Bundestagsdebatte nach der Tat von Halle: Warum erst jetzt?

Innenminister Seehofer verspricht mehr Schutz von jüdischen Einrichtungen und erschwert Waffenkäufe. Das ist gut, kommt aber zu spät.

Horst Seehofer

Horst Seehofer macht derzeit manches richtig, aber nicht alles Foto: dpa

CSU-Innenminister Horst Seehofer will als Reaktion auf die rechtsterroristische Tat von Halle genauso viel Geld für den Kampf gegen rechtsextreme wie gegen islamistische Gewalt ausgeben. Das klingt gut. Jüdische Einrichtungen sollen künftig besser geschützt werden. Das ist ein Fortschritt nach den selbstgefälligen Erklärungen des CDU-Innenministers von Sachsen-Anhalt, in Halle sei es doch polizeilich gut gelaufen. Rechtsextreme sollen nicht einfach so legal Waffen kaufen können. Und: Hetze und Morddrohungen im Netz sollen besser erfasst und härter bestraft werden.

All das weist in die richtige Richtung. Diesmal scheint mehr zu passieren als der übliche Reflex, nach spektakulären Gewalttaten alte politische Forderungen aus der Schublade zu holen. Auch wenn bei den konkreten Gesetzen noch zu prüfen ist, ob sie zielgenau sind oder Freiheitsrechte einschränken.

Aber: Warum erst jetzt? Und warum redet Seehofer nach Halle von einem Einzeltäter? Das trifft auf Stephan B. zu – ist aber für rechten Terror keineswegs typisch. Der vermutliche Mörder von Walter Lübcke war ein bekannter Rechtsextremist. Die Serientäter des NSU waren einschlägig bekannte rechte Gewalttäter, die mit der Szene vernetzt waren. Die rechten Täter, die seit 1990 mehr als 150 Menschen töteten, waren keine einsamen Computernerds oder Einzeltäter. Dass Seehofer das offenbar nicht recht bewusst ist, weckt Zweifel daran, dass die Bekenntnisse, diesmal entschlossen gegen Rechtsterrorismus vorzugehen, mehr sind als ein situativer Reflex.

Bemerkenswert in der Bundestagsdebatte war die Lesart von AfD-Frak­tionschef Alexander Gauland: Weil die Regierung „kulturfremde Menschen“ ins Land gelassen habe, gebe es nun eine allgemeine Radikalisierung. In diesem Bild sind die Flüchtlinge schuld am Rechtsterror von Halle. Diese Umkehrung ist infam. Und sie siedelt nah an der Vision militanter Rechtsextremisten, die von einem Rassenkrieg träumen, der in multikulturellen Gesellschaften unvermeidbar sei. Es gibt in der Tat eine Radikalisierung – in der AfD.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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