Bolsonaro und die Pandemie: Im Fahrwasser von Corona

Brasiliens Präsident ist so populär wie seit seinem Amtsantritt nicht mehr. Und das, obschon das Land in einer tiefen wirtschaftlichen Krise steckt.

olsonaro spielt an einem Brunnen lächelnd mit dem Wasser

Jair Bolsonaro trägt die Maske unterm Kinn, damit man ihn lächeln sieht Foto: Alan Santos/dpa

Mit mehr als 110.000 Toten und 3 Millionen Infizierten versinkt Brasilien im Coronachaos. Verantwortlich ist dafür vor allem ein Mann: Präsident Jair Bolsonaro. Er nennt das Virus eine „kleine Grippe“, verspottet Kranke und wettert gegen Isolationsmaßnahmen, die von den Landesregierungen verhängt wurden. Er mischt sich ohne Maske in Menschenmengen, schüttelt Hände und verspeist sorglos Hotdogs auf der Straße.

Mit seinen Verharmlosungsstrategien und Provokationen stellt er in der Krise selbst sein großes Idol Donald Trump noch in den Schatten. Nach jedem neuen Auftritt tönt es: Er ist verrückt geworden! Jetzt ist er endgültig zu weit gegangen! Nun hat er sein eigenes Grab geschaufelt! Bolsonaro gilt als irre, dumm und wahlweise auch mal als schlicht überfordert. Ein ordentliches Maß an politischer Inkompetenz und Größenwahn ist sicherlich nicht zu leugnen, trotzdem führt dieser Diskurs ins Leere.

Denn Bolsonaro folgt einem gnadenlosen Kalkül und ist damit gerade in Zeiten der Pandemie erschreckend erfolgreich. Die Strategie des brasilianischen Präsidenten ist allzu offensichtlich. Kaum eine Gelegenheit lässt er aus, um gegen staatliche Maßnahmen, wie Lockdowns, zu wettern, Masken als Eingriff in die persönliche Freiheit zu geißeln und lautstark eine Wiedereröffnung von Geschäften und Fabriken zu fordern. Sein Mantra: Die Wirtschaft darf nicht stillstehen!

Dass Bolsonaro plötzlich den Liberalismus für sich entdeckt, mag auf den ersten Blick verwundern. Man hätte erwarten können, dass er, wie andere autoritäre Staatschefs, die Krise nutzen würde, um mit rigiden Isolationsmaßnahmen seine Macht auszuweiten. Was bei der Debatte um den rechten Hardliner jedoch häufig untergeht: Seine Politik unterliegt einem ultraliberalen Wirtschaftsverständnis.

Bereits im Wahlkampf genoss Bolsonaro die Rückdeckung von weiten Teilen der Unter­neh­me­r*in­nen, darunter viele deutsche in Brasilien ansässige, und des Finanzkapitals. Auch beim mächtigen Agrobusiness stößt der Ex-Militär auf große Popularität. Mit all diesen Kräften will es sich Bolsonaro in der Pandemie nicht verscherzen. Zwar wurde auf Druck der linken Opposition ein Notfalleinkommen für informell Beschäftigte verabschiedet.

Bolsonaro verfolgt eine ultraliberale Wirtschaftspolitik

Doch Bolsonaro und sein Wirtschaftsminister, der erzliberale Paulo Guedes, nutzen die Krise, um die neoliberale Politik voranzutreiben. Neben der Wirtschaft, die keinen Schaden durch Corona nehmen sollte, kämpfte Bolsonaro für die Wiedereröffnung der Kirchen, die er per Dekret als „notwendige Dienstleistungen“ einstufen lassen wollte. Das Dekret wurde letztlich von der Justiz kassiert, doch die Botschaft kam bei der frommen Wählerschaft an.

