Bombay unter Schock: Tage des Grauens

Nach und nach bringt die Armee die von Islamisten besetzten Gebäude unter ihre Kontrolle. Die Bilanz von 48 Stunden Terror ist verheerend. Mehr als 140 Menschen wurden getötet.

Sicherheitskräfte bestimmen das Stadtbild in Bombay. Bild: dpa

BOMBAY taz Freitagabend von dem Taj-Mahal-Hotel in Bombay. Ein indischer Kameramann liegt auf dem Boden und schreit. Kollegen drängen sich um ihn, versuchen, ihn ins Bild zu nehmen, andere rennen davon. "Ich bin getroffen", brüllt der Mann und windet sich vor Schmerzen. Er sind Szenen wie aus einer kriegsentscheidenden Schlacht.

Bombay oder Mumbai? Welchen Namen sollte man verwenden? Offiziell wurde die Stadt 1996 umgetauft, um sich von der Last der Kolonialzeit zu befreien - maßgeblich auf Betreiben der nationalistischen Partei Shiv Sena. Bis heute sind beide Namen in Gebrauch. Gesprochen wird Bombay, geschrieben Mumbai.

Die Anhänger des alten Namens berufen sich darauf, dass dieser zwar kolonialistisch sei, die Geschichte der Stadt aber auch. Der Versuch der Umbenennung decke sich mit den Bemühungen der Shiv Sena, die Pluralität der Stadt zu untergraben, ein kulturelles Erbe zu erfinden, dass es an dieser Stelle nicht gab. Somit ist die Namenswahl keine einfache politische Entscheidung für oder gegen die Kolonialzeit, sondern folgt meistens dem Gebot der Gewohnheit. (NAT)

Vor mehr als 43 Stunden haben bewaffnete Attentäter damit begonnen, ein Blutbad anzurichten, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Einige von ihnen waren vermutlich schon in der Stadt, weitere sind mit Schnellbooten von der offenen See gekommen. Sie haben vor Restaurants, in Krankenhäusern und in den Lobbys zweier Luxushotels wahllos Menschen erschossen. Zwei der Terroristen kaperten einen Polizeijeep, fuhren mit ihm durch mehrere Straßen und feuerten auf Passanten. In der Nähe des Flughafens sprengen die Terroristen ein Taxi in die Luft.

Ein britisch-indischer Geschäftsmann, der in der Lobby des Taj-Mahal-Hotels stand, als das Morden dort begann, beschreibt die Attentäter als Männer, Anfang, Mitte zwanzig. Sie seien hereingestürmt, hätten Angestellte des Hotels erschossen und geschrien, sie suchten nach Menschen, die einen britischen oder amerikanischen Pass haben.

Besonders stark gesichert waren die angegriffenen Gebäude nicht. Zwar hat Bombay in der Vergangenheit schon mehrfach blutigste Anschläge erlebt. Erst im Juli 2006 rissen sieben Bomben in Vorortzügen und an Bahnhöfen 209 Menschen in Stücke. Aber Indien ist nicht Afghanistan; mit schwer bewaffneten Angreifern, die sich skrupellos ihren Weg durch die Menge schießen, hatte niemand gerechnet.

Noch vor wenigen Tagen schauten die Menschen in Bombay voller Stolz auf den Turm ihres Taj-Mahal-Luxushotels. Wer in einem der Restaurants dieses Hotels einen Tisch bekam, hatte es in Bombay, der indischen Variante von New York, ganz nach oben geschafft. Doch nun thront das riesige Gebäude über dem Stadtteil Colaba wie ein dunkles Verhängnis. Immer noch hält eine unbekannte Zahl von Attentätern Menschen als Geiseln. Rauch dringt aus einem Seitenflügel des historischen Gebäudes. Einige Zimmer sind komplett ausgebrannt, die Fassade ist an mehreren Stellen schwarz. Das Feuer, immer wieder von Neuem gelegt, bahnt sich seinen Weg. Die Feuerwehrleute, die direkt vor dem Hotel stehen, sind machtlos. Denn niemand weiß, aus welchem der etlichen Fenster tödliche Schüsse fallen könnten.

