Brief der Völkermord-Überlebenden Mukagasana: "Dies ist keine Justiz für uns"

Die ruandische Völkermord-Überlebende über die Freilassung von Protais Zigiranyirazo durch das UN-Tribunal für den Genozid in Ruanda.

Der Genozid an Ruandas Tutsi wurde von den ruandischen Machthabern mehrfach verkündet, seit der Rede des damaligen Präsidenten Grégoire Kayibanda 1963.

Der Genozid an Ruandas Tutsi wurde von Präsident Juvénal Habyarimana am 30. Oktober 1990 verkündet. Kurz bevor die RPF ihren Guerillakrieg aufnahm, sagte Präsident Habyarimana in seiner Rede, er werde seine Männer rächen, die an der Front fielen. An wem? An Unschuldigen. Es begann mit Massakern an Tutsi in Byumba, gefolgt von den Massakern der Bagogwe-Tutsi.

Erinnert euch an die Tausende Tutsi, bis zu den Studenten, die am 5. Oktober 1990 in den Schulen verhaftet wurden. In Nyamirambo wurden die Menschen verhaftet, gefoltert, im Stadion eingepfercht, sie ernährten sich von Gras. Unsere Familien aßen Gras. Es ist schwer für mich, das zu vergessen. Unsere Angehörigen beendeten ihre Reise alle im "Gefängnis 1930" von Kigali. Wieviele sind zurückgekehrt? Ich würde gerne die UNO fragen, ob sie da war.

Erinnert ihr euch an den Besuch von "Human Rights Watch" bei einem Bürgermeister im Norden, Kajerijeri, als man in seinem Garten ein Massengrab fand? Die UNO hat das vergessen? Ich nicht.

Wer damals in Ruanda war, erinnert sich gut, wie ab 1993 per Bus Waffen in verschiedene Ecken des Landes gebracht wurden, darunter Macheten. Wir waren da. Wir haben es gesehen und wir haben es denunziert. Die UNO

beschloss, aufgefundene Waffen der Staatsmacht zu geben, die den Völkermord an den Tutsi plante.

Ich sehe, worauf die UNO hinauswill. Die UNO will eines Tages den Völkermord leugnen. Die Taten der UNO beweisen ihre Leugnung unseres Genozids. Die UNO will zeigen, dass es nie einen geplanten Völkermord an den Tutsi gab. Keine Planung heißt: kein Genozid. Ich warne Euch, Vereinte Nationen. Wenn es keine Gerechtigkeit gibt, werden Rächer geboren.

Die UNO ist Urheber der Konflikte auf der Welt, denn die UNO ist unfähig, die Schuldigen zu richten. Wenn die Überlebebenden des

Völkermordes an den Tutsi anfangen würden, selbst Gerechtigkeit zu üben, würde alle Welt sagen: Das sind Racheakte. Seit fünfzehn Jahren warten wir auf Gerechtigkeit, seit fünfzehn Jahren werden Überlebende noch immer umgebracht oder sterben an den Folgen des Genozids, zum Beispiel vergewaltigte Frauen oder Aidsinfizierte. Die UNO fängt damit an, ihre Vergewaltiger zu pflegen, ohne sich um die Vergewaltigten zu kümmern.

Wieviele Überlebenden sind von den Familien oder Freunden der Inhaftierten getötet worden, nachdem sie in Arusha aussagten? Wie oft wurden wir als Opfer staatlicher Manipulation beschimpft, um uns davon abzuhalten, als Zeugen vor das Tribunal zu treten? Dabei hat der ruandische Staat immer mit dem Tribunal zusammengearbeitet.

Heute wird einer der Vordenker des Genozids wegen Formfehlern entlassen, und Gott weiß, er ist nicht der erste. Die wichtigsten Planer des Genozids leben in Freiheit in Unterzeichnerstaaten der Genfer Konvention. Wohin führt das? Und um uns abzulenken, werden zugleich Verantwortliche der FDLR verhaftet, die man morgen wieder freilassen wird.

Wir sind es leid. Wir sind es sehr leid. Aber ich versichere euch, ihr Verantwortungsträger der UNO, dass wir nicht aufhören werden, egal ob es einen oder tausend Überlebende gibt. Ihr sagt euch sicherlich, dass wir allein sind, von euch und der Welt verlassen, und daher die Lösung eine biologische sein wird. Wir werden alt, wir sind krank, wir werden sterben und das wird die Lösung sein.

Ich habe alles verloren, bis auf mich selbst. Meine Kinder wurden massakriert und in das Massengrab geworfen wie Dreck, denn den Genozid nannte man nicht nur Arbeit, sondern auch Saubermachen. Meine Kinder waren in Ruanda Dreck. Ich habe meinen Mann verloren und alles, was mein Leben erleuchtete. Ich bin nicht bereit, Ruhe zu geben. Tötet mich, statt mich zu foltern. Tötet uns wenn ihr uns tot sehen wollt, aber hört endlich auf. Steckt unsere Waisenkinder und Witwen in Arusha ins Gefängnis statt der Völkermöder, denn wir sind schuldig, einen Völkermord erlebt zu haben. Immerhin hätten wir dort drei Mahlzeiten am Tag. Immerhin hätten wir Unterkunft. Immerhin würden wir medizinisch versorgt, wir Völkermordüberlebende. Ihr könnt das nicht? Also tötet uns und ihr habt die Arbeit vollendet. Wie läßt sich erklären, daß ein Tribunal mit über 100 Millionen Dollar Budget im Jahr uns keine Gerechtigkeit zukommen läßt?

Vereinte Nationen: Die Arusha-Justiz ist keine Justiz für uns. Sondern für euch. Dieses Tribunal wurde gegründet, um euer Gewissen zu beruhigen. Eine Justiz, die nicht heilt. Eine Justiz, die uns als Zivilkläger nicht zuläßt, sondern einzig als Zeugen. Wir werden von

einem Ankläger vertreten, den wir nicht ausgesucht haben, während unsere Mörder mehrere Anwälte haben. Ein Tribunal, das von uns verlangt, ins Flugzeug zu steigen und in einem anderen Land auszusagen, was wir erlebt haben. Vor allem eine Justiz, die keine Entschädigung für die Opfer vorgesehen hat. Was für eine Justiz ist das für uns?

Eine Justiz, die die Opfer nicht entschädigt, ist eine Ungerechtigkeit. Entschuldigt meine Wut. Sie reicht an jene der Völkermörder im Angesicht der Unschuld ihrer Opfer nicht heran, auch nicht an meine Trauer als Mutter gegenüber dem Leid meiner Kinder.

Unsere Ahnen sagen: Niemand stellt den vor Gericht, der ihn unter die Erde bringt. Aber sie sagen auch, um positiv zu bleiben: Wie lang auch immer die Nacht, irgendwann kommt der Tag.

Brüssel, 18. November 2009

Übersetzt von Dominic Johnson

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