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Bundesprogramm „Demokratie leben!“Prien schießt sich auf Demokratieprojekte ein

Die Bundesbildungsministerin legt neue Schwerpunkte für Demokratieförderung vor – die betroffenen Verbände sehen sich unter Generalverdacht.

Sieht Reformbedarf bei „Demokratie leben!“: Bundesbildungsministerin Karin Prien Foto: Kay Nietfeld/dpa
Ralf Pauli

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Ralf Pauli aus Berlin

Der von Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) versprochene Kurswechsel im Umgang mit Demokratieprojekten nimmt konkrete Formen an. Das zeigt ein Informationsschreiben aus ihrem Ministerium an Vereine und Verbände, die aktuell über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert werden. In dem vom Dienstag datierten Schreiben, das der taz vorliegt, kündigt Priens Staatssekretär Ingo Behnel weitreichende Neuerungen für die künftige Förderung an. Die neuen „Handlungsschwerpunkte“ gelten voraussichtlich ab dem Jahr 2027.

Dann soll das Programm „neben der Bekämpfung des Rechtsextremismus deutlich stärker auch den Antisemitismus, den islamistischen Extremismus und den Linksextremismus berücksichtigen“. Weiter will das Ministerium neben zivilgesellschaftlichen künftig auch Projekte aus der Wirtschaft fördern. Dafür werde das Programm „für die Arbeits- und Unternehmenswelt“ geöffnet. Ferner bekräftigt Staatssekretär Behnel die umstrittene Ankündigung seiner Ministerin, Demokratieprojekte verstärkt durch den Verfassungsschutz überprüfen zu lassen.

Wörtlich heißt es dazu in dem Schreiben: „‚Demokratie leben!‘ hat sich mit Extremismusvorwürfen gegen einzelne Träger auseinandersetzen müssen. Teilweise wurden dadurch auch die Integrität und gesellschaftliche Akzeptanz des Programms insgesamt in Frage gestellt. Dem werden wir mit einer die Verhältnismäßigkeit wahrenden Überprüfungspraxis begegnen“.

Welche Träger hier gemeint sind und wer die gesellschaftliche Akzeptanz von „Demokratie Leben!“ deshalb in Frage stellt, lässt Staatssekretär Behnel jedoch offen – auch eine entsprechende Anfrage der taz lässt das Ministerium unbeantwortet. Eine Sprecherin vewies lediglich „auf die mediale Berichterstattung zum Bundesprogramm ‚Demokratie leben‘ sowie parlamentarische Fragen“.

„Eine fatale Botschaft“

Bei den Emp­fän­ge­r:in­nen sorgt die Neuausrichtung für Entsetzen. „Das Schreiben stellt die zivilgesellschaftlichen Träger unter einen Generalverdacht“, kritisiert Heike Kleffner, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG). Damit, sagt Kleffner der taz, verstärke das Ministerium die Delegitmierungskampagnen der extremen Rechten gegen demokratische Akteure.

Mit der Überprüfung durch den Verfassungsschutz sende die Bundesregierung eine „fatale Botschaft des Misstrauens“ – „gerade angesichts des dramatisch hohen Niveaus rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten“. Ähnlich kritisch hatte sich auch der langjährige Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, in der taz geäußert.

Zwar wurden Demokratieprojekte bereits unter der Ägide von Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD) massenhaft vom Verfassungsschutz durchleuchtet, wie kürzlich eine Kleine Anfrage der Linkspartei ans Licht brachte. Allerdings hielten sich die damaligen Regierungsparteien mit Kritik an der Zivilgesellschaft öffentlich stärker zurück als aktuell die Union unter Merz.

Seit dessen Tabubruch im Januar, als er im Bundestag gemeinsam mit den Stimmen der AfD einen asylkritischen Beschluss herbeiführte und damit bundesweite Proteste auslöste, steht die Union auf Kriegsfuß mit allen, die sich gegen rechts engagieren. Teilweise geht die CDU auf lokaler Ebene schon gemeinsam mit der AfD gegen bestehende Demokratieprojekte und deren staatlicher Förderungen vor – wie zuletzt im sächsischen Wurzen.

Unklare Finanzierung

Doch auch auf Bundesebene wackelt die Finanzierung. In ihrem Haushaltsentwurf für 2026 sieht die Bundesregierung zwar 209 Millionen Euro für „Demokratie leben!“ vor, also etwas mehr als in diesem Jahr. Mittlerweile hat die zuständige Ministerin Prien jedoch Kürzungen für das Bundesprogramm angekündigt. Offiziell, weil der Bund bis 2029 170 Milliarden Euro einsparen müsse und deshalb auch Demokratieförderung unter Finanzierungsvorbehalt stehe.

Was das für die Projektträger heißt, erfuhren sie jetzt im Schreiben aus dem Prien-Ministerium: Vor den Entschlüssen des Bundestags über das kommende Haushaltsjahr „kann über Ihre Folgeanträge nicht entschieden werden“. Welche Demokratieprojekte im Januar weiter gefördert werden und welche nicht, klärt sich möglicherweise erst in den abschließenden Beratungen Ende November.

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