Bürgerprotest gegen Sicherungsverwahrte: Nicht bei uns

In Hamburg-Jenfeld sollen künftig zwei entlassene Sicherungsverwahrte leben - die Anwohner protestieren. Drei SenatorInnen versuchten, ihnen das Konzept nahezubringen. Erfolglos.

Anwohner mit Humor begrüßen die neuen Nachbarn offenbar schon mal. Bild: Hendrik Doose

HAMBURG taz | Die Stimmung ist ein bisschen wie vor einem Boxkampf am Dienstagabend im größten Saal der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg-Jenfeld. Dabei ist es nur eine Bürgersprechstunde. Auf dem Podium sitzen die Justizsenatorin, der Sozial- und der Innensenator und Bezirks-Chef. Journalisten sind gekommen, auch Vertreter der Opposition. Und die Anwohner.

Auch der Anwalt der beiden Männer, um die es hier geht, ist da. Nur die beiden Männer nicht, und das ist wohl besser für sie: Herr W. und Herr D., so nennt man sie auf dem Podium; diese Männer, "Täter" und auch "Kinderficker" nennt man sie im Saal. Herr W. und Herr D. waren jahrzehntelang in Sicherungsverwahrung, nun sind sie freie Männer. Geht es nach dem SPD-Senat, sollen sie künftig in einem leer stehenden Altenheim in Jenfeld leben. Geht es nach den Jenfeldern, sollen sie irgendwo leben. Aber nicht hier.

Die Senatoren sind gekommen, um in einen Dialog mit der Bevölkerung zu treten, sagen sie. Sie hätten sich die Situation nicht ausgesucht. Sie sagen nichts dazu, dass die Dinge bereits entschieden sind, und dass es nur darum geht, sie zu erläutern. Aber die Leute werden bereits unruhig, als der Sozialsenator das Arbeitskonzept für die beiden Männer erklärt. Müssen sie nun arbeiten oder nicht?, wollen sie wissen, und als der Senator von dem Sicherheitsdienst spricht, der rund um die Uhr im Haus sitzen soll, und von der tagesstrukturierenden Beratung, ruft der erste dazwischen: "Wer zahlt das?" "Die Stadt", sagt der Senator. Das stößt auf Unmut.

Aufgrund spektakulärer Gerichtsurteile wurden in den letzten zwei Jahren einige Dutzend Menschen aus der Sicherungsverwahrung entlassen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied in mehreren Urteilen, dass weder eine nachträgliche Verlängerung noch eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zulässig ist.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Urteile im Mai und ordnete eine Freilassung der Betroffenen bis spätestens Ende des Jahres an.

"Hoch gefährliche" und zugleich "psychisch gestörte" Insassen können auch weiter zwangsweise untergebracht werden.

Andere Entlassene können dagegen ihren Wohnsitz frei wählen. Für sie gilt das Grundrecht auf Freizügigkeit. Sie unterstehen allerdings noch einige Jahre lang der Führungsaufsicht. Dabei können ihnen Weisungen erteilt werden, etwa der regelmäßige Besuch einer Therapie. CHR

Eine Schülerin steht auf, sie ist aufgeregt, als ginge es um einen Auftritt, aber das ist es hier ja auch. Sie müssten auf dem Weg zur Schule ganz in der Nähe des Altenheims vorbei, sagt sie, wo der Kinderschinder, nein Kinderschänder, dann ja lebe und warum man die Täter im Blick habe und nicht die Schüler.

Nach den Tätern wird erstaunlich wenig gefragt. Der stellvertretende Leiter der Hamburger Kriminalpolizei wird später ungefragt erklären, dass Herr W. 59 Jahre alt ist, also kein junger Mann mehr, er ist wegen mehrfacher Vergewaltigung verurteilt, saß fast 30 Jahre in Süddeutschland in Haft und kam 2010 nach Hamburg. Nicht unbedingt freiwillig, mehrere andere Orte hat er verlassen, nachdem die Bevölkerung von seiner Anwesenheit erfuhr und protestierte.

"Er hat Ängste", sagt der Kriminalpolizist und der Saal gerät in Aufruhr. Herr W. ist aus Sicht der Polizei ungefährlich, dennoch wird er fortwährend von der Polizei überwacht. Herr D. ist 60 Jahre alt, "kein Sexualstraftäter", sagt der Kriminalpolizist. D. ist wegen Totschlags verurteilt, er besucht freiwillig die sozialtherapeutische Anstalt und bewegt sich seit einem Jahr unbegleitet durch die Stadt. Wenn D. Alkohol trinke, könne er gefährlich werden, sagt der Polizist, aber genau deshalb werde er regelmäßig auf Alkoholkonsum kontrolliert.