Im größten katholischen Land der Welt genießen insbesondere evangelikale Kirchen regen Zulauf. Meinungsforscher*innen rechnen damit, dass die Bibeltreuen im Jahr 2032 die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Bolsonaro, der von Hause aus katholisch ist, suchte im Wahlkampf die Nähe zu den reaktionären Pfingstkirchen, ließ sich medienwirksam im Jordan taufen, war umjubelter Stargast bei evangelikalen Veranstaltungen und wurde vom Promipastor ­Silas Malafaia mit seiner dritten Ehefrau vermählt.

Notfalleinkommen lässt Arme umdenken

Evangelikale Prediger bezeichneten das Virus als „Werk Satans“. Durch den wachsenden Einfluss der Kirchen sinkt das Vertrauen vieler Bra­si­lia­ne­r*in­nen in die Wissenschaft. Auch Bolsonaro geriert sich seit jeher und besonders in Zeiten der Pandemie als Wissenschaftsskeptiker. So musste ein Gesundheitsminister gehen, weil er den Empfehlungen der WHO folgen wollte und ein zweiter, weil er sich gegen die Verwendung eines umstrittenen Malaria-Medikaments zur Bekämpfung von Covid-19 aussprach.

Bolsonaro mahnte sein Volk, die Pandemie „wie ein Mann“ durchzustehen und verspottete Maskenträger*innen als „Schwuchteln“. Selbst als er positiv auf Covid-19 getestet wurde, spielte er die Gefahren des Virus herunter. Brasiliens Präsident treibt eine gefährliche Melange aus Machismus und religiösem Wahn an. Sein Verhalten wider jeder Vernunft beruht auch immer wieder auf Verschwörungsmythen.

In Regierungskreisen kursieren Gerüchte darüber, dass der Klimawandel eine „marxistische Erfindung“ sei, und auch, dass das Coronavirus aus kommunistischen Laboren stamme. Dieses Narrativ ist nicht nur ein wirres Hirngespinst, es erfüllt zudem eine klare Funktion: Der Antikommunismus ist zu einem wichtigen Bindeglied für die brasilianische Rechte geworden. Obwohl das größte Land Lateinamerikas kaum von einer kommunistischen Machtübernahme bedroht ist, nutzt die Rechte diesen Diskurs für eine Trennmauer.

Das Bolsonaro-Lager teilt die Gesellschaft in Freund*innen und Feind*innen ein: Wer nicht bedingungslos hinter Bolsonaro steht, gilt automatisch als Kommunist*in. Sogar rechte Politiker*innen, wie der Gouverneur von São Paulo, wurden zur Zielscheibe von Bolsonaros fanatisierter Basis. Ziel der orchestrierten Hetze ist es, Debatten zu ersticken und einen demokratischen Ausgleich zu verhindern. Durch seinen Coronakurs musste Bolsonaro Unterstützung einbüßen.

Er ist politisch zunehmend isoliert, viele ehemalige Verbündete haben sich abgewendet und internationale Firmen machen Druck. Und trotzdem: Bolsonaro schafft es, sich mit seinen ständigen Provokationen geschickt in Szene zu setzen. Es gelingt ihm, die Gesellschaft weiter zu spalten und seine Anhänger*innen in Stellung zu bringen. Sie verehren ihren als „Mythos“ gerufenen Präsidenten mit beinah religiösem Eifer.

Und durch das Notfalleinkommen unterstützen nun auch immer mehr Arme den Rechtsaußen-Präsidenten. So erklärt es sich, dass Bolsonaros Umfragewerte während der ganzen Pandemie stabil blieben und zuletzt sogar deutlich angestiegen sind – nicht trotz, sondern wegen der Skandale. Für Staatschefs wie Bolsonaro sind Krisen ein Segen.

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ist Journalist und Brasilien-Experte. Er lebte mehrere Jahre in São Paulo und verbrachte vier Monate der Coronazeit in der Mega­metropole. Dort berichtete er regelmäßig für die taz – auch über Proteste von Bolsonaro-An­hän­ge­r*innen.

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