Brief aus Bangkok: Heuschrecken und „Pussy-Pingpong“

Hier hemmungslose Mallorca-Touris und dort kultivierte Individualreisende? Von wegen! Eine Abrechnung mit der Backpackerszene.

Pah. Von wegen intellektuell kultiviert: Backpacker auf der Khaosan-Road in Bangkok. Bild: reuters

Es ist 21 Uhr, die Nacht beginnt. Der Irish Pub stellt seine Anlage an, wummernde Bässe, fiepsige House-Gesänge. Leicht bekleidete junge Frauen postieren sich vor der Bar gegenüber, um die vorbeilaufenden Männergruppen von einem Bier für 1,50 zu überzeugen. Der Klamottenladen nebenan hängt die groß bedruckten Tanktops auf seine Kleiderstangen, die gleichen, die auch sein Nachbar verkauft.

Wo bin ich? Auf Mallorca, Ibiza? In einer Dubliner Barstraße? Nein. Ich stehe mitten auf der Khaosan Road in Bangkok, im Herzen des Backpacker-Viertels, und suche nach einem günstigen Hostel für die Nacht. Und obwohl ich mich mit meinem großen, dreckigen Rucksack, meinen beflipflopten Füßen, zerzausten Haaren und dem Bikini-Abdruck im Nacken optisch kein bisschen vom Prototyp dieser Szene unterscheide, fühle ich mich ihr in diesem Moment meiner Südostasienreise so fremd und fern wie noch nie zuvor.

Südostasien, atemberaubend schön, aufregend anders. Tausende junge Menschen schieben sich hier durch die Straßen, Bangkok ist eine Station ihrer Reise, so auch von meiner. Andere Kulturen kennenlernen, ein Abenteuer erleben, das wollen die Backpacker, das erzählen sie den Freunden zu Hause. Welterfahrung sammeln, raus aus dem westlichen Alltag, rein ins unbekannte Andere. Doch die Realität der Khaosan Road suggeriert etwas anderes. Der Aufenthalt der meisten hier gleicht einem All-inclusive-Aufenthalt auf Mallorca.

Es geht ums Saufen, Partymachen und Vögeln. Das alles geschieht jedoch unter dem Deckmantel der „anderen“, der „fremden“ Kultur. Die Käufer der frittierten Heuschrecken, die ein Mann auf einem Wagen durch die Straße schiebt, sind nicht etwa auf der Suche nach einer landestypischen kulinarischen Erfahrung. Sie wollen ein Facebook-Profilfoto. Grinsen, Heuschrecke zwischen die Zähne stecken und so tun, als würde man sie tatsächlich essen: Fertig ist das Bild, das die Freunde zu Hause staunen und „liken“ lässt.

Happy-End-Massagen

Ein paar Meter weiter werben Männer mit kleinen Schildern für „Thai Massage with Happy End“ oder eine „Pussy-Pingpong Show“. Wenig Fantasie ist erforderlich, um zu erkennen, was sich dahinter verbirgt. Sextourismus passt also auch zum Rucksacktourismus, denn die glasäugigen Interessierten sind keine alternden, dickbauchigen Herren auf „Erholungsurlaub“, sondern individualreisende junge Studierende aus Amerika, England, Schweden und Deutschland mit „Lonely Planet Southeast Asia“ im Gepäck.

Die Souvenir-Tanktops, die überall verkauft werden, manifestieren mit ihren Retromotiven das Selbstverständnis der Backpackerszene. „The Velvet Underground and Nico“, Yoko Ono und John Lennon mit „War is over“ suggerieren die Zugehörigkeit zu einer gebildeten, kulturinteressierten Schicht. Eine klare optische Abgrenzung von den Gruppenshirts mit hohlen Sprüchen, die es am Ballermann zu kaufen gibt – und doch verbringt der „War is over“-Tanktopträger auf der Khaosan Road letztendlich genau den gleichen Abend wie der Gruppen-T-Shirt-Träger auf Mallorca. Nur dass Letzterer nicht versucht, seinem hemmungslosen Ferienspaß mit vorzeigbaren Thailand-, Laos- und Kambodschavisa im Reisepass den Anstrich von „Welterfahrung“ zu geben.

Es ist eine geballte Ladung neokolonialistischen Touri-Verhaltens, die einem hier auf der Khaosan Road entgegenschlägt, nur dass jede/r einzelne BackpackerIn ungefragt für sich proklamieren würde, genau das abzulehnen. Die heimliche Überzeugung der meisten hier scheint jedoch zu sein: Ein bisschen fremde Kultur zu Unterhaltungszwecken, ja bitte, wenn dafür nicht auf die allabendliche Pizza verzichtet werden muss. Im Burger King herrscht Hochbetrieb. Wen das nicht genug abschreckt, der findet die traurigen Schattenseiten dieses unbeschwerten Spaßtourismus in Hinweisen wie diesem: Ein kleiner, handgeschriebener Zettel auf der Pinnwand des Hostels warnt: „Don’t buy drugs from Tuk-Tuk drivers. My friend just died.“

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