Auf der anderen Seite, vor dem Gateway-of-India-Denkmal, drängen sich mehr als hundert Kameraleute und Journalisten in gefährlicher Nähe zu dem besetzten Hotel. Wie gefährlich es ist, hier zu stehen, zeigt sich, als Sicherheitskräfte einen weiteren Großangriff starten. Von der Seite aus schießen Soldaten Raketen auf einen Raum, in dem Attentäter vermutet werden. Sekunden später liegt ein Kameramann schreiend auf dem Boden, Chaos bricht sich Bahn. Ob er von Splittern der explodierenden Rakete getroffen wurde oder durch Schüsse aus dem Haus, ist unklar.

Auch an anderen Schauplätzen des Grauens drängen sich etliche Menschen in die Schussweite der Attentäter. Freitagvormittag: Das Nariman House ist von Soldaten umstellt. Polizisten sichern die Umgebung. Hunderte von Schaulustigen versuchen etwas zu sehen. Mehrere Attentäter sollen in dem jüdischen Kulturzentrum in dem Gebäude bis zu zehn Geiseln genommen haben. Ein Hubschrauber taucht plötzlich über dem Haus auf. Mindestens neun schwer bewaffnete Männer in schwarzen Anzügen seilen sich aufs Dach ab: Die "Black Cats", eine paramilitärische Antiterroreinheit, soll die Terroristen stellen.

Kurze Zeit später zerreißen Maschinengewehrsalven die Stille. Heftige Explosionen folgen, es wird eine halbe Stunde lang erbittert gekämpft. Dann wird es ruhiger, offenbar wird wieder verhandelt. Stellungskrieg. Einige Stunde später bricht Jubel vor dem Gebäude aus. Hunderte Menschen stehen auf der Straße, klatschen und feiern abrückende Soldaten. Der Horror hat, zumindest hier, endlich ein Ende gefunden. Oder auch nicht: Kleinlaut schiebt ein Sprecher der "Black Cats" ein wenig später nach, die Operation sei nur "mehr oder weniger" vorbei. So geht es seit Tagen. Offizielle Erklärungen der Polizei kommen nur sporadisch, häufig haben die Sprecher selbst mit widersprüchlichen Meldungen zu kämpfen.

Das Nachrichtenchaos zehrt in der scheinbar nicht enden wollende Belagerung der Stadt zusätzlich an den Nerven der Menschen. Normalerweise ist Bombay für seine Leichtigkeit und seine Lebensfreude bekannt. Doch nun wirken die wenigen Menschen auf den ansonsten überfüllten Straßen wie gelähmt.

Steven de Souza ist einer von ihnen. Er ist 31, stammt aus Goa und arbeitet seit mehr als zehn Jahren in Bombay. Drei Jahre lang hat er im Luxushotel Trident Oberoi gearbeitet. Jetzt steht er vor dem Hotel. Sorgenfalten graben sich in seine Stirn. "Die Menschen sind in das Hotel gekommen, weil sie Schutz gesucht haben", sagt er. Jetzt seien sie dort gefangen und würden mit dem Leben bedroht. Zahlreiche andere Männer schauen besorgt nach oben. Viele von ihnen tragen weiße Hemden und halten Aktentaschen in den Händen. Das Trident Oberoi liegt in einem der vielen Geschäftsviertel der Stadt. "Wie lange soll das noch weitergehen", sagt ein Mann um die vierzig. Die Menschen, die so lange als Geiseln oder in ihren Zimmern gefangen ausharren, müssten doch sterben vor Angst.

