Bürgertag im Stasimuseum: Berliner schnuppern Stasi-Luft

Die Büroräume von Stasi-Chef Mielke sind jetzt saniert. 20 Jahre, nachdem die ersten Bürger Einsicht in ihre Akten nahmen, kommen 6.000 Besucher nach Lichtenberg. Joachim Gauck wird erst beklatscht - und dann ausgepfiffen.

Technik aus der Abteilung Horch und Guck Bild: dpa

Der Mann merkt nicht, dass er sich blamiert. Er ist offensichtlich als Tourist in der Stadt, kennt sich in Lichtenberg nicht aus. "Wo ist denn nun dieses Stasi-Museum?", fragt er Ole-Jörg Romann. Und noch bevor der mit seiner Wegbeschreibung fertig ist, empört sich der Tourist über mangelhafte Ausschilderung: "So geht man mit deutscher Geschichte um: Man versteckt sie."

Was der Mann nicht weiß: Er befindet sich bereits auf dem Gelände des Stasi-Museums. Hier ist an diesem Samstag "Bürgertag". Vor 20 Jahren konnten die ersten Bürger hier Einsicht in ihre Akten nehmen, darum hat der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn eingeladen. Für den Beauftragten arbeitet Romann: 70 Menschen laufen hinter ihm, kollektiv stöhnen sie über den Touristen, der weitergelaufen ist; sie wissen es besser, sie gehören zu rund 6.000 Besuchern heute. Und bei 6.000 Besuchern an einem Tag kann man von allem sprechen, aber nicht von "versteckter Geschichte".

111 Kilometer würden die bisher hier archivierten Akten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit und seiner 8.000 Mitarbeiter ergeben, reihte man sie aneinander. So viel Papier und so viele Mitarbeiter brauchen Platz, 20 Hektar groß ist das Areal zwischen Magdalenen- und Ruschestraße. 60 Minuten hat Romann dafür veranschlagt, es ist weniger eine Museums- denn eine Stadtteilführung: Romann beginnt mit der ersten urkundlichen Erwähnung Lichtenbergs, 1288, während neben ihm Autos über das Kopfsteinpflaster der Magdalenenstraße donnern. Es werden angenehm nüchterne 60 Minuten, ohne Pathos, mit vielen Fakten und ein paar Anekdoten.

Etwa vom Hans-Zoschke-Stadion, das das Stasi-Gelände durchschneidet und das Mielke sich immer einverleiben wollte: Doch die Witwe des von den Nazis ermordeten Antifaschisten Zoschke sorgte dafür, dass das Stadion blieb. Hier ein paar Lacher darüber, dass ausgerechnet das Finanzamt heute in dem Haus residiert, das einst die Sauna-Landschaft der Stasi beherbergte. Dort die erstaunte Frage einer jungen Frau, warum Stasi-Chef Erich Mielke sein Ministerium denn gar so hermetisch abzuriegeln bedacht war. "Warum riegelt der BND seinen Neubau an der Chausseestraße in Mitte gerade so hermetisch ab?", fragt Romann zurück. "Geheimdienst bleibt Geheimdienst."

Das gilt für die Abschottung nach außen ebenso wie für die Ausstattung von Mielkes Büroräumen, in die einige Teilnehmer der Tour nach deren Ende drängen: Haus 1, zweiter Stock, alles frisch saniert und heute zum ersten Mal öffentlich zugänglich: Ganze Nächte habe Mielke hier verbracht, das Romann erzählt. Es gibt angenehmere Orte, um sich die Nächte um die Ohren zu schlagen. Ein Konferenzsaal mit großem Tisch und Stühlen darum, an der Wand ein den "antifaschistischen Schutzwall" verherrlichendes Gemälde. Braune Schreibtische, mit rot-weißem Plastikband abgetrennt vom Gang, der für die Besucher vorgesehen ist. Büroräume aus den 1960er Jahren eben, in Sachen Ausstattung wenig spektakulär. Dennoch zwängen sich hier den ganzen Tag die Menschen aneinander vorbei.

Ob er so etwas wie Genugtuung empfände, fragt Moderator und Bild-Journalist Hans-Jörg Vehlewald den einst aus der DDR ausgebürgerten Jahn bei einer Podiumsdiskussion. Kaum, antwortet der, aber als er eben die Menschenmassen in den Büroräumen gesehen habe, da habe er sich gedacht: "Wenn der Mielke das wüsste!"

Genugtuung spielt eine große Rolle für die vielen, die wenig später laut buhen und pfeifen in der alten Kantine. Joachim Gauck gelten ihre Missfallensäußerungen, dem ersten Bundesbeauftragten, der hier neben seinen Nachfolgern Marianne Birthler und Jahn sitzt und der zuvor, bei der Vorstellungsrunde als einziger Szeneapplaus bekam: als ihn der Moderator als "einstigen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten" vorstellte. Doch jetzt sagt Gauck: "Es ist nicht verhältnismäßig, Leute wegzuschicken, die 20 Jahre lang im Interesse des Rechtsstaats und der Opfer gehandelt haben und die so gezeigt haben, dass sie in der Demokratie angekommen sind."

Wegschicken will Jahn diese 45 Mitarbeiter, sie haben früher für die Stasi gearbeitet und sollen darum nun in andere Behörden versetzt werden. Dem "Klima der Versöhnung", das zu stiften Jahn nach eigenem Bekunden angetreten ist, soll das dienen. Am Ende des Bürgertages ist davon wenig übrig geblieben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.