CDU und die Homo-Ehe: Schwule Schwaben

Stefan Kaufmann ist CDU-Abgeordneter, katholisch – und schwul. Er will seine Partei für die rechtliche Gleichstellung öffnen. Die Zeit dafür scheint gekommen.

Gar nicht schrille Minderheit: Stefan Kaufmann (rechts) und sein Partner Rolf Pfander. Bild: Joachim E. Röttgers/GRAFFITI

STUTTGART taz | Der Wandel der CDU kommt auf Socken. Rolf Pfander sucht noch seine Schuhe, als der Besuch am Samstagmorgen die Wohnung betritt. „Bin gleich so weit!“, ruft er und verschwindet im Schlafzimmer. Kein Problem. Der Besuch ist ja vor allem wegen Pfanders Partner hier, Stefan Kaufmann, und der hat Schuhe an. Der Bundestagsabgeordnete hat viel zu tun in diesen Wochen. Kaufmann verändert gerade das Selbstverständnis der Union.

Von hier oben, einer hellen Dachgeschosswohnung in Stuttgart-Mitte, hat der 43-Jährige einen herrlichen Blick. Unten im Tal liegt die Landeshauptstadt, die nach jahrzehntelanger CDU-Herrschaft seit Kurzem von dem Grünen Fritz Kuhn regiert wird. Weiter oben am Hang weht die schwarz-goldene Landesflagge auf der Villa Reitzenstein, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten. Der ist bekanntlich auch ein Grüner.

Auf der einen Seite liegt das sich wandelnde Ländle, auf der anderen die politische Macht, und dazwischen steht ein Mann, der sichergehen will, dass die CDU beides im Blick behält.

Stefan Kaufmann und zwölf weitere Bundestagsabgeordnete fordern seit Langem die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften. Nun gehen sie in die Offensive.

Die Abstimmung: Am heutigen Donnerstag berät der Bundestag über eine Initiative der Grünen zur Gleichstellung der Homo-Ehe. Zuvor will sich die in CDU-Kreisen „Wilde 13“ genannte Gruppe treffen, um zu beraten, ob sie in dieser Frage weiter mit ihrer Fraktion stimmt.

Das Ziel: Kaufmann brachte am vergangenen Wochenende die Idee eines fraktionsübergreifenden Gruppenantrags ins Spiel. Die Abgeordneten wollen erreichen, dass die Fraktionsführung die Abstimmung freigibt.

Die Fronten: Die CDU ist gespalten, die CSU offen dagegen. „Einen Gruppenantrag sehe ich derzeit nicht“, sagte Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Hingegen fordert die FDP die Gleichstellung noch in dieser Legislaturperiode. (mlo)

„Die CDU konnte es sich lange erlauben, nicht jede gesellschaftliche Entwicklung mitzumachen“, sagt Kaufmann am hölzernen Wohnzimmertisch. „Sie wurde ja trotzdem gewählt.“ Der Jurist sitzt seit 2009 für die Union im Bundestag, ist Katholik – und offen schwul. Neben ihm sitzt sein Partner, beide tragen den gleichen schwarzen Siegelring am Finger. Pfander trägt ein Hemd mit großem grau-weißem Karomuster, Kaufmann eines mit kleinem. Kennengelernt haben sie sich in der CDU.

Heimat CDU

Die Union ist für viele im Südwesten wie eine Familie. Sie ist die bei Weitem mitgliederstärkste Partei, hat Baden-Württemberg über Jahrzehnte geprägt. Doch während die Gesellschaft sich wandelte, SPD und Grüne für die Gleichrangigkeit hetero- und homosexueller Beziehungen stritten, bewegte sich die CDU in dieser Frage kaum. Weder hier noch im Bund.

Stattdessen haben sich die Bundesverfassungsrichter im nahen Karlsruhe bewegt. In bislang sechs Urteilen haben sie die Rechte von Menschen in Lebenspartnerschaften gestärkt, zuletzt beim Adoptionsrecht. Voraussichtlich wird das Gericht im Sommer die Ungleichbehandlung von Lebenspartnern und Eheleuten im Steuerrecht monieren.

„Warum“, fragt Rolf Pfander mit Blick auf seinen Partner, „warum sollen wir immer nur reagieren, statt zu agieren?“ Wir, das ist die CDU. Die beiden begreifen sich als Konservative, die halt schwul sind. Im Bücherregal hinter ihnen steht eine Gipsbüste Ludwig van Beethovens, das Sofa ist unbenutzbar vor lauter Dekokissen. Die beiden sind seit mehr als einem Jahrzehnt ein Paar.