Dann wird es an einem Seitenausgang des Hotels unruhig. Die "Black Cats" haben in dem Luxushotel mehr als 120 Menschen befreit, die auf ihren Zimmern gefangen waren. Ein Mann um die sechzig, Brille, blaues Hemd, Glatze, wird von einem Hotelmitarbeiter nach draußen geführt. Er ist vermutlich Brite, sieht sehr blass und vollkommen erschöpft aus. "Ich habe nichts gesehen", sagt er im Vorübergehen. "Ich war die ganze Zeit auf meinem Zimmer." Dann zieht ihn der Hotelmitarbeiter an der Menge vorbei zu einem bereitstehenden Auto. Weitere Überlebende folgen ihm. Ein Mann um die vierzig sitzt in einer Nebenstraße in seinem Taxi und starrt auf das Gebäude. Er hat einen langen Bart und rot gefärbte Haare. Sein Name ist Ahmed Khan, er ist Muslim. Während er spricht, kämpft er mit den Tränen. "Das hier ist so falsch. Das dürfte nicht sein", sagt er. Das, was "diese jungen Männer" da getan hätten, sei "Haram", eine Sünde. Keiner seiner muslimischen Bekannten, erzählt er weiter, hätte Verständnis für das, was geschehen ist.

Der Terrorangriff hat auch das Wirtschaftsleben der Megametropole teilweise lahmgelegt. Eigentlich ist der Colaba Causway, die Hauptstraße, die sich durch das am meisten betroffene Viertel zieht, eine bunte Einkaufs- und Café-Straße. Doch heute haben alle Geschäfte geschlossen. Nicht einmal die etlichen Stände und Bauchläden sind heute geöffnet. An den verwaisten Geschäften rasen alle fünf Minuten Truppentransporter der Armee vorbei. Jeder von ihnen wird von zwei Soldaten mit Maschinengewehren bewacht.

Sie fahren auch an dem Ort vorbei, an dem der unglaubliche Terrorangriff seinen Ausgang genommen hat. Die Rollgitter des Leopold-Restaurants sind geschlossen. Bestialischer Verwesungsgeruch dringt bis auf die Straße: Ein Blick durch die Lüftungsschlitze im oberen Teil der Rollgitter zeigt, dass auf einigen der Tische noch Teller mit Essen stehen. Hier ist am Mittwochabend um 21.30 Uhr die Zeit stehengeblieben.

Das Leopold ist bei Ausländern in Bombay, bei Touristen und den hippen reichen Jugendlichen der Stadt sehr beliebt. Wie immer standen an diesem Abend einige der Tische beinahe auf der Straße, als mindestens zwei Männer von draußen das Feuer eröffneten und davonrannten. Mindestens zehn Menschen lagen in tiefen Blutlachen. Eine indische Tageszeitung berichtet sogar, ein Augenzeuge habe gesehen, dass die Männer zuvor in dem Restaurant gegessen und bezahlt hätten, bevor sie aufgestanden seien und damit begonnen hätten, wild um sich zu schießen.

Nun ist das geschlossene Lokal zu einem Wallfahrtsort des Grauens geworden. Einige Männer stehen davor und erklären Passanten, was geschehen ist. Sie deuten auf Blutlachen auf der Straße. Touristen schlendern vorbei und gehen instinktiv schneller weiter, sobald sie realisieren, wo sie gerade stehen.

Die Bilanz von bislang 48 Stunden Terror ist verheerend: Die Polizei findet in den befreiten Gebäuden und Etagen der noch besetzten Gebäude immer wieder Leichen. Mehr als 140 Menschen sollen in den Tagen des Terrors getötet worden sein, an die 400 Verletzte soll es gegeben haben. Unter den westlichen Opfern sollen vier deutsche Staatsangehörige sein, drei weitere Deutsche sollen verletzt worden sein.

Und immer noch hallen Schüsse aus dem Taj-Mahal-Hotel durch das gesamte umgebende Viertel. Ein einziger Attentäter soll sich dort noch verschanzt halten. Auch im jüdischen Zentrum im Nariman House wird noch gekämpft. Niemand rechnet mehr damit, dass dort noch Geiseln am Leben sind.

Die Tage des Schreckens in Bombay sind noch immer nicht vorbei.

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