Canan Bayram über Drohungen: „Rechter Terror ist Realität“

Die grüne Bundestagsabgeordnete sieht sich rechter Hetze und einer permanenten Bedrohung ausgesetzt. Polizeischutz will sie allerdings nicht.

Eine Frau, Canan Bayram

Die Berliner Grüne Canan Bayram Foto: dpa

taz: Was dachten Sie, als Sie von der Ermordung Walter Lübckes gehört haben?

Canan Bayram: Mich