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Brasiliens Richter Alexandre de MoraesUS-Sanktionen? Mittelfinger!

Er verfolgt die Rechtsextremen rund um Ex-Präsident Bolsonaro und ist noch verhasster als Präsident Lula da Silva. Auch Trump hat er gegen sich aufgebracht.

Brasilianischen Bundesrichter Alexandre de Moraes: richtig berühmt wurde er mit Beginn der Bolsonaro-Ära Foto: Gustavo Moreno/AP/dpa

Er wird „Xandão“ genannt – großer Alexandre. Für seine Fans ist er ein Held und unerschrockener Verteidiger der Demokratie, für seine Gegner ein Tyrann. Alexandre de Moraes ist Richter am Obersten Gerichtshof Brasiliens, dem Supremo Tribunal Federal (STF). Nun drohen ihm Sanktionen durch das US-Finanzministerium. Aus Washington heißt es, de Moraes sei verantwortlich für eine „repressive Zensurkampagne, willkürliche Inhaftierungen, die Menschenrechte verletzen, und politisierte Strafverfolgungen“. Für den Juristen aus der Megametropole São Paulo ist das nur eine weitere Episode in einem seit Jahren schwelenden Konflikt.

De Moraes ist das Kunststück gelungen, in Brasiliens rechter Szene noch mehr Hass auf sich zu ziehen als Präsident Lula da Silva. Der Grund: Während der Amtszeit von Jair Bolsonaro zwischen 2019 und 2022 setzte er autoritären Auswüchsen klare Grenzen. Als Vorsitzender des Obersten Wahlgerichts verfolgte de Moraes eine kompromisslose Linie gegen Fake News und Desinformation. Im vergangenen Jahr lieferte er sich ein Duell mit Elon Musk, das in einer vorübergehenden Sperrung von dessen Plattform X in Brasilien gipfelte.

Dabei ist de Moraes alles andere als ein Linker. Seine Karriere begann er als Staatsanwalt in São Paulo, seiner Heimatstadt. Schon früh zeigte er auch politische Ambitionen. Er war Mitglied der bürgerlich-konservativen Partei PSDB, unter anderem als Justizsekretär und Sicherheitsminister tätig. Kri­ti­ke­r*in­nen warfen ihm harte Polizeieinsätze gegen Demonstranten und einen autoritären Stil im Umgang mit marginalisierten Gruppen vor. 2016 ernannte ihn der rechte Interimspräsident Michel Temer zum Justizminister. Ein Video aus jener Zeit zeigt, wie er durch ein Marihuana-Feld marschiert und die Pflanzen mit einer Machete niederschlägt. Schon im Jahr darauf nominierte Temer ihn als Richter am STF. Die Arbeiterpartei PT schäumte und sprach von einem „tiefen Missbrauch des juristischen Gewissens“.

Rechte gegen den Richter

Richtig berühmt wurde de Moraes mit Beginn der Bolsonaro-Ära. Der Richter, der stets sachlich, fast nüchtern auftritt, leitete erstmals Ermittlungen gegen Onlinenetzwerke von Bolsonaro-Anhängern ein. Dass ein Richter selbst aktiv Ermittlungen anstrengt – er ordnet häufig Hausdurchsuchungen, Kontosperrungen und Ausreisesperren gegen Beschuldigte an – ist ungewöhnlich. Ob de Moraes dabei teils über die Stränge schlug und sein Gericht dadurch zu viel Macht auf sich konzentrierte, ließe sich tatsächlich diskutieren.

Andererseits trug er entscheidend dazu bei, das radikalisierte Bolsonaro-Lager einzudämmen. Denn in Brasilien stand nichts weniger als die Existenz der Demokratie auf dem Spiel. Bolsonaro wird beschuldigt, in Gangsterfilm-Manier einen gewaltsamen Umsturz geplant zu haben, inklusive geheimer Waffenlager, Code-Namen und dem Plan, Präsident Lula zu vergiften. Zuletzt ordnete de Moraes sogar eine elektronische Fußfessel für den Ex-Präsidenten an. Sollte dieser verurteilt werden, droht ihm eine lange Haftstrafe. Doch auch ohne seinen großen Gegenspieler Bolsonaro hat de Moraes genug zu tun. Die Rechte bereitet sich schon auf die Wahlen im kommenden Jahr vor – mit einer Kampagne gegen ihn: „Richter Voldemort“.

Von den neuen US-Sanktionen zeigte sich de Moraes unbeeindruckt: Noch am selben Abend erschien er grinsend im Stadion seines Lieblingsfußballvereins Corinthians. Ein Foto zeigt, wie er demonstrativ den Mittelfinger hebt, offenbar ohne vorherige Provokation. Einschüchtern lässt er sich nicht.

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