Bombenanschläge im Irak: Alte Konfliklinien brechen auf

Die Opferzahlen im Zusammenhang mit der Anschlagserie im Irak steigen weiter. Bei den Detonationen starben mindestens 65 Menschen – Beobachter gehen von religiösen Tatmotiven aus.

In Kirkuk stehen Irakis ungläubig vor einem von drei explodierten Autos. Bild: dpa

BAGDAD dapd | Bei einem der größten Anschläge seit dem US-Truppenabzug vor einem halben Jahr sind im Irak mindestens 65 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 200 verletzt worden. Die offenbar koordinierten Autobombenanschläge am Mittwoch in mehreren Städten waren bereits die dritte Anschlagsserie gegen Schiiten in dieser Woche. Bundesaußenminister Guido Westerwelle verurteilte die Gewalt auf das Schärfste. Niemand bekannte sich zunächst zu den Taten.

Ziel von 14 der 16 Explosionen waren schiitische Pilger, die auf dem Weg zum Grabmal des schiitischen Imams Mussa al Kadhim aus dem achten Jahrhundert waren. Er gehört zu den zwölf wichtigsten Heiligen der Schiiten und ist in einem Schrein in Bagdad beigesetzt. Zwei Autobomben gingen vor Büros politischer Parteien mit Verbindungen zur kurdischen Minderheit im Irak hoch. Die Behörden hatten vor der Pilgerreise die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, unter anderem wurde der mehrheitlich von Sunniten bewohnte Bagdader Stadtteil Asamija in der Nähe des Schreins gesperrt.

Die Welle der Gewalt im Irak ist seit den Unruhejahren 2006 und 2007 stark abgeflaut, damals war die Lage ansgespannt, da der ethnisch-religiöse Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten in einen Bürgerkrieg abzugleiten drohte. Doch seit dem Abzug der US-Truppen Mitte Dezember haben die Spannungen wieder deutlich zugenommen.

Westerwelle erklärte, der Weg des nationalen Ausgleichs und des Dialogs sei für die weitere Entwicklung Iraks unverzichtbar. Die Bundesregierung appelliere deshalb an die politisch Verantwortlichen im Irak, die schwelende Regierungskrise zu beenden und gemeinsam für eine friedliche und demokratische Entwicklung zu arbeiten.

Täter wollen religiöse Spannungen schüren

Dem schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki wird der Aufbau eines Machtmonopols vorgeworfen. Die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten erreichten einen neuen Höhepunkt, als Vizepräsident Tarik al Haschemi, der Sunnit mit dem höchsten Amt in der irakischen Führung, beschuldigt wurde, Todesschwadronen zu beschäftigen. Die Regierung begann mit einem Prozess in Abwesenheit gegen den flüchtigen Vizepräsidenten, womit sie wiederum Kritik auf sich zog, eine Vendetta zu führen.

Ein Sprecher der Militärführung in Bagdad sagte am Mittwoch, die Anschläge hätten zum Ziel, die Gewalt zwischen Anhängern der beiden Glaubensrichtungen wieder aufflammen zu lassen, doch „die Iraker durchschauen die terroristische Agenda und werden nicht in einen religiös motivierten Konflikt abgleiten“.

Die einzelnen Anschläge fanden stark verteilt, jedoch in kurzen Abständen zueinander statt. In den frühen Morgenstunden explodierte Polizeiangaben zufolge in der Stadt Tadschi nördlich von Bagdad nahe einer religiösen Prozession eine Autobombe. Dabei seien sieben Menschen getötet und 22 verletzt worden, hieß es. Bei vier weiteren Detonationen in verschiedenen Teilen der Hauptstadt seien mindestens 25 Menschen ums Leben gekommen und 53 verletzt worden.

Bei der Explosion von zwei Autobomben in der Stadt Hilla südlich von Bagdad kamen laut Polizei 21 Menschen ums Leben, 53 wurden verletzt. In der Stadt Kerbela, 90 Kilometer südlich von Bagdad, detonierte eine Autobombe in der Nähe einer Gruppe schiitischer Pilger und tötete zwei Menschen. Weitere 22 seien bei dem Anschlag verletzt worden, teilten Vertreter der Polizei und der Krankenhäuser mit.

Schlimmste Anschlagsserie seit Januar

Bei der nahezu zeitgleichen Explosion zweier in Fahrzeugen versteckter Sprengsätze in der Ortschaft Balad nördlich von Bagdad wurden den Behörden zufolge sieben Pilger getötet und 34 verletzt.

Ein Mensch kam in der Stadt Kirkuk ums Leben, als drei weitere Sprengsätze detonierten, einer davon vor dem Büro eines bekannten Führers der Kurden. In der Stadt Mossul ebenfalls im Norden des Landes wurden zwei Menschen bei einem Autobombenanschlag auf das Büro von Präsident Dschalal Talabanis Partei Patriotische Union Kurdistans getötet und vier verletzt. Bei zwei weiteren Explosionen in Mossul, etwa 360 Kilometer nordwestlich von Bagdad, wurden fünf Menschen verletzt.

Die Anschlagsserie am Mittwoch forderte die meisten Todesopfer im Irak seit dem 5. Januar, als bei einer Reihe von ebenfalls gegen Schiiten gerichteten Bombenanschlägen in Bagdad und am Rande der Stadt Nasirija im Süden des Landes 78 Menschen ums Leben kamen.

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