Boxtrainerin über feministischen Sport: „Es gibt ganz viele Lebensrealitäten“

Corinna Schmechel ist Boxtrainerin und Soziologin. Sie erklärt, was feministischen Sport ausmacht und weshalb er auch für den Leistungssport bedeutsam ist.

Eine Frau boxt Richtung Kamera

„Wir müssen reingehen in die Institutionen, und zeigen, dass Schutzräume notwendig sind“, sagt Corinna Schmechel Foto: Timothy Eberly/Unsplash

taz: Frau Schmechel, Ihr Sportverein Seitenwechsel feiert gerade 30-jähriges Jubiläum. Wie steht es denn zum Geburtstag um den feministischen Sport?

Corinna Schmechel: Ich glaube, die Lage ist ziemlich gut. Vor drei Wochen gab es die Bundesnetzwerktagung der queeren Sportvereine, organisiert von Vorspiel. Bundesweit gibt es mittlerweile ziemlich viel. Und natürlich hat sich einiges verändert.

Was denn zum Beispiel?

Aktuell vor allem die Einführung eines dritten positiven Geschlechts­eintrages. Damit steht der etablierte Sport vor der Herausforderung, wie er in Zukunft arbeiten will. Sport basiert bis heute noch maßgeblich auf einem zweigeschlechtlichen Bild; aber das geht eigentlich Ende des Jahres nicht mehr. Das ist ein ganz spannender Moment, wo der feministische und queere Sport zeigen kann: Wir sind da. Und wir haben ganz viel Expertise, die jetzt wichtig wird.

Gleichzeitig hört man immer wieder, unter Sportlerinnen seien feministische Einstellungen nicht so präsent.

Eigentlich ist das nicht meine Wahrnehmung. Die feministischen und queeren Vereine haben innerhalb der letzten 30 Jahre stetiges Wachstum und Professionalisierung erlebt. Sowohl bei den Zugehörigenzahlen als auch in der Wahrnehmung.

Aber es gibt auch einen konservativen Backlash. Im Leistungssport sieht man vor allem Frauen mit langen Haaren, Schönheit wird enorm vermarktet.

ist 1986 geboren und hat Soziologie, Erziehungswissenschaft und Gender Studies studiert. Sie war lange Boxtrainerin bei Seitenwechsel e.V.

Natürlich ist es eine Herausforderung für den feministischen Sport, was den Wandel von Körperbildern angeht. Ich höre schon länger von feministischen Trainerinnen, dass die jungen Frauen heute zunehmend Sport machen, weil sie ihren Körper optimieren wollen. Es geht gar nicht mehr viel darum, zu sagen: Ich möchte was mit anderen Frauen machen, Selbstverteidigung lernen oder Fußball spielen lernen. Die Motivation junger Frauen, Sport zu machen, sei eher: Ich möchte schlank sein und Schönheitsidealen entsprechen. Der Fitnessstudiomarkt ist massiv gewachsen, das hat sicherlich Ursachen im Körperbild.

Wie feministisch ist ein Frauen-Fitnessstudio?

Nur, weil ein Raum nur aus Frauen besteht, macht das keinen feministischen Raum aus. Feministischer Sport geht darüber hinaus, sich nur über die Zielgruppe zu definieren. Es gehört auch eine selbstkritische Auseinandersetzung dazu. Sich den internen Reibungen zu stellen und trotzdem in solidarischer Verbundenheit Sporträume zu schaffen.

Auf dem Flyer zur Jubiläumsveranstaltung fragen Sie sinngemäß: Rein in den organisierten Sport oder eigene Räume schaffen? Wie würde Ihre Antwort lauten?

Die Leistungsdebatte hat den feministischen Sport immer schon beschäftigt. Natürlich war die Frage absichtlich etwas kontrovers gestellt. Ergebnis der Diskussion heute war auch: Es braucht beides. Zuerst mal braucht man Nischen und Alternativen, also reine FrauenLesbenTrans*- oder BPoC-Gruppen. Um Selbstsicherheit zu entwickeln und später, wenn das Bedürfnis da ist, in den organisierten Sport zu gehen. Wir müssen aber auch reingehen in die Institutionen, um zu zeigen, dass Schutzräume notwendig sind. Es sind nicht nur weiße Heteromänner mittleren Alters, die Sport treiben. Es gibt ganz viele Lebensrealitäten im Sport.

Auf dem Podium war viel von rassistischer Diskriminierung die Rede, aber wenig von sozialer. Schaut der feministische Sport zu wenig auf dieses Gebiet?

Die Idee: Der Sportverein Seiten- wechsel richtet sein Angebot an Frauen, Lesben, Trans*, Inter* und an Mädchen. Er wurde gegründet, um lesbischen Frauen Sport in einem geschützten Raum zu ermöglichen. Derzeit gibt es über 60 Sportgruppen.

Das Jubiläum: Der Berliner Sportver- ein Seitenwechsel entstand 1988 in Westberlin und feiert dieses Jahr seinen 30. Geburtstag.

Die Erweiterung: Vor fünf Jahren wurde der Verein für Trans- und Interpersonen geö net. Seitenwech- sel engagiert sich in nationalen und internationalen Organisationen für die Rechte und gegen Diskriminierung von Frauen/Lesben, Trans*, Inter* und Mädchen im Sport

Im Gegenteil, das ist ein Thema, was Seitenwechsel sehr viel beschäftigt. Es gibt ein ausgeklügeltes Ermäßigungssystem. Das gibt es eigentlich bei allen queer-feministischen Sportvereinen, die ich kenne. Geld ist kein Grund, nicht mitmachen zu können. Die Gebühren sind sehr stark gestaffelt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Mädchensport- und dem Erwachsenensport-Segment. Im Mädchensport ist der Anteil von BPoC-Teilnehmenden wesentlich größer, und wesentlich öfter kommen sie auch aus sogenannten sozialen Brennpunkten. Aber da, wo das Angebot für Erwachsene konzipiert ist, haben wir das Problem, das alle feministischen Sportstrukturen in Berlin beschäftigt: Größtenteils sind es akademisch gebildete Menschen mit relativ guten Einkommensverhältnissen. Da müssen wir uns fragen, welche Barrieren außer der ganz konkret finanziellen es gibt.

Warum funktioniert es bei Mädchen besser?

Der Mädchensport hat mehr aktive Ansprechpolitik zum Beispiel an Schulen. Er macht AGs, und da kann man natürlich ganz gut steuern. Im Erwachsenenbereich entscheiden die Leute frei: Ich gehe in den Sportverein. Und da gibt es bestimmte kulturelle Mechanismen, die einigen Menschen nahelegen, in den Sportverein zu gehen, und anderen nicht. Daran müssen wir arbeiten.

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