Buch über Philosophie der Krise: Tja, was nun?
Zurückgelehnt im Denken, aber urteilsfreudig: Der Philosoph Konrad-Paul Liessmann erkundet unsere gegenwärtigen Unsicherheiten.

Vom Kabarettisten Matthias Beltz stammt sinngemäß das Zitat: „So sollte man die Welt sehen: ‚Wie ist die Lage?‘, und nicht: ‚Warum ist die Lage so beschissen?‘“ Einen ähnlichen Blick wirft der Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem Buch „Was nun?“ auf die Gegenwart. Seine „Philosophie der Krise“ bietet Analysen zum „Zeitalter der multiplen Krisen“, wobei er im Titel programmatisch mit dem Lenin-Zitat „Was tun?“ spielt, denn aktivistische Philosophie gibt es bei Liessmann nicht. Für ihn besteht eine Krise darin, „den Zusammenbruch einer etablierten Ordnung zu erfahren und nicht zu wissen, wie es im Moment weitergehen kann“.
Durch diese Unsicherheit seien Zeiten der Krise „oft Zeiten der autoritären Versuchung“. Daher ist es keinesfalls ironisch gemeint, wenn er schreibt: „Sich passiv in das Unvermeidliche zu fügen und einfach zu warten, was geschieht, ist durchaus eine Möglichkeit, auf Krisenerfahrungen zu reagieren.“ Auch plädiert er für präzisen Umgang mit dem Begriff „Krise“. Statt etwa von „Klimakrise“ zu sprechen, sei „Klimawandel“ genauer. Dieser sei kein kurzfristiger Wechsel, sondern ein langfristiger Prozess, bei dem rasche Interventionen nicht genügen. Die Kapitel widmen sich Fragen wie der „Krise der parlamentarischen Demokratie“, der „Krise der Toleranz“ oder der „Krise der Sprache“.
Konrad Paul Liessmann: „Was nun? Eine Philosophie der Krise“.
Zsolnay Verlag, Wien 2025, 240 Seiten, 25 Euro
Bei aller Zurückgelehntheit im Denken hält Liessmann nicht mit Urteilen zurück. Im Kapitel zur „Krise der Kunst im Zeitalter der Hypermoral“ schreibt er Künstlern mit ihren zum Teil schrillen Wortmeldungen aus jüngerer Zeit gar ins Stammbuch: „Keinerlei Sensibilität bewiesen die Vertreter des Wahren und Guten nach dem 7. Oktober 2023. Die Schnelligkeit, mit der man ekelhaften antisemitischen Ressentiments unter dem Deckmantel des solidarischen Kampfes mit einem zum alleinigen Opfer stilisierten palästinensischen Volk freien Lauf ließ, müsste eigentlich entsetzen.“ Die Freiheit der Kunst, so Liessmann, bestehe gerade darin, dass sie „keine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft“ hat. Umgekehrt gilt für ihn: „Wo das Gute so eindeutig und das Wahre so klar ist, endet alle Kunst in Propaganda.“
Jedes Kapitel wiederum endet bei ihm mit der Frage: „Was nun?“ Lösungen beansprucht er keine, auch verzichtet er auf Handlungsanweisungen. Zu Recht. Derlei liefe auf einen philosophischen Ratgeber hinaus, mithin auf das Gegenteil von Philosophie.
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