Brasilien nach der Wahl: Der Retter des Amazonas?

Der künftige Präsident Lula da Silva will auf Klimaschutz setzen. Die Zerstörung des Regenwalds, die Bolsonaro hinterlässt, ist verheerend.

Zwei weibliche Indigene aus dem Amazonasgebiet flankieren Lula da Silva

Als Präsidentschaftsbewerber zeigte sich Lula gern mit indigenen Menschen Foto: Edmar Barros/ap

Umringt von Verbündeten steht Luiz Inácio „Lula“ da Silva auf einer Bühne. Es ist der 30. Oktober, Brasiliens Arbeiterpartei PT hat in ein schickes Hotel ins Zen­trum São Paulos geladen. Vor wenigen Minuten war bekannt geworden, dass der Sozialdemokrat die Stichwahl gegen den rechtsradikalen Amtsinhaber Jair Bolsonaro gewonnen hat. Lula setzt sich eine Lesebrille auf. „Damit ich intellektuell wirke“, scherzt er. Sein Wahlsieg sei ein Sieg der Demokratie. Er wolle das Land wieder einen, den Hunger bekämpfen und das Glück nach Brasilien zurückholen.

Typische Lula-Sätze. Dann ruft er mit seiner unverkennbaren Kratzstimme: „Brasilien ist bereit, seine führende Rolle im Kampf gegen die Klimakrise wieder aufzunehmen.“ Es waren klare Worte. Lula will die Bekämpfung der Umweltstörung zu einer Priorität seiner künftigen Regierung machen.

Das wird nicht einfach, denn der Noch-Amtsinhaber Bolsonaro wird eine Spur der Zerstörung hinterlassen. Bereits im Wahlkampf 2018 verkündete der Rechtsradikale, „keinen weiteren Zentimeter“ für indigene Gebiete ausweisen zu lassen und forderte Bra­si­lia­ne­r*in­nen geradezu auf, sich Land illegal anzueignen. Er leugnete die steigende Abholzung, nährte Zweifel am Klimawandel, sprach von einer „Umweltpsychose“.

Doch nicht nur rhetorisch legte er wortwörtlich die Axt an. Mit Amtsantritt entmachtete die Regierung Umweltbehörden wie die Ibama oder die Indigenenbehörde Funai. Sie kürzte ihnen die sowieso schon spärlichen Mittel, setzte linientreue Funk­tio­nä­r*in­nen in Führungspositionen ein und feuerte Mit­ar­bei­te­r*in­nen mit technischer oder umweltpolitischer Expertise.

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Einige wenige Be­am­t*in­nen setzen zwar weiterhin die Gesetze durch, auch gegen die Interessen der Regierung. Doch in vielen geschützten Gebieten sind die Behörden nun völlig unterbesetzt. Die Konsequenz: Es gibt immer weniger Kontrollen, immer weniger Bußgelder.

In­va­so­r*in­nen verstehen das als Freifahrtschein. Es rollen immer mehr Bagger durch den Regenwald, bewaffnete Goldsucher dringen tief in indigene Gebiete, Rinderfarmer rauben riesige Landstücke. In vielen Regionen herrscht ein Klima der Straflosigkeit. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Abholzung sprunghaft angestiegen ist und die Landkonflikte zugenommen haben.

„Mit Lula wird sich die Umweltpolitik radikal ändern“, glaubt Pedro Luiz Córtes im Gespräch mit der taz. Er ist Umweltexperte und Geologie-Professor an der Universität von São Paulo. Lula, der bereits zwischen 2003 und 2011 Präsident von Brasilien war, müsse als Erstes dafür sorgen, die entmachteten Kontrollbehörden wiederaufzubauen. Nur so ließen sich die kriminellen Aktivitäten wirksam eindämmen.

Außerdem müsse die Arbeit der Bundespolizei gestärkt werden. Denn diese sei auch dafür verantwortlich, Geldströme offenzulegen. Eine Allianz aus Politik, Agrobusiness und lokalen Eliten treibt den Raubbau unbarmherzig voran, dahinter stehen knallharte Wirtschaftsinteressen.

Die Zerstörung des Regenwaldes ist ein großes Geschäft, von dem auch etliche Unternehmen außerhalb Brasiliens profitieren. Wenn klar ist, wer die Abholzung und den illegalen Bergbau finanziert, könne man auch effektiv dagegen vorgehen, glaubt Córtes.

Lula scheint sich der Relevanz des Themas bewusst zu sein und geht in die Offensive. Und das, obwohl das Klimathema in Brasilien meist eine Randdebatte ist und selten die tagesaktuelle Auseinandersetzung bestimmt. Er legte einen 26-Punkte-Plan mit ehrgeizigen Zielen vor, darunter: die Reduzierung von Treibhausgasen sowie die Einrichtung indigener und ökologischer Schutzzonen. Mehrfach betonte Lula zudem, ein Indigenenministerium einzurichten – mit einer Indigenen oder einem Indigenen an der Spitze. Auch versprach er, die illegale Abholzung auf null zu drücken.