Es gibt viele Fragen. Die Leute stellen sich vor, sie haben keine Scheu vor den Politikern. Im Gegenteil. Sie fragen immer wieder, ob die Senatoren eine Garantie dafür übernehmen könnten, dass nichts passieren werde; ob die Unterbringung tatsächlich nur für ein Jahr geplant sei.

"Ja", sagt die Justizsenatorin, danach laufe der Mietvertrag ohnehin aus, weil dann auf dem Grundstück gebaut werde. Sie sagt, dass jetzt Planungen für die Zeit danach liefen. Sie sagt nicht, was für Folgen es hat, dass die beiden Männer erklärt haben, nicht nach Jenfeld kommen zu wollen. Wegen der Polizeiüberwachung sei es dort "wie im Zoo", haben sie ihrem Anwalt erklärt.

Die Jenfelder wollen wissen, warum es immer den Hamburger Osten treffe, warum ihren Stadtteil, der doch versuche, dem Bild des sozialen Brennpunkts zu entkommen, warum dort, wo es Schulen und Kitas gebe. "Nimm ihn doch zu dir", rufen sie den Senatoren entgegen.

Und die Senatoren? Die Justizsenatorin versucht, ein paar rechtliche Fragen zu klären. Herr W. und Herr D. seien freie Männer, sagt sie, sie könnten ihren Wohnort frei aussuchen. Die Stadt Hamburg habe keine andere Wahl, als das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs umzusetzen, der die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Unrecht erklärt hat. Aber sie dringt nicht durch. Sie sagt nicht, dass Hamburg das erste Bundesland ist, das ein solides Konzept zum Umgang mit diesen Entlassenen vorlegt, statt zu versuchen, sie in andere Bundesländer abzuschieben.

Eine Frau will wissen, wie genau der Tagesablauf der Männer aussehen soll und wie die rund-um-die-Uhr-Bewachung. Da steht ein Mann auf und sagt: "Das ist keine von uns. Die kommt doch vom Senat oder von der Presse."

Geklatscht wird bei anderen Beiträgen. Die Männer hätten ihr Recht verwirkt, wie normale Menschen behandelt zu werden, schreit eine Frau im rosa Jackett, die möchte, dass die Justizsenatorin sie ansieht. Das gefällt den Leuten besser. Wenn jemand ungefährlich sei, könne man ihn freilassen, sagt ein Mann. Wer gefährlich sei, gehöre ins Gefängnis. Er berührt da, vielleicht ohne es zu merken, eine schwierige Frage. Wie rechtfertigt sich eine rund-um-die-Uhr-Bewachung für einen freien Mann?

Das Gericht hat entschieden, dass bei Herrn W. nicht die hochgradige Gefahr schwerster Sexual- und Gewalttaten besteht, die eine Entlassung verhindern würde. Danach hat eine Fallkonferenz entschieden, dass er bewacht werden soll - wenn auch immer weniger, das erwähnt an diesem Abend aber niemand. Stattdessen verweist der Innensenator darauf, dass die Polizisten auch nicht froh über ihre Aufgabe seien. Aber dass man die Sicherheit und die Sorgen der Bevölkerung eben ernst nehme.

"Sind Sie beruhigt?", fragt der Moderator eine Frau. Nein, sie ist nicht beruhigt. "Was könnte Sie beruhigen", fragt er weiter. "Wenn die Männer nicht in der Nähe von Schulen und Kindergärten wären", sagt sie. Ein Mann murmelt "abbrennen", das sei die Antwort. "Wir machen Ihnen die Hölle heiß", ruft ein anderer in Richtung Podium und der Saal tobt. Die Schlussworte der Senatoren sind eher kraftlos.

Sie wolle im Dialog bleiben, sagt die Justizsenatorin und eine Frau im Publikum ruft lachend, dass man ja Telefonnummern austauschen könne. Der Sozialsenator will keine Garantie dafür geben, dass die Wiedereingliederung gelingt, was eine ehrliche Antwort ist. Nicht ganz so ehrlich scheint seine Erklärung, dass es dazu kein Gutachten gebe - zumindest der Anwalt schüttelt den Kopf.

Dann können die Jenfelder den Senatoren noch einzeln Fragen stellen, aber der Bedarf ist überschaubar. Die Frau im rosa Jackett steht in einer Gruppe, die überlegt, wie viele Bücherhallen man anstelle der Überwachung finanzieren könnte.

Eine Gruppe in teuren Wollmänteln spricht mit einem Journalisten. "Diese Männer wollen nicht nach Blankenese." Für die Blankeneser im betuchten Hamburger Westen stellt sich die Frage gar nicht.

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