Braunkohleförderung in der Lausitz: Die Kohle im Dorf lassen?

Kohlebefürworter vs. Gegner: Die Fronten in der Lausitz sind verhärtet. taz.meinland war in Schleife und brachte erstmals allen Seiten an einen Tisch – und sie sprachen sogar miteinander.

Menschen in einer Kirche. Eine Frau spricht

Widerstandsikone: Die Sorbin Edith Henk, 76, will, dass kein Dorf mehr dem Abbau zum Opfer fällt Foto: Max Büch

SCHLEIFE taz | Als die Glocken der Schleifer Kirche neunmal läuten, ist noch längst nicht alles besprochen. Kaum jemanden zieht es zurück in die eisige Nacht. Vor dem Altar wird weiterdiskutiert. Torsten Pötzsch, Oberbürgermeister von Weißwasser, drückt einer Antikohleaktivistin sein Kärtchen in die Hand. Ein junger Mann fragt, ob man nicht einfach mit Vattenfall gemeinsam Bäume pflanzen könne. Dazwischen schüttelt Pfarrerin Jadwiga Mahling unentwegt Hände. „Das war ein Riesenerfolg“, sagt sie.

Es gibt Redebedarf in der Lausitz. Hier, wo die Braunkohle jahrzehntelang die Basis einer ganzen Gesellschaft war. Wo Abbaugebiete immer noch ganze Dörfer verschlucken und an anderer Stelle wieder ausspucken. Und wo die Frage nach dem Kohleausstieg Ängste schürt und Menschen gegeneinander aufhetzt.

Wir müssen reden – sagt die taz. Bis zur Bundestagswahl im September tourt taz.meinland durch die Republik. Wir wollen wissen: Was ist hier eigentlich los? Warum wird so viel geschrien und so wenig diskutiert?

Diesmal in Schleife, zwischen Cottbus und Görlitz. Auch hier ist die Kohle noch eine der wichtigsten Einkommensquellen. Jahrelang finanzierte Vattenfall die Infrastruktur ganzer Dörfer mit. Statt leer stehender Häuser also gepflegte Gärten und frisch bemalte Feuerwehrwachen – die Lausitz hat sich arrangiert mit der Kohle. Doch auch in Schleife sind die Bewohner von einer neuen Umsiedlung bedroht, sollte das Abbaugebiet Nochten II kommen.

In die evangelische Ortskirche Schleife lud die taz am Dienstag zum Gespräch. Es ging um die Lausitz in 25 Jahren. Und um Alternativen, Antworten der Politik und die Meinungen der Betroffenen.

Ungläubige Gesichter, verschränkte Arme

Die kleine Kirche ist voll, etwa 120 Menschen sind gekommen – teilweise aus bis zu 100 Kilometer Entfernung. Unter ihnen sieben geladene Gesprächsteilnehmer. Doch reden sollten vor allem die, die das alles angeht. Dazwischen die beiden Moderatoren, die taz-Redakteure Jan Feddersen und Martin Kaul, der den Kontakt nach Schleife herstellte.

Zunächst ungläubige Gesichter, verschränkte Arme. Man ist skeptisch. „Mal schauen, was die aus Berlin uns erzählen wollen.“

Unter dem Titel „taz.meinland – taz on tour für die offene Gesellschaft“ besuchen wir bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 etwa 50 unterschiedliche Re­gio­nen und Städte. „meinland“, denn wir finden uns nicht damit ab, dass reaktionäre und rassistische Parolen den Ton in Deutschland bestimmen.

Wir wollen die anderen, die Mehrheit besuchen, die Zivilgesellschaft und über Konflikte und die verbreitete Nervosität reden. Wir wollen die hören und sehen, hörbar und sichtbar machen, die mit „mein Land“ ein offenes Deutschland meinen. Mit anderen Worten: Wir kommen zu Ihnen, wir als taz haben unsere Community nicht zu Gast – wir besuchen Sie, um zu erfahren, was sich von den Berliner Schreibtischen aus nicht erkunden lässt.

Alle Besuchstermine und weitere Infos finden Sie auf www.taz.de/meinland

Rüdiger Siebers ist Vertreter von LEAG, früher Vattenfall. Man kennt ihn hier. Er ist fast immer dabei, wenn es um die Kohle geht. Eigentlich gebe es hier gar kein Problem, sagt er, das sei „hineinprojiziert“. Die Frage sei nur: Schluss, weil die Kohle zu Ende geht oder weil es die Politik will?