Es sind ehrgeizige Pläne jenes Mannes, der am 1. Januar zum Präsidenten vereidigt wird. Doch Lula war nicht immer der ökologisch orientierte Politiker, als der er sich nun feiern lässt. Während der früheren Amtszeit der Arbeiterpartei PT mit Lula an der Spitze nahm die Entwaldung der Amazonasregion zwar schrittweise ab. Dies machten auch neue Techniken wie die Satellitenüberwachung möglich, mit der man illegale Rodungen schnell erkennen konnte. Doch die großen Erwartungen wurden enttäuscht. Präsident Lula und seine Nachfolgerin Rousseff brachen nicht mit der Wachstumslogik, im Gegenteil: Die Regierung suchte die Nähe zum Agrobusiness und setzte die Legalisierung von gentechnisch verändertem Soja durch.

Der Megastaudamm Belo Monte

Umstrittenstes Projekt war jedoch der Megastaudamm Belo Monte, durch den Tausende Menschen vertrieben und die Natur zerstört wurde. Die Autorin Eliane Brum schreibt: „Nur die PT konnte Belo Monte umsetzen, weil niemand glaubte, dass sie Belo Monte umsetzen würde.“

Lula scheint diese Zeit nun endgültig hinter sich lassen zu wollen. Um das zu demonstrieren, ließ er sich im Wahlkampf auffällig oft mit Marina Silva ablichten. Die prominente Umweltschützerin wurde 2003 Lulas Umweltministerin. Nachdem die Regierung mehrere Projekte gegen ihren Willen durchsetzte, trat sie 2008 zurück. Zweimal zog sie selbst als Präsidentschaftskandidatin ins Rennen, zweimal scheiterte sie.

Nun steht sie erneut an der Seite Lulas, vor allem wegen Bolsonaro. „Er wird ein Vermächtnis der Zerstörung hinterlassen“, sagte Silva vor der Wahl der taz. „Er hat die Gewalt gegen Indigene und Umweltschützer angeheizt, mehr als 500 Menschen wurden während seiner Amtszeit ermordet.“ Silva weiß, wovon sie spricht: Sie wuchs in einer bitterarmen Kautschukzupferfamilie im Amazonas-Bundesstaat Acre auf und war Mitstreiterin des von Großgrundbesitzern ermordeten Regenwaldschützers Chico Mendes.

Marina Silva wird als künftige Umweltministerin gehandelt. Zusammen mit Lula wird sie zur Weltklimakonferenz COP27 nach Ägypten reisen. „Die Einladung zur Konferenz ist ein wichtiges Signal der internationalen Gemeinschaft“, meint Córtes. „Es besteht großes Vertrauen in Lulas Umweltpläne.“

Für Lula sind solche Anlässe wichtig, denn er will mit einer neuen Umweltpolitik auch verloren gegangenes Vertrauen im Ausland zurückgewinnen. Mit seinem Kahlschlagkurs hat Bolsonaro das Land isoliert, Brasilien gilt mittlerweile gar als Pariastaat. So ist es nicht verwunderlich, dass im Ausland viele erleichtert auf Lulas Wahlsieg reagierten.

Noch am Wahlsonntag gratulierten zahlreiche hochrangige Staatschefs dem ehemaligen Gewerkschaftsführer zum knappen Sieg. Sowohl Norwegen als auch Deutschland signalisierten, wieder in den milliardenschweren Amazonas-Fonds zum Schutz des Regenwaldes einzuzahlen. Wegen Bolsonaros Amazonas-Politik hatten die beiden europäischen Länder 2019 ihre Finanzierung eingestellt.

Ähnlich wie Joe Biden in den USA will Lula das größte Land Lateinamerikas zu einem Vorreiter des Umweltschutzes machen. Doch fraglich ist, wie viel Spielraum er für Transformationen haben wird. Trotz seines Wahlsieges wird die Rechte weiterhin stark sein und Bolsonaros Partei wird die größte Fraktion im Abgeordnetenhaus stellen. Im traditionell stark zersplitterten Parlament wird Lula hart um Mehrheiten kämpfen müssen.

Außerdem: Eine dem Agrobusiness nahestehende Interessenvertretung im Kongress wird auf ein Drittel aller Abgeordneten geschätzt. Lula wird nicht an ihnen vorbei regieren können und Kompromisse eingehen müssen. Viele Groß­grund­be­sit­ze­r*in­nen und Agrar­pro­du­zen­t*in­nen halten weiterhin treu zu Bolsonaro.

Doch wenn Lula für etwas bekannt ist, dann für sein Verhandlungsgeschick. „Er wird sicherlich jetzt schon mit Vertretern des Agrobusiness sprechen und versuchen, Widerstände gegen Veränderungen abzubauen“, glaubt der Umweltexperte Córtes. „Lula will zeigen, dass Umweltschutz und Landwirtschaft kein Widerspruch sind.“

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