Bürgerkrieg in Syrien: „Damaskus ist jetzt Kriegsgebiet“

Der bewaffnete Aufstand gegen Syriens Präsidenten Assad hat das Zentrum der Hauptstadt erreicht. Mit den Kämpfen breiten sich Chaos und Unsicherheit aus.

„Niemand weiß mehr, was hier vorgeht.“ Bild: dapd

BERLIN taz | Mitten in Damaskus, im Herzen der Stadt, sind Schüsse zu hören; hin und wieder dröhnen aus nahe gelegenen Vierteln dumpfe Einschläge herüber. „Wir haben die ganze Nacht nicht geschlafen“, sagt ein Aktivist in dem zentrumsnahen Viertel Berzeh al-Balad, der sich Amer al-Sadeq nennt. „Um uns herum hat es bis zum Morgen Gefechte gegeben.“

Seit Beginn der Woche hat der Aufstand gegen Präsident Assad das Zentrum von Damaskus erfasst. Am Mittwoch starben bei einem Anschlag der Verteidigungsminster und der Schwager Assads. Jetzt fahren Panzer auf den Straßen der Stadt; die Soldaten haben überall Checkpoints errichtet. „Alle haben Angst“, sagt der Aktivist. „Viele Läden haben geschlossen, manche Leute sind heute nicht mal zur Arbeit gegangen.“

Mit den heftigen Kämpfen breiten sich Chaos und Unsicherheit in der Millionenstadt aus; am Dienstag brachen sogar auf dem zentralen Platz Sabah Bahrat Gefechte aus: Vor der Zentralbank hasten bewaffnete Rebellen umher, Sicherheitskräfte rennen nahe dem Parlament mit Kalaschnikows über die Straßen. „Es passiert so vieles“, sagt Lina aus dem zentralen Geschäftsviertel Mezzeh. „Wir hören Berichte von Bombenexplosionen und warten auf Informationen. Vielleicht steckt das Regime dahinter, vielleicht sind es die Rebellen. Niemand weiß mehr, was hier vorgeht.“

Normalerweise dampft die Schnellstraße von Mezzeh vor Verkehrsstaus; Ministerien und Botschaften erstrecken sich ganz in der Nähe, der Präsidentenpalast thront auf dem Berghang über dem gehobenen Viertel. Jetzt sind nur einzelne Autos unterwegs, sagt Lina: „Niemand verlässt das Haus, außer es ist unbedingt nötig.“

Mittelschicht ist nicht Teil des Aufstands

Im modernen Zentrum von Damaskus drängen sich nackte Nutzbauten aus Rohbeton an den Straßen. Die sozialistische Vergangenheit hat im Stadtbild tiefe Spuren hinterlassen. Nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 hat der junge Präsident Baschar al-Assad das Land zaghaft geöffnet. Elegante Cafés und Restaurants sind aus dem Boden geschossen, nahe dem hohen Turm des Hotels Vier Jahreszeiten wird internationale Designermode verkauft.

Der Krieg ist in Damaskus angekommen. Bild: taz.Grafik

Die städtische Mittelschicht, die von den Wirtschaftsreformen profitiert, hat sich dem Aufstand nicht angeschlossen. Doch seit Montag sind die meisten der teuren Bars, Cafés und Restaurants verlassen; das Leben in der sonst so quirligen Stadt ist in weiten Teilen zum Erliegen gekommen. Wer früher durch das Zentrum von Damaskus fuhr, sah an den Fassaden, an Brücken und auf Laternen Poster mit dem blassen, schmalen Gesicht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.

Nun kleben die Plakate nur noch hier und da an öffentlichen Gebäuden im Stadtkern. „In den meisten Vierteln wurden sie heruntergerissen“, sagt Tareq, ein junger Anwalt in Damaskus. „Die Ladenbesitzer hängen sie aus Angst nicht mehr auf. Ein Foto von Baschar al-Assad im Schaufenster genügt, um erschossen zu werden. Damaskus ist jetzt Kriegsgebiet.“

Tareq zählte zu denjenigen, die jede Woche demonstrieren gingen, um den Sturz des Regimes zu fordern. Doch seit die Regimegegner die Waffen erhoben haben, fühlt er sich dem Aufstand entfremdet. Er habe Todesdrohungen erhalten, weil er die Angriffe der Rebellen kritisiert, eine Patrone vor seiner Tür, am selben Tag eine Nachricht auf Facebook: „Tareq ist ein Spion des Regimes.“ Solche Beschuldigungen können dieser Tage in Syrien ein Todesurteil sein.

„Bald wie im Irak“

„Ein Freund von mir wurde von den Rebellen vertrieben, weil er Alawit ist. Sie haben ihn gezwungen, sein Viertel zu verlassen, und sein Haus angezündet“, sagt Tareq. Der Assad-Clan gehört dieser schiitischen Minderheit an, während die Rebellen überwiegend Sunniten sind. „Außerdem haben bewaffnete Unbekannte in einigen Vororten Alawiten und auch Christen entführt, um Lösegeld zu erpressen“, schildert er die Lage. „Ich glaube, bald wird es hier sein wie im Irak, oder schlimmer.“

In besseren Zeiten zog die Altstadt von Damaskus mit ihren überdachten Suks, prachtvollen Moscheen und Karawansereien Touristen aus aller Welt an. Vor der Stadt ragt der Berg Kassioun auf; Ausläufer der Stadt wuchern den Hang hinauf. Viele Menschen, die sich das Leben im Zentrum nicht mehr leisten können, sind in den vergangenen Jahren an den Stadtrand gezogen. Die wirtschaftliche Öffnung hat Syrien nicht nur neue, westliche Produkte, sondern auch steigende Preise gebracht.

Rings um die Stadt, wo sich ärmliche Siedlungen ausbreiten wie ein Brei aus Beton, kommt es seit Wochen zu Protesten. Inzwischen wird dort mit schwerer Artillerie geschossen. „Die Menschen versuchen jetzt, der Gewalt zu entkommen“, sagt Lina, die Aktivistin in Mezzeh. „Sie haben ihre Viertel verlassen und sind innerhalb der Stadt auf der Flucht.“

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