Ein schnelles Ende, fordert Jana Bosse. Sie ist Klimaschutzaktivistin und Mitglied bei Lausitzcamp und Ende Gelände. Die Bürgerbewegung besetzte Pfingsten das Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe. Das habe gezeigt, wie wichtig den Menschen ihre Umwelt ist, sagt Bosse. „Angesichts der Schäden kann es nicht so weitergehen.“

Die Wir-lassen-uns-nicht-reinreden-Haltung

Im Publikum ist man skeptisch – auch weil die meisten Aktivisten von außen angereist sind. „Da kommen Fremde in unsere Heimat und sagen uns, was wir hier zu tun haben“, erklärt einer der Bewohner. Es ist dieselbe Wir-lassen-uns-nicht-reinreden-Haltung, die der taz zunächst entgegentritt.

„Umweltsünder – das haben diese Menschen nicht verdient, dass so über sie geurteilt wird“, sagt Christine Herntier, parteilose Oberbürgermeisterin der Kreisstadt Spremberg. Sie spricht für die ältere Generation. Ob sie einem neuen Abbaugebiet zustimmen würde, lässt sie auf Nachfrage offen. Sie sei optimistisch, dass das nicht nötig sein wird.

Adrian Rinnert wohnt seit einigen Jahren in der Lausitz. Er hat das Projekt Strukturwandel Jetzt! mitgegründet. „Wir wollten wissen, was hier los ist“, sagt er, „aber wir haben zuerst gar keine Antworten bekommen.“ Inzwischen setzt sich das Bündnis gegen das neue Abbaugebiet ein, von dem mindestens 1.700 Menschen betroffen wären. Für den Ausstieg aus der Kohle wünscht er sich einen Kompromiss.

Eine skurrile Situation, die eigentlich alles sagt

Wenig später steht neben ihm ein Wirt, der erst nicht reden will und dann nach Aufforderung von Rinnert leise sagt, er würde gerne umgesiedelt werden. Es ist still. Es scheint, als wisse die ganze Kirche Bescheid. Eine skurrile Situation, die eigentlich alles sagt. Ein Wirt, der sich nicht traut, zu sagen, dass er sich ein neues Abbaugebiet wünscht. Und ein Zugezogener, der versucht, einen Kompromiss zu finden.

„Die gespaltenen Meinungen ziehen sich durch Dörfer hindurch, durch Familien, über den Gartenzaun hinweg“, sagt ein Bewohner. Irgendwie sind hier alle Betroffene.

Eine Frau mit roten Haaren habe mit den Demonstranten reden wollen. „Aber die waren alle vermummt“, schildert sie, „denen ist egal, was wir hier denken.“

Mit dabei ist auch Widerstandsikone Edith Penk. Die 76-Jährige gehört zur Minderheit der Sorben. Sie trägt traditionelle Tracht, auf der Brust einen Antikohlesticker. „138 weggebaggerte sorbische Dörfer sind genug!“, ruft sie. Man solle unter den Truppenübungsplätzen nach Kohle schauen. „Wir wollen doch alle Frieden?“ Applaus.

Die lieben Arbeitsplätze

Doch es geht auch um Arbeitsplätze. „Ich gehe davon aus, dass ich nicht bis zum Ende mit der Kohle arbeiten werde“, sagt ein junger Mann, Bauingenieur bei Vattenfall. Was man nun brauche, seien eigene Initiativen. Auch Sozialarbeiter Ernst Opitz von Impuls e. V. sieht Handlungsbedarf. „Wir können nicht mehr warten, Ideen müssen jetzt umgesetzt werden.“

Daraufhin kommt wieder der Einwurf, die Entscheidungen würden ja eh von außen getroffen – trotz lokaler Initiativen. Es ist das Gefühl, vernachlässigt, nicht gehört zu werden von „denen“. Der Hass auf die etablierten Parteien, er scheint hier immer wieder durch.

Aber welche Initiativen könnten der Lausitz helfen? „Die Zukunft liegt in der Grenzregion“, sagt Martin Herche, Generalintendant der evangelischen Kirche, „Polen und Tschechen teilen dieselben Sorgen wie wir.“ Er wünscht sich eine Europäische Modellregion wie Bürgermeisterin Herntier und OB Pötzsch.

In der Kirche wird zugehört, geklatscht und widersprochen. Eine Verständigung aller Beteiligten, ohne Einmischung von außen.

Korrektur: Ursprünglich schrieben wir im fünften Absatz, dass die evangelische Ortskirche Schleife ebenfalls dem geplanten Braunkohletagebau Nochten II zum Opfer fallen wird. Dies ist falsch. Die Kirche liegt nicht im Areal des Tagesbaus Nochten II und bleibt erhalten. Von Abbaggerung bedroht sind jedoch Teile des Gemeindegebiets. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung. (msc)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.