Bürgerentscheid ohne Folgen: „Ein Bärendienst“

Im September stimmen AltonaerInnen in einem Bürgerentscheid über die Bebauung des „Zeise 2“ ab. Zu entscheiden gibt es nichts. Macht das trotzdem Sinn?

Kann mal was nützen und mal nicht: Abstimmen im Bezirksamt. Foto: dpa

taz: Herr Schnapp, bei der Bebauung von „Zeise 2“ haben die Bürger nichts mehr zu entscheiden. Trotzdem lässt man sie abstimmen. Gaukelt man ihnen was vor?

Kai-Uwe Schnapp: Das kommt darauf an, wie bewusst das den Leuten ist, die daran teilnehmen. Aber das Interessante ist vor allem: Wer gaukelt wem was vor? Meistens wirft man der politischen Elite vor, dass sie den Leuten Beteiligung vorgaukelt. Im Zweifel wirft man es Olaf ­Scholz vor, Alexis Tsipras müsste man es im Moment wohl auch vorwerfen. In Ottensen ist es eine sehr schräge Situation: Leute, die etwas gegen ein von der Politik und Verwaltung angeschobenes Projekt haben, instrumentalisieren den Bürgerentscheid für einen Zweck, für den er eigentlich nicht gemacht ist.

Wofür ist er gedacht und wozu wird er hier genutzt?

Er ist als Mitbestimmungsins­trument gedacht und wird hier als Protestinstrument genutzt.

Die Initiative „Pro Wohnen Ottensen“ will, dass auf dem „Zeise 2“-Grundstück Wohnungen entstehen, statt der vom Bezirk geplanten 850 Büros einer Werbeagentur. Sie sammelten genug Unterschriften, damit es im September zum Bürgerentscheid kommen kann.

Entscheiden sich die AltonaerInnen für die Büros, ändert sich nichts am Plan des Bezirks. Entscheiden sie sich für Wohnungen, auch nicht: Dann muss zwar der Bebauungsplan geändert werden, aber es greift der Bestandschutz für bereits genehmigte Projekte.

Die InitiatorInnen bezeichnen den Bürgerentscheid als „Abrechnung mit dem Politikstil der Stadt“.

49, ist Professor für Politikwissenschaften an der Uni Hamburg. Sein Schwerpunkt sind Methoden der Sozialforschung. 

Wem schadet das?

Dem Instrument Volksentscheid. Und zwar auf beiden Seiten: Gegner bekommen so das Argument in die Hand: „Die wollen das doch nur als politisches Spielzeug benutzen“, und für die Befürworter ist es so, dass man dem Instrument nächstes Mal nicht mehr trauen kann, weil man nicht mehr weiß, ob es ernst gemeint ist oder ob es um etwas anderes geht.

Führt so etwas zu Politikverdrossenheit?

Ob es unmittelbar zu Frustration führt, ist schwer zu sagen. Aber dem Instrument, das in Hamburg sehr gut genutzt werden kann, weil die Hürden niedrig sind, erweisen die Initiatoren einen Bärendienst. Denn sie wenden es in einer Situation an, in der es eigentlich nichts bewirken kann. Für so eine Situation muss man auf andere Verfahren der Beteiligung oder des Sich-Gehör-Verschaffens zurückgreifen als auf ein Instrument, das genau diesen Zweck nicht hat.

49, ist Professor für Politikwissenschaften und lehrt an der Universität Hamburg. Sein Schwerpunkt liegt auf Methoden der Sozialforschung.

Sind Bürgerentscheide grundsätzlich immer etwas Gutes?

Dass es die Möglichkeit gibt, ist etwas Gutes. Es ist schon ein feinfühliges Instrument – man lernt, was die Bürger interessiert und wo sie sagen „Lass mich damit in Ruhe.“ Wenn ein Anliegen scheitert, hat sich gezeigt: Okay, hier ist keine ernsthafte politische Masse vorhanden, um das Anliegen zu thematisieren. Ein paar Leute, die sich für etwas interessieren, gibt es immer. Letztlich muss in einer Demokratie aber mit Mehrheiten entschieden werden.

Und wenn dabei etwas herauskommt, das für die Mehrheit negative Folgen hat?

Wie zum Beispiel „Wir wollen lernen“, der Bürgerentscheid der Eltern gegen die Schulreform 2010? Wenn eine ressourcen- und meinungsstarke Gruppe das Verfahren kapert und damit Erfolg hat gegen die Mehrheit einer Bevölkerung, die nicht interessiert oder informiert genug ist, um dagegenzuhalten – dann muss man dafür sorgen, dass die Gruppe derer, die dagegen ist, so laut wird, dass eine Entscheidung getroffen wird, die besser für die Mehrheit ist. Wenn das dann nicht klappt, ist das etwas, was in einer Demokratie passieren kann. Nach dem alten Spruch: Demokratie bevorteiligt den Aktiven. Das Problem an diesem lapidaren Satz ist nur, dass das Aktiv-Sein-Können sozial ungleich verteilt ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.