Im Sommer 2012 wagte sich Kaufmann mit zwölf weiteren Unions-Abgeordneten vor. Gemeinsam forderten sie für Gleichgeschlechtliche die gleichen Steuerprivilegien wie für Eheleute. Das klassische Familienmodell der Union steht seither infrage. Aus Kaufmanns Sicht ist das für die Christdemokraten kein Problem, sondern die Lösung: „Es ist schließlich nicht christdemokratischer Markenkern, gegen die rechtliche Gleichstellung zu sein.“

Was ist konservativ?

Was aber zählt noch zum Kern der Marke CDU? Was bleibt ihr nach dem eiligen Abschied von Wehrpflicht, Atomenergie und dem Nein zum Mindestlohn?

In den vergangenen Wochen äußerten sich Vertraute Angela Merkels, Fraktionschef Volker Kauder und Finanzminister Wolfgang Schäuble, vorsichtig zugunsten einer rechtlichen Gleichstellung. Zwei Konservative, noch dazu aus dem CDU-Stammland Baden-Württemberg. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung titelte schon auf Seite 1: „CDU will Homo-Ehe einführen“. Kaufmann schien am Ziel, ganz ohne Revolte von rechts.

Dann, vor zwei Wochen, ruderte das CDU-Präsidium zurück: Alles bleibe beim Parteitagsbeschluss vom Dezember, also dem Nein zur Ausweitung des Ehegattensplittings auf Schwule und Lesben. Was war geschehen?

Wollte die Kanzlerin lieber das absehbare Urteil der Verfassungsrichter abwarten, um sich nicht für ihre Haltung rechtfertigen zu müssen? Tatsache ist: Die CSU macht Druck, fürchtet vor der Landtagswahl im September um Stimmen von Stammwählern. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt erklärte zu Wochenbeginn, die Union möge einer „schrillen Minderheit“ nicht die Stimme geben. Kaufmann hält dagegen: „Da könnte man die CSU mal auf den Koalitionsvertrag hinweisen.“

Das Versprechen der Regierung

In dem versprach Schwarz-Gelb 2009: „Wir werden insbesondere […] gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen und insbesondere die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten umsetzen.“

Bei einer repräsentativen Umfrage von TNS Emnid im Sommer 2012 sprachen sich 80 Prozent der Befragten dafür aus, das Ehegattensplitting auf eingetragene Lebenspartnerschaften von Schwulen und Lesben auszuweiten. Im Lager der Unionsparteien hielten immerhin 71 Prozent die Gleichstellung für richtig.

Der Eindruck entstand, als hätten sich Wähler und Mitglieder der Union schleichend auseinanderentwickelt. Die CSU verspricht sich von einer Anti-Homo-Ehen-Kampagne noch immer Wählerstimmen. Wo aber sind in der CDU die Gegner der Gleichstellung?

Hier irgendwo müssen sie sein. Dunkle SUVs parken vor dem Flachbau des SSB-Veranstaltungszentrums in Stuttgart. In der Halle, die so gesichtslos ist, dass sie in jeder deutschen Stadt stehen könnte, feiert die hiesige CDU ihre graue Eminenz: Gerhard Mayer-Vorfelder. Wenige Tage zuvor ist „MV“ 80 Jahre alt geworden.

Hass-Figur Mayer-Vorfelder

Mayer-Vorfelder war einst mehr als ein Landesminister. Und mehr als der umstrittene Präsident des DFB und des VfB Stuttgart. Er war der Mann, der 1987 erklärte: „Die Chaoten in Berlin, in der Hafenstraße in Hamburg und in Wackersdorf springen schlimmer rum als die SA jemals.“ Und noch 2001 urteilte er: „Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in den Anfangsformationen stehen, kann irgendetwas nicht stimmen.“ Der rechte Stammtisch liebte ihn. Wer links von ihm stand, und das waren viele, hasste ihn.

Wie viel Mayer-Vorfelder steckt heute noch in der CDU?

Als der Jubilar und seine Frau den Saal betreten, warten etwa 50 Leute an Stehtischen. Überwiegend Männer über 60, wenige Frauen. Es gibt Weißwein, Brezeln und leichten Applaus. Jemand sagt laut: „Ganz, ganz herzlich willkommen heute!“ Es ist Stefan Kaufmann. Der schwule Homo-Ehen-Befürworter ist seit 2011 CDU-Kreisvorsitzender in Mayer-Vorfelders politischer Heimat.

