr verbunden, wenn ich ihnen mitteilen könne, was ich denn präsentieren wolle.“

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