Bundesliga in Corona-Zeiten: Spiel immerhin mit Ball

Warum ein Kick mit nur wenigen Zuschauern immer noch besser ist als gar kein Kick. Auch wenn es in der Wolfsburger VfL-Arena stattfindet.

Kaum gefüllte Tribüne beim Bundesligaspiel Wolfsburg-Leverkusen

Rot-weiße Bänder in grün-weißem Stadion: Tribüne beim Bundesligaspiel Wolfsburg-Leverkusen Foto: dpa/Steffen

Es ist ein großartiges Gefühl, wenn man nach mehr als sechs Monaten zurück im Stadion ist. Die meisten Fußballfans wissen das nicht, weil sie nie oder kaum ins Stadion gehen, und offenbar brauchen sie das auch nicht. Aber raus aus den dunklen Katakomben in die Sonne und auf die Tribüne zu treten, den Blick auf das noch leere Spielfeld: Es gibt wenige Momente im Leben eines Menschen, die gegenwärtiger und gleichzeitig zukunftsfreudiger sind als dieser.

Das Stadionerlebnis, das wissen wir aus Hans Ulrich Gumbrechts Buch „Crowds“, ermöglicht Gefühle, die es im „normalen“ Leben nicht gibt, weil man – ohne sich in der Masse zu verlieren – dezen­tral verknüpft Teil einer Masse werden kann, und also auch an kollektive Gefühle angeschlossen ist, die einem allein nicht zugänglich sind. Und am Fernseher auch nicht.

Nun kann man allerdings bei 500 Leuten, wie am Sonntagabend in der VW-Arena von Wolfsburg, nicht von einer Masse sprechen. „Ausverkauft“, meldet der Stadionsprecher, aber eben nur auf der Grundlage der Coronaregularien. Die Nordkurve, Heimat der VfL-Ultras, ist komplett leer, der Gästeblock eh, in der Südkurve sitzen acht Leute, und leider fehlt auch Herr Pfui, ein Dauerkartenbesitzer direkt rechts von der Pressetribüne, der seit Jahren verlässlich erregt „pfui“ zu rufen pflegt. Allerdings nur bei Vergehen der Gästemannschaft. Aktionen seines Teams sind niemals pfui.

Es ist verständlich, dass vor allem Ultras gekränkt sind, dass es eine Weile auch ohne sie geht. Aber ein Fußballspiel funktioniert auch ohne Zuschauer, wie man in den letzten Monaten sehen konnte, als es teilweise großartige Spiele gab. Vor allem bei Beteiligung des FC Bayern München. Es ist dann aber, wie Gumbrecht sagt, eben nur ein Spiel, kein Ritual. Es verliert seine gefühlte Bedeutung ohne Zuschauer, und das kann man nicht dauerhaft kompensieren.

„Unsre Farben leuchten hell“

Aber meanwhile ist ein Fußballspiel besser als kein Fußballspiel. Und 500 Leute sind besser als gar keine. Lassen wir mal die blöden Witze über Wolfsburg beiseite (Der VfL spielte ja sowieso ohne Fans, usw.): Das ist nicht die gewohnte Stadionatmosphäre, eher so Landesliga, aber die Stimmung ist gut – und es ist eben nicht nichts, für die, die ein Ticket zugelost bekamen und die nun da sind.

Für die ist es auch wieder ein Ritual, das Tage zuvor mit der Freude auf den kommenden Stadionbesuch beginnt, dann das Kitzeln am Spieltag, die Anreise, die Sicht auf das Stadion aus der Ferne, das Reingehen, das Warten auf den Anpfiff. In diesem Fall eine Viertelstunde vorher die Höllenhymne „Grünweiß VfL, unsre Farben leuchten hell.“

Die Gefühle sind nicht so intensiv wie in einem vollen Stadion, weil man eben nur ein kleines bisschen an kollektive Emotionswellen angeschlossen ist. Elfmeter oder nicht – die Sekunden des Hoffens und Bangens flashen nicht, sondern bizzeln eher. Das mag für Rauschsuchende blöd klingen, aber durch den fehlenden Roar und das Runterdimmen der emotionalen Dröhnung entsteht auch Raum für andere Bereiche. Und vor allem: Man sieht mehr Fußball.

Aber Gumbrecht hat schon auch recht: Das leere Stadion ist die Woche und der rationale Alltag, das volle Stadion ist das Fest, das Besondere, das Gefühl zu existieren und an etwas von Bedeutung teilzuhaben. Aber was ich sagen kann: Man kann auch in einem fast leeren Stadion und bei einem 0:0 intensiv spüren, dass es ziemlich einzigartig ist, am Leben zu sein.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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