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Bürger drohen mit VerfassungsbeschwerdeMehr Demokratie beim Euro wagen

Ein breites Bündnis droht mit Verfassungsklage gegen die Gesetze zum Euro-Rettungsschirm. Die Forderung: Über den Fiskalpakt soll ein Referendum entscheiden.

BERLIN taz | Die Drohung ist klar: „Volksentscheid – sonst klagen wir“ steht auf der neuen Webseite www.verfassungsbeschwerde.eu, auf der ein Bündnis unter Führung des Vereins „Mehr Demokratie“ für mehr Bürgerbeteiligung bei den geplanten Gesetzen zur Euro-Rettung wirbt. Wenn über den Fiskalpakt und den Rettungsschirm ESM nicht in einem Referendum entschieden wird, wollen die Initiatoren Verfassungsbeschwerde einlegen – mit Unterstützung möglichst vieler BürgerInnen, die sich der Klage kostenlos anschließen können.

Im Gegensatz zu anderen bereits angekündigten Klagen, etwa von Linksfraktions-Chef Gregor Gysi oder dem CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler, wendet sich das neue Bündnis, zu dem auch die Freien Wähler und die ÖDP gehören, nicht gegen die finanzpolitischen Inhalte der Gesetze, sondern allein „gegen den damit verbundenen Demokratieabbau“, sagte Roman Huber vom Vorstand von Mehr Demokratie. ESM und Fiskalpakt führten zu einer „Verlagerung von Entscheidungen in intransparente, unkontrollierte Gremien“, kritisierte Huber. „Die Parlamente werden dabei weitgehend entmachtet.“

Für die Klage, die unmittelbar nach Verabschiedung der Gesetze eingereicht werden soll, hat sich das Bündnis mit der ehemaligen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und dem Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart prominente JuristInnen an die Seite geholt. Degenhart hält die Erfolgsaussichten für hoch. 

„Rote Linie überschritten“

Durch ESM und Fiskalpakt werde die „rote Linie zu einem europäischen Bundesstaat“ überschritten, die das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Entscheidungen zu den Euro-Rettungsmaßnahmen gezogen habe. Darum müsse per Volksentscheid die Verfassung geändert werden.

Däubler-Gmelin bemängelte, dass der Fiskalpakt nicht wieder gekündigt werden könne und künftige Parlamente in ihrem Finanzspielraum dauerhaft einschränken. Eine stärkere Beteiligung der Parlamente sei nötig, denn es sei „europapolitisch schädlich“, wenn Entscheidungen allein von „Regierungseliten“ gefällt würden.

Weil für den Fiskalpakt eine Zweidrittelmehrheit notwendig ist, könnte die SPD ihn stoppen. Dass diese Machtposition nicht offensiver genutzt wird, kritisierte Däubler-Gmelin zumindest indirekt. Zu der Frage, wie sie die Haltung ihrer Partei beurteile, sagte die ehemalige Ministerin der taz: „In der Fraktion wird häufig nach taktischen Erwägungen entschieden.“

SPD-Spitze schweigt zu Däubler-Gmelins Kritik

Die SPD-Fraktionsspitze lehnte eine Stellungnahme zu Däubler-Gmelins Kritik und der geplanten Klage auf Anfrage ab. Der SPD-Finanzpolitiker Carsten Sieling äußerte sich hingegen zustimmend. Däubler-Gmelin verweise „auf die lange Reihe von Regelungen des Fiskalpakts, deren Auswirkungen nicht hinreichend transparent geklärt sind“, sagte er der taz. Eine Entscheidung über die Zustimmung der SPD könne es erst geben, „wenn die offenen Fragen befriedigend geklärt“ und Ergänzungen vereinbart seien.

Für die Grünen erklärte der parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck, dass er die verfassungsrechtlichen Bedenken der Initiatoren nicht teile, wohl aber den Wunsch nach mehr Parlamentsbeteiligung. „Unsere eigenen Forderungen gehen in die gleiche Richtung“, sagte Beck.

Die Bundesregierung plant die Abstimmung über ESM und Fiskalpakt bisher für Ende Mai; SPD und Grüne haben diesen Zeitplan aber infrage gestellt.

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