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Bundesweite Schü­le­r:in­nen­pro­tes­teFridays gegen Wehrdienst

Bundesweit rufen Bündnisse zum Schulstreik gegen Musterung und Wehrpflicht auf. Die taz hat sich bei Streikwilligen und Jugendorganisationen umgehört.

Hier wird schulgestreikt Foto: Jens Kalaene/dpa

Ruben O., 16, geht auf ein Gymnasium in Grunewald

Ich streike, um darauf aufmerksam zu machen, wie scheiße die Bundesregierung mit uns umgeht. Das Gesetz hat sie ohne unsere Zustimmung entworfen, ohne sich mit uns Schülern abzusprechen. Warum sollten 70-Jährige im Bundestag über unser Leben bestimmen? Wir wollen frei entscheiden, was wir nach der Schule machen, und nicht verpflichtend lernen, andere Menschen zu erschießen. Auch die Verpflichtung von nur männlichen Personen ist nicht mehr zeitgemäß.

Meine Schule ist eher konservativ. Die Eltern haben eher eine konservative Meinung und die Schüler auch. Das Meinungsbild aber ist gemischt. Viele sagen, das ist echt kacke, ich will nicht zur Bundeswehr. Einige männliche, aber auch weibliche Stimmen haben die Wehrpflicht dagegen sehr begrüßt. An meiner Schule wollte ich Plakate für den Streik aufhängen, aber das haben sie uns verboten. Sie meinten: Wir als Schule halten uns aus politischen Dingen heraus.

Ich bin an der Organisation der Streiks beteiligt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es regelmäßige Streiks werden. Eine Hauptmotivation ist, dass ich dieses Jahr die Ehre hatte, zwei Zeitzeugen aus dem 2. Weltkireg zu treffen. Einer erzählte von der Angst damals, dass jederzeit eine Bombe aufs Haus fallen könnte. Der andere sagt, dass er 12 Jahre alt war, als er seinen Bruder das letzte Mal gesehen hat. Das sind Ängste und Schicksale, die kein Mensch auf der Welt haben sollte.

Bundesweiter Schulstreik am Freitag

Der Schulstreik Mit zwei Demonstrationen und einem „Schulstreik gegen Wehrpflicht“ wollen in Berlin Schü­le­r:in­nen und Un­ter­stüt­ze­r:in­nen am Freitag gegen die Wehrdienst-Pläne der Bundesregierung protestieren. Sie beteiligen sich an einem bundesweiten Aktionstag, zu dem mehrerer Jugendorganisationen und auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufrufen. Der Bundestag will an diesem Tag voraussichtlich über das Wehrdienst-Modernisierungsgesetz entscheiden. Die schwarz-rote Koalition hatte sich auf einen zunächst freiwilligen Wehrdienst geeinigt.

Die Demo Die erste Demonstration am Freitag startet um 12.00 Uhr am Mehringplatz in Kreuzberg, von dort soll der Zug zum Oranienplatz ziehen. Um 16.00 Uhr geht es dann mit einer zweiten Demonstration vom Oranienplatz zum Rathaus Neukölln.

Die Verwaltung Der Senat verweist auf die Schulpflicht. Das Thema beschäftige aktuell viele Schüler:innen. Die Schulen könnten die laufende gesellschaftliche Debatte im Unterricht oder in anderen geeigneten Formaten aufgreifen, hieß es von der Verwaltung. Berlins Landesschülerausschuss begrüßte den geplanten Schulstreik gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht. „Gerade in diesen Zeiten wird viel zu wenig auf die Schü­le­r:in­nen in ganz Deutschland gehört“, schreiben sie. Man habe mit dem Gesetzentwurf die betreffenden Jugendlichen wieder nicht nach ihrer Meinung gefragt.

Greenpeace Kurzstudie Zu der Studie mit dem Kurztitel „Wann ist Genug genug“ beauftragte Greenpeace die Friedensforscher Herbert Wulf und Christopher Steinmetz. Sie verglichen anhand von sechs Parametern die militärischen Potentiale von der Nato und Russland. Sie kamen zu dem Schluss: „Die europäischen Nato-Staaten (mit Kanada) liegen in Militärbudget, Truppenstärke und Großwaffensystemen vor Russland.“ Atomwaffen betreffend liegen, laut Studie, NATO und Russland gleichauf. Aus der Analyse der Streitkräfte heraus sieht Greenpeace daher keine Notwendigkeit, in Deutschland die Militärausgaben weiter und dauerhaft zu erhöhen.

