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Buch über 4000 Jahre Schwarze GeschichteSklaverei und Widerstand

Amat Levins „Black History“ ist ein pralles Leselexikon über viertausend Jahre Schwarze Geschichte auf drei Kontinenten.

Ellen Johnson-Sirleaf wurde 2005 in Liberia zur Präsidentin gewählt – als erste Frau auf dem Kontinent Foto: Nic Bothma/epa/picture-alliance

Dieser Autor kann erzählen. Fesselnd und eingängig berichtet der schwedisch-gambische Journalist Amat Levin in seiner „Black History“ über Aufstieg und Fall von afrikanischen Großreichen und ihren Herrscher:innen, über Sklavenarbeit und Sklavenaufstände, über mutiges Handeln und fatale Fehler Einzelner und nicht zuletzt über das meist schwere Leben einfacher Leute. Wie eine geschichtliche Entwicklung durch neue Einflüsse in eine andere Richtung gelenkt wird, kann er mit wenigen Worten verdeutlichen. Für Bewertungen zieht er mehrere Standpunkte aus der Forschung heran und fügt jedem Abschnitt eine Liste weiterführender Literatur an.

Der Verlag bewirbt Levins Buch als Gegenentwurf zur angeblich verbreiteten Annahme, die Geschichte Afrikas beginne mit der Kolonialisierung. Dagegen wäre einzuwenden, dass die dem Kolonialismus vorausgehende Epoche der Versklavung von Afri­ka­ne­r:in­nen und des transatlantischen Dreieckshandels hinlänglich bekannt und hierzulande Thema auch im Schulunterricht ist. Neu im vom Verlag reklamierten Sinne ist die Aufmerksamkeit des Autors für die frühen Hochkulturen auf dem afrikanischen Kontinent.

Innovativ an Levins Darstellung ist vor allem ihre Form, die es ermöglicht, die Geschichte Schwarzer Menschen über nicht weniger als vier Jahrtausende und drei Kontinente hinweg zu erzählen: In 78 Abschnitten von unterschiedlicher Länge behandelt er ausgewählte Entwicklungen, Ereignisse und Personen, die sich zu einem Mosaik Schwarzer Geschichte zusammenfügen.

Zusammenhänge neu gedacht

Le­se­r:in­nen sind gut beraten, in dem so entstandenen Quasi-Lexikon herumzustöbern und nach eigenen Interessen diese und jene Artikel zu lesen. Das bietet sich besonders dort an, wo Levin in seiner weitgehend chronologisch angeordneten Darstellung einzelne Fäden zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufnimmt und beispielsweise die nationalen Geschichten Haitis, Nigerias oder Liberias in mehreren Teilen erzählt, oft mit einem Cliffhanger am Schluss, der zum Vorausblättern geradezu nötigt.

Zum Teil erinnern Levins sehr zugängliche Ausführungen an die engagierte Studie „Afrika und die Entstehung der modernen Welt“ seines afroamerikanischen Kollegen Howard French – auch er ein Journalist, der Zusammenhänge eingängig zu formulieren weiß. Wie French vergleicht Levin die afrikanischen (und arabischen) Ausprägungen der Sklaverei mit dem, was Schwarze Skla­v:in­nen in den Amerikas erdulden mussten, und er kommt zum selben Ergebnis: Nirgendwo war das Leben der Versklavten – im Durchschnitt gesehen – so elend wie auf den Plantagen der Neuen Welt.

Die wechselvolle Geschichte der haitianischen Revolution und des anschließenden Kriegs mit der Kolonialmacht Frankreich kann Levin überzeugend ordnen. Dass die erzwungenen Reparationen – nicht etwa an die befreiten Sklav:innen, sondern an deren ehemalige Besitzer – den jungen Staat von vornherein zum Scheitern verurteilten, daran lässt er keinen Zweifel.

Dem berühmten Quilombo dos Palmares, einer Siedlung entflohener Skla­v:in­nen in Brasilien, widmet Levin einen längeren Abschnitt. Weit davon entfernt, diesen im kulturellen Gedächtnis der Bra­si­lia­ne­r:in­nen so wichtigen Zufluchts- und Widerstandstandsort zu idealisieren, zeichnet er nach, wie die Maroons eine gut verborgene Siedlung in den schwer zugänglichen Dschungelgebieten Brasiliens errichteten und durch Raubüberfälle auf Plantagen und die Befreiung der dort Versklavten beständig vergrößerten.

