Bürgerkrieg in Syrien: Kurden zwischen den Fronten

Im Nordosten des Landes verliert das syrische Regime langsam die Kontrolle. Die Bevölkerung ist gegen Assad, fürchtet aber zugleich die Zeit nach dessen Sturz.

Sorgen um die Zukunft: Kontrollposten kurdischer-syrischer Kämpfer am Stadtrand von Dêrik. Bild: Benjamin Hiller

DÊRIK taz | In der Provinz Dêrik im kurdischen Nordosten Syriens sind die Polizeistationen verlassen. Mitglieder der vor zehn Tagen gegründeten bewaffneten „Union zum Schutz der Bevölkerung“ (YPG) haben die Anhänger von Präsident Baschar al-Assad vertrieben.

Gleichzeitig achtet die YPG mit ihren schätzungsweise 2.000 Kämpfern aber darauf, dass keine arabischen Kräfte der Freien Syrischen Armee (FSA) in die von ihnen kontrollierten Gebiete einsickern. Denn die Kurden wollen nicht in den Konflikt zwischen der FSA und der Armee hineingezogen werden.

Zu groß ist die Angst davor, dass das säkulare Regime durch eine islamistische Regierung ersetzt wird und dies der Türkei die Möglichkeit gibt, ihren Einfluß auf Syrien zu verstärken. In der Region ist auch ein Ableger der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK aktiv, die die Regierung in Ankara bekämpft.

Freunde Assads sind die syrischen Kurden, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, jedoch nicht, leiden sie doch als Bürger zweiter Klasse unter zahlreichen Einschränkungen. So wurde 300.000 Personen die Staatsbürgerschaft entzogen und Unterricht in Kurdisch ist verboten.

Angriffe auf das Regime lehnen die Kurden ab

Daher legen die Kurden seit dem Beginn der Proteste in Syrien ihre Priorität auf die Sicherung der eigenen Interessen. Zwar demonstrierten auch hier je nach Größe des Ortes zwischen einigen hundert bis zu mehreren zehntausend Menschen gegen Assad, aber Angriffe gegen Einrichtungen des Regimes lehnten sie zunächst ab. Statt dessen eröffneten Aktivisten Kulturzentren und richteten Sprachschulen ein.

Da das Regime sich auf die arabischen Gebiete konzentriert und dort die Aufstände niederschlägt, gab dies der 2007 ins Leben gerufenen zivilgesellschaftlichen Organisation Tev-Dem (Demokratische Gemeinde-Bewegung) die Möglichkeit, eigene Pläne zu machen. Mittlerweile haben sich fast alle kurdischen Gruppen unter diesem Dach versammelt.

„Ehe man die Regierung ändern kann und das System stürzt, muss die Bevölkerung organisiert werden. Und das herrschende Gedankengut muss verändert werden“, meint Aldar Xelil, einer der drei Vorsitzenden von Tev-Dem. „Wir sind natürlich gegen die Regierung, aber wir werden genauso für die Kurdenrechte kämpfen und nicht das Eine für das Andere aufgeben.“

Die Befürchtungen scheinen gerechtfertigt. So hat der oppositionelle Syrische Nationalrat bisher den Begriff „Kurden“ vermieden und erweiterte Minderheitenrechte für die Zeit nach Assad abgelehnt.

Frauen fürchten die Islamisierung

Daher versuchen die Kurden einen dritten Weg: Einerseits gegen das Regime zu protestieren, sich aber andererseits auf einen eventuellen Bürgerkrieg mit dem arabischen Teil der Bevölkerung nach dem Sturz Assads vorzubereiten.

Insbesondere Frauen fürchten eine Islamisierung: „Wir versuchen, uns selber zu organisieren und die Frauenbewegung - nicht nur bei uns Kurden, sondern auch bei den Christen, Alawiten und Arabern - zu stärken“, meint Amara Kocher, Tanzlehrerin im neuen Kulturzentrum im Dorf Bestasos. „Denn wenn die arabische Opposition an die Macht kommen sollte, wird es für uns Frauen gefährlich.“

Auch die Frauen in dem ebenfalls neuen Frauenzentrum in Dêrik sehen die Gefahr eines Bürgerkriegs: „Wir bereiten uns darauf vor, die Gemeinde in einem Bürgerkrieg zu unterstützen. Jede Frau hier kann nun Erste Hilfe leisten und mit einer Waffe umgehen. Wir wollen nicht die Opfer sein, wie es die Frauen und Familien in Homs und Idlib sind,“ betont eine der Anwesenden.

In den letzten beiden Wochen kam es fast täglich zu Protesten gegen Assad, oft unter der Parole „Freiheit für Kurdistan“. Der Anschlag in Damaskus, bei dem vier führende Personen des Regimes getötet wurden, war eine Art Startschuss: In einer koordinierten Aktion der YPG wurden in den Städten Girke Lege, Kubani, Ifrin und Amude Polizisten verhaftet, Soldaten entwaffnet und Regierungsgebäude eingenommen.

Doch in Dêrik, einer für die Ölindustrie wichtigen Stadt, es kam zu Feuergefechten, worauf die Armee Verstärkung schickte. Es scheint, als sei der bewaffnete Konflikt nun auch in den kurdischen Gebeiten Syriens angekommen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.