„Ja, Gerhard Mayer-Vorfelder ist eine Politikerpersönlichkeit mit Ecken und Kanten.“ Kaufmann liest seine kurze Ansprache vom Blatt, er wringt die Hände, sein Siegelring ist zu sehen. Er erinnere sich noch gut an ihr erstes Aufeinandertreffen, 1988. „MV“ war damals Kultusminister, er selbst Schülersprecher. Der Minister hatte gerade erlassen, dass Baden-Württembergs Schüler die Nationalhymne singen sollten, alle drei Strophen. Leichtes Kichern im Saal.

Der „wahre Konservative“

Mayer-Vorfelder zeigt sein Markenzeichen, eine hochgezogene Oberlippe, die ein Lächeln sein soll. Kaufmann überreicht ihm ein Geschenk: eine Biografie des Stuttgarter Historikers Wolfram Pyta über Paul von Hindenburg. In Pytas Widmung steht, das Buch über einen „Scheinkonservativen“ sei ein Geschenk für den „wahren Konservativen“ Mayer-Vorfelder.

Aber ist es nun konservativ, gegen die Homo-Ehe zu sein?

„I persönlich han do koi Problem“, sagt Petra Höbich-Wagner. „Der Herr Kaufmann, des isch mei Mann.“ Das meint die 58-Jährige mit den grauen, halblangen Haaren natürlich nicht wörtlich. Ihr lächelnder Gatte steht neben ihr, Kaufmanns Partner Pfander plaudert ein paar Meter weiter. Sie sei für die rechtliche Gleichstellung. „Und i glaub scho, dass mei Meinung die Mehrheit in der Partei isch.“

Das Problem sei ein anderes, sagt Höbich-Wagner. „De Leut wählet die Grüne, do kammer Wahlkampf mache, wie mer will.“ Die Grünen treffen den Zeitgeist, die Union wirkt altbacken.

Die grünen CDU-Rivalen

Heute sind Kaufmanns stärkste Konkurrenten nicht mehr die Konservativen in den eigenen Reihen, sondern die betont wertkonservativ auftretenden Grünen. Bei der Bundestagswahl 2009 erkämpfte der CDU-Mann sich das Direktmandat im Wahlkreis Stuttgart 1 – 4,5 Prozentpunkte vor Grünen-Parteichef Cem Özdemir. Die Union hatte erkannt: Ein schwuler Kandidat hat hier gute Wahlchancen.

Der Wandel gefällt Karl Dürr gar nicht. „Des isch a Minderheit“, sagt der grauhaarige Mann seiner Parteifreundin Höbich-Wagner. „Warum rennet mir dene hinterher? Das bringt den Wahlerfolg nicht im September.“ Nein, nein, sagt das einfache Parteimitglied, „ich will das Konservative pflegen. Da müssen wir nicht den Linken, der SPD und den Grünen hinterherlaufen.“

Dürr und Höbich-Wagner blicken einander an, zucken ratlos mit den Achseln. Dann gehen sie wortlos auseinander, zu ihren jeweiligen Parteifreunden, in ihre getrennten Welten.

Einer aber muss die Antwort kennen. Nach dem Sektempfang beginnt die Kreismitgliederversammlung der CDU, der Jubilar setzt sich in die erste Reihe. Herr Mayer-Vorfelder, was halten Sie von der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare? Hochgezogene Oberlippe, skeptischer Blick. „Da hat die CDU natürlich eine Bandbreite“, sagt er. Und wie stehen Sie dazu, so als Konservativer? „Für alle, die bisher in Unsicherheit gelebt haben, ist das sicher gut.“ Wie bitte?

„MV“ sagt Ja

Der Jubilar lächelt wieder, diesmal mehr in sich hinein: „Dass die CDU sich dazu bekennt“, sagt er und tätschelt dem Frager den Arm, „das finde ich in Ordnung.“ Vielleicht ist letztlich dies konservativ: die Neuerungen, die man nicht verhindern kann, hinzunehmen, ohne zu verbittern.

Oben am Rednerpult eröffnet Kaufmann die Sitzung. Unten sitzt der Jubilar allein im Publikum. „Ach, Herr Mayer-Vorfelder“, sagt Kaufmann überrascht ins Mikro, „Sie sind noch da. Schön, dass Sie da sind.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.