Ganga Zumba herrschte im Quilombo wie ein König

Das Zusammenleben im Quilombo beruhte auf geteiltem Besitz und gegenseitiger Hilfe. Der Anführer der Gemeinschaft aber, ein aus Zentralafrika stammender Adliger namens Ganga Zumba, herrschte wie ein König, seine Untertanen fielen vor ihm auf die Knie. Palmares muss eine sehr spezielle Mischung aus revolutionären und rückwärtsgewandten Elementen gewesen sein.

Ähnlich widersprüchlich gestaltete sich auch die Geschichte Burkina Fasos, wo nach der Unabhängigkeit von Frankreich und mehreren Staatsstreichen im Jahr 1983 der Revolutionär Thomas Sankara an die Macht kam: ein ehemaliger Hauptmann der Armee, der Marx und die Kritik des Kolonialismus kannte und der sein Land, eines der ärmsten der Welt, in eine neue Zeit des Wohlstands führen wollte. Tatsächlich reformierte Sankara die Landwirtschaft und förderte die Baumwollindustrie.

Er bekämpfte die endemische Korruption, verbot Prostitution, Polygamie, Zwangsheiraten und die Beschneidung von Mädchen und wies die Armee an, in der Landwirtschaft und beim Bau von Schulen zu helfen.

Aber er regierte autokratisch, duldete keine Parteien neben seinen Komitees zur Verteidigung der Revolution und bekämpfte die Gewerkschaften. Nachdem er einige unpopuläre Maßnahmen verfügt hatte, verlor er zwar nicht die Unterstützung der Bevölkerung, wohl aber die seines Apparats und von Teilen des Militärs. 1987 putschten die Offiziere Compaoré und Diendéré. Sie töteten Sankara und seine Berater und nahmen in der Folge die Neuerungen Sankaras zurück.

Amat Levin: „ Black History. Die vergessene Geschichte Afrikas.Von den Schwarzen Pharaonen bis heute“. C. H. Beck, München 2025, 528 S. S., 32 Euro

Die Kolonie Liberia charakterisiert Levin hingegen als ein von vornherein zweifelhaftes Projekt. Die freigelassenen amerikanischen Sklav:innen, die sich 1822 an der afrikanischen Westküste niederließen und gegen den Widerstand der lokalen Bevölkerung einen Staat gründeten, diskriminierten systematisch die Indigenen als barbarisch und zurückgeblieben und zwangen sie zum Teil sogar, als Skla­v:in­nen für sie, die doch gerade erst aus der Sklaverei entlassen waren, zu arbeiten. Für die Religionen der Indigenen hatten die Schwarzen amerikanischen Ko­lo­ni­sa­to­r:in­nen nur Verachtung übrig. Sich selbst sahen sie als Ver­tre­te­r:in­nen des einzig wahren Glaubens: das ihren Vorfahren von den einstigen Sklavenhaltern aufgezwungene Christentum. Widersprüche allenthalben.

Große Sympathie bekundet Levin für die Bewegung liberianischer Frauen aus allen Gesellschaftsschichten, Religionen und Volksgruppen, die die nationale Geschichte von Unfreiheit, Putschen, Bürgerkrieg und Anarchie im Jahr 2003 beenden konnte und Ellen Johnson Sirleafs Wahl zur ersten gewählten Präsidentin ermöglichte.

Insgesamt ist die Geschichte Schwarzer Menschen, wie deutlich wird, leider keine des Erfolgs, ja nicht einmal eine eindeutige Fortschrittsgeschichte. Wie könnte sie es auch sein, nach 500 Jahren mörderischen Menschenraubs und gewaltsamer Landnahme. Kleine Lichter in dieser dunklen Geschichte sind immer wieder die Abschnitte über einzelne Menschen, die für die Kultur und Entwicklung ihrer Länder oder Communitys Bemerkenswertes geleistet haben.

Die Übersetzung der so lebendigen Prosa Levins ist leider bisweilen ungelenk geraten und enthält gar Ausdrucks- und Grammatikfehler. Davon sollte sich jedoch niemand abhalten lassen, dieses Buch zu lesen, kursorisch, chronologisch oder wie auch immer. Die Lektüre von „Black History“ lohnt unbedingt.

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