Ich muss laut aktuellem Gesetzentwurf auf jeden Fall zur Musterung. Das möchte ich nicht. Mit einem verpflichtenden Wehrdienst kommt man dem Krieg einen Schritt näher. Ein Freund von mir ist dieses Jahr zur Bundeswehr gegangen. Schon mit der Menge an Leuten aus seinem Jahrgang sind sie dort völlig überlastet. Da sehe ich keinen Platz für weitere Wehrdienstleistende. Ich möchte selbst nicht an die Waffe. Wie soll man überhaupt neue Menschen dazu zwingen, den Wehrdienst zu leisten, wenn sie keine Lust haben? Das bringt der Bundeswehr auch nichts, wenn Leute nur hingehen, weil sie müssen.

Paul Schürholz, 25, Mitorganisator im „Nein zur Wehrpflicht!“-Bündnis in Berlin

Sie fordern die Wehrpflicht ein, weil angeblich in naher Zukunft Putin vor Berlin stehen wird. Doch diese Begründung teile ich nicht. Es gibt Studien, zum Beispiel von Greenpeace Berlin, die verdeutlichen, dass das Kräfteverhältnis das jetzt schon nicht zulassen würde. Auch ohne Wehrpflicht. Das zeigt, dass diese Befürchtung nicht der wahre Hintergrund der Wehrpflicht ist, sondern dahinter steht eine andere, aggressive Zielsetzung.

Schü­le­r:in­nen organisieren sich in vielen deutschen Städten. Daran sieht man, wie viele keine Lust auf den Wehrdienst haben. Der Bundestag wird den Gesetzesentwurf am Freitag wohl trotzdem beschließen. Also wird es auch weiter Proteste geben. Man kann die Bewegung im Ansatz mit Fridays for Future vergleichen.

Ich persönlich möchte auch nicht im Krieg sterben. Ich bin mit 25 relativ alt, aber in ein paar Jahren werde ich vielleicht auch eingezogen. Viele Jugendliche in Deutschland haben einen familiären Background im Zweiten Weltkrieg. Das kann eine Motivation sein, den Krieg abzulehnen – und sich gegen die Wehrpflicht zu engagieren.

Maria Trende, 18, vom Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium in Friedrichshain

Ich bin zwar Jahrgang 2007 und nicht direkt betroffen, aber viele meiner Freunde und Freundinnen. Mein Vater und mein Onkel mussten in der DDR zur Armee. Mein Vater erzählt immer, wie schrecklich das war. Mein Urgroßvater ist im 2. Weltkrieg verschollen. Generell sieht meine Familie Armee und Kämpfen als schlecht an, wir sind eher für Frieden und diplomatische Lösungswege. Als Freundin, Tochter und Nichte hat der Wehrdienst auch Auswirkungen auf mich.

Ich würde nicht für Deutschland kämpfen wollen. Ich fühle mich als Weltbürgerin und nicht als Deutsche. Ich will nicht gegen Menschen kämpfen, die nichts gemacht haben, außer in einem anderen Land zu wohnen. Ich glaube nicht, dass man Konflikte mit Gewalt lösen kann. In Anbetracht der Lage mit Russland und der Ukraine ist es gerade schwierig. Viele sagen: Mit Putin kann man nicht reden, und wenn die USA aus Verpflichtungen austritt, muss sich Europa selbst wehren. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass Krieg eine Lösung ist. Wenn man im Kindergarten lernt, sich friedlich zu wehren, dann sollten Po­li­ti­ke­r:in­nen das nicht verwerfen. Vielleicht ist das auch naiv oder utopisch gedacht.

Es ist bewiesen, dass Generalstreiks, also auch Schulstreiks, am effektivsten sind. Wenn man nicht mehr arbeitet und fehlt, dann ist viel deutlicher, wie viele Menschen betroffen sind. Ich gehe oft streiken, deswegen sind Fehlstunden im Zeugnis für mich nichts Neues. Mir ist wichtiger, für meine Zukunft zu kämpfen, als im Unterricht zu sein.

Bei Fridays for Future (FFF) gab es viele Einschüchterungsversuche seitens der Schulleitung. Zum Schulstreik gegen die Wehrpflicht kam bisher noch nichts, aber es gibt Lehrer, die sagen, wir haben eine Klausur, bitte kommt trotz des Streiks. Leider gibt es auch Lehrer, die sagen, wenn man streikt, muss man statt der Klausur einen Vortrag halten. Für einige Schüler ist das zu viel Aufwand und sie bleiben dem Streik deshalb fern.

Ich kann mir vorstellen, dass es öfter zu diesen Streiks kommen wird, da das Problem nicht verschwindet. Es lohnt sich immer weiter zu streiken. Auch wenn der neue Gesetzentwurf mich als Frau nicht betrifft, will ich meine Stimme nutzen, für die, die es vielleicht nicht können.

Ron Dekel, 23, Vorsitzender der Jüdischen Studierenden-Union JSUD

Viele Jüdinnen und Juden in Deutschland wissen, was es bedeutet, sich verteidigen zu müssen. Etwa 90 Prozent der hier lebenden Jüdinnen und Juden kommen aus dem postsowjetischen Raum, ein großer Teil von ihnen hat einen direkten Bezug zur Ukraine. Wir haben aber gleichzeitig das Gefühl, dass die Debatte um die Wehrpflicht geführt wird, ohne Nachfahren von NS-Verfolgten zuzuhören.

Ich wünsche mir, dass mehr marginalisierte Stimmen zu Wort kommen. Damit meine ich nicht nur Jüdinnen und Juden. Sinti und Roma haben eine ähnliche Geschichte, die wert ist, Gehör zu finden. Denn in Talkshows äußern sich Leute aus der Mehrheitsgesellschaft. Sie können nicht nachvollziehen, wie es ist, als Nachfahre von Holocaustüberlebenden oder als Mensch aus einer diskriminierten Gruppe in der Bundswehr dienen zu müssen. Das verzerrt die Debatte extrem, sie bildet damit nicht die postmigrantische Gesellschaft ab, die so oft zitiert wird.

Als Ver­tre­te­r:in­nen der jüdischen Studierenden besorgen uns vor allem zwei Punkte. Einerseits der eklatante Anstieg der AfD, die möglicherweise eines Tages die Bundeswehr führt. Schon jetzt häufen sich rechtsextreme Vorfällen in der Bundeswehr, etwa in Chatgruppen oder wenn Rechtsextreme dort Geräte und Munition stehlen. Es ist nicht tragbar, als jüdische Person in so ein Umfeld und in so eine Organisation gezwungen zu werden.

Andererseits der Blick in die Geschichte: Im 1. Weltkrieg haben mehr als 100.000 Juden für das Kaiserreich gedient. Als dann die Niederlage drohte, gab es die sogenannte Judenzählung, Jüdinnen und Juden wurde die Schuld gegeben im Zuge der Dolchstoßlegende. Wenige Jahre später haben die ehemaligen Kameraden, mit denen sie Seite an Seite gekämpft hatten, Jüdinnen und Juden dann in den Gaskammern ermordet.

Das entlarvt die Rede von der Bundeswehr als vereinendem Element in der Gesellschaft, wo Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten in Kontakt kommen. Das Militär führt nicht zwangsläufig zu Inklusion und Einigkeit, es ist kein Allheilmittel gegen gesellschaftliche Spaltungen.

Bis 2011 gab es eine untergesetzliche Regelung: Jüdinnen und Juden, deren Eltern, Großeltern oder andere nahe Angehörige im Nationalsozialismus verfolgt wurden, waren vom Wehrdienst zurückzustellen. Konkret fordern wir, dass diese Regelung weiter Bestand hat, auch über die dritte Generation hinaus. Nachkommen von Opfern des Nationalsozialismus dürfen nicht zum Dienst an der Waffe gezwungen werden. Das Recht auf Verweigerung steht zwar im Grundgesetz, aber die Sorge bleibt, dass es am Ende faktisch nicht möglich sein wird, sich dem zu entziehen.

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