Buch zur Wanderung der Arten: Kartoffeln auf hoher See

Tiere und Pfanzen haben sich durch eine Karibik-Expedition weltweit verbreitet. Davon erzählt Charles C. Manns faszinierendes Buch „Kolumbus Erbe“.

Der Deutschen liebstes Nahrungsmittel. Bild: dpa

Über die Tomate wundert sich heutzutage niemand mehr, und ein Leben ohne Kartoffeln kann man sich kaum vorstellen. Doch beide sind Einwanderer aus Amerika, ebenso wie Mais, Kürbis und andere Feldfrüchte. Diese alltäglichen Bestandteile unserer Ernährung belegen die große ökologische Globalisierung, die in Gang kam, als Kolumbus und seine Mannen erstmals einen Fuß auf die Insel Hispaniola setzten (auf der heute Haiti und die Dominikanische Republik liegen).

Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist Charles C. Mann hat in langjährigen Recherchen die Spuren der seither über die Weltmeere wandernden Organismen verfolgt. Sein Fazit: Die Entdeckungsreise des Christoph Kolumbus war das folgenreichste Ereignis für das Leben auf der Erde seit dem Aussterben der Dinosaurier.

Als die Europäer den amerikanischen Kontinent für sich entdeckten, begann ein gigantischer genetischer Austausch, der die Welt grundlegend veränderte und immer noch anhält. Mit kaum ausgeprägter Ironie erfindet Mann dafür den Begriff eines neuen Erdzeitalters – des „Homogenozäns“, was in etwa als „Zeitalter der Vereinheitlichung“ umschrieben werden könnte. „Seit Kolumbus befindet sich die Welt im Griff einer fortwährenden, hektischen Transkulturation“, schreibt Mann.

„Jeder Fleck der Erdoberfläche – vielleicht abgesehen von ein paar Stellen in der Antarktis – wurde von Orten verändert, die bis 1492 viel zu weit entfernt gewesen waren, um irgendeinen Einfluss auszuüben.“ Mit anderen Worten: Die Globalisierung ist ein alter Hut.

Der Autor ist Journalist. Er betont dies, um gleich eventueller Kritik an Unausgewogenheit in der Themenwahl vorzubeugen, und erklärt, manches erzähle er nur deswegen, weil es als Story interessant sei. Ein längerer Abschnitt ist etwa der berühmten Herrschertochter Pocahontas gewidmet, die einen Engländer heiratete und auf der britischen Insel ihr Leben beendete.

Mitgebrachte Krankheitserreger

Die Geschichte der Indianerprinzessin (Mann verwendet den Begriff „Indianer“, da es, wie er im Nachwort erklärt, schlicht kein besseres Wort dafür gebe.) mag kein sehr aussagekräftiges Beispiel für den „kolumbischen Austausch“, wie Mann ihn nennt, sein. Doch sie nimmt ihren Anfang in Jamestown, der ersten britischen Kolonie auf dem amerikanischen Festland (im heutigen Virginia), was sie zu einer recht symbolträchtigen Fußnote macht. Die Engländer in Jamestown waren voller Hoffnung auf gute Geschäfte vor allem durch Tabakanbau, vertrugen aber das schwülwarme Klima schlecht, in dem sich mitgebrachte Krankheitserreger hervorragend vermehrten. Die Menschen starben wie die Fliegen. Inmitten fischreicher Gewässer litten sie Hunger, da sie nicht wussten, wie man Fische fängt, und Angst hatten, ihre befestigte Siedlung zu verlassen.

Die benachbarten Powhatan wiederum, die von Pocahontas‘ Vater regiert wurden, trieben gern Handel mit den Europäern und überließen ihnen dafür zunächst bereitwillig Teile des Landes. Immer wieder aber kam es auch zu gewaltsamen Zwischenfällen zwischen beiden Gruppen, und letztlich waren die Powhatan, die ebenfalls massenweise an den eingeschleppten Krankheiten starben, chancenlos gegen die zahlenmäßig weit überlegenen Europäer, die regelmäßig in neuen Schiffsladungen über den Atlantik gebracht wurden.

Zu Beginn waren es vor allem zwei Dinge, die den kolumbischen Austausch beflügelten: das Silber und der Tabak. Nicht nur die Europäer brauchten das amerikanische Silber dringend zum Münzprägen, sondern insbesondere das chinesische Zahlungssystem wurde bald davon abhängig. Auch der Tabak trat seinen Siegeszug auf beiden Seiten der Weltmeere an.

Im Gegenzug brachten die Europäer Pferde, Kühe und anderes Nutzvieh mit nach Nord- und Südamerika, siedelten europäische Pflanzen an und führten die Honigbiene ein, ohne die die mitgebrachten Obstbäume nie Frucht getragen hätten. Und noch eine andere, in der Folge bemerkenswert einflussreiche Art kam aus Europa auf den amerikanischen Kontinent: Wahrscheinlich aus England stammten die ersten Malaria-Erreger, die sich im warmen Klima der Kolonien ungehindert vermehrten und unzählige Todesopfer unter Europäern sowie Indianern forderten.

Resistenz gegen Malaria

Der Malaria-Import führte letztlich auch dazu, dass so viele Afrikaner versklavt und nach Amerika verkauft wurden. Das ethische Verhältnis zur Sklaverei war bis ins 18. Jahrhundert hinein auf allen Kontinenten sehr unbefangen. In den amerikanischen Kolonien wurden Europäer wie Indianer als Sklaven gehalten, wobei beide Seiten ebenso als Sklavenhalter auftraten. Als aber für die immer größeren Plantagen auf amerikanischem Boden immer mehr Arbeitskräfte gebraucht wurden, ging man dazu über, im großen Stil Afrikaner zu versklaven. Diese besaßen das Alleinstellungsmerkmal, in weitaus größerem Maß resistent gegen Malaria zu sein; die Investition in eine afrikanische Arbeitskraft war also am wenigsten riskant.

Charles C. Mann lässt es sich an dieser Stelle nicht nehmen, die tragische Ironie hervorzuheben, die darin liegt, dass ein genetischer Vorteil in diesem Fall keineswegs im Sinne des Darwinschen „survival of the fittest“ ausschlug, sondern im Gegenteil zum existenziellen Nachteil für die genetisch besser Ausgestatteten wurde. – Es kam zu einer enormen Migrationswelle von Afrika nach Amerika. „Grob gerechnet, kamen auf jeden Europäer, der nach Amerika auswanderte, drei Afrikaner, die dazu gezwungen wurden“, schreibt Mann. Erst im 19. Jahrhundert änderte sich mit der massenhaften Auswanderung aus Europa das demografische Verhältnis.

Ein mit dem Titel „Verrückte Suppe“ bezeichnetes Kapitel erzählt von den definitorischen Anstrengungen seitens der verschiedenen Kolonialbehörden, die bunten menschlichen Genmischungen, die aus der transkontinentalen Zuwanderung folgten, rassisch zu klassifizieren: „Im Laufe der Zeit wurden die Klassifikationen immer barocker, detailversessener und absurder: „coyote, lobo“ (Wolf), „albino, cambujo“ (dunkelhäutig) „alabrazado“ (weiß gefleckt), „barcino“ (farbig gefleckt), „tente en el aire“ (in der Luft schwebend), „no te entiendo“ (ich verstehe dich nicht).“

Andere Genpools machten sich derweil auf den Weg nach Europa, darunter auch jener der Kartoffel. Ähnlich wie alle homines sapientes außerhalb Afrikas von jenen Migranten abstammen, die Afrika vor rund 40.000 Jahren verließen, so sind alle Kartoffeln außerhalb Südamerikas Nachkommen einer nur winzigen Zahl jener unendlich vielfältigen Arten, die von den Menschen dort im Laufe der Jahrhunderte aus wildwachsenden Knollen gezüchtet worden waren.

In Europa revolutionierte die Kartoffel die Ernährungsgewohnheiten großer Bevölkerungsschichten und steigerte die allgemeinen Überlebenschancen. Im armen Irland, dem Land der größten Kartoffelesser, versechsfachte sich die Bevölkerung in den ersten zwei Jahrhunderten nach Einführung der Knollenfrucht. Doch nachdem auch die Kraut- und Knollenfäule eingeführt worden war (vermutlich an Bord eines aus Peru kommenden Gunaoschiffes), wurde Irland in den 1840er Jahren von der schlimmsten Hungersnot seiner Geschichte heimgesucht. Sie kostete über eine Million Menschen das Leben. Weitere Millionen wanderten in den folgenden Jahrzehnten aus – nach Amerika. Noch heute leben in Irland weniger Menschen als vor hundertfünfzig Jahren.

Raubbau ohne Skrupel

Manns Buch quillt fast über von solchen Tatsachengeschichten mit Aha-Faktor. Dabei enthält sich der Autor weitgehend der Bewertung der referierten Geschehnisse. Ob Vor- oder Nachteile der weltweiten Artenwanderung überwiegen, ist ohnehin kaum zu entscheiden. Deutlich genug wird jedoch, dass stets, wenn es darum ging, begehrte Produkte – Chinin, Kautschuk, Guano, Silber – für einen globalisierten Markt ab- oder anzubauen, den ökonomischen Interessen alles andere untergeordnet wurde. Die rücksichtslose Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und die Auslaugung der natürlichen Ressourcen wurden als selbstverständliche Mittel zum Zweck akzeptiert.

Charles C. Mann: „Kolumbus’ Erbe. Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen“. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Rowohlt, Reinbek 2013, 807 Seiten, 34,95 Euro.

Natürlich ist bei einem Themenumfang des Ausmaßes, den Charles C. Mann sich vorgenommen hat, eine gleichgewichtete Darstellung aller Perspektiven kaum möglich. Selbst eine so umfassende weltweite Recherche, wie Mann sie unternommen hat, muss punktuell bleiben. Bei manchen Passagen fragt man sich, wohin sie eigentlich führen, zum Beispiel bei der an sich sehr aufregenden Geschichte der geflohenen Sklaven in Brasilien, die massenweise eigene Siedlungen im Regenwald gründeten.

Aber, wie der Autor ja vorausgeschickt hatte, Journalisten erzählen Dinge auch deshalb, weil sie interessant sind. Auf jeden Fall steckt Manns Geschichte des kolumbischen Austauschs voller richtig guter Stories. Und sehr, sehr gut erzählt sind sie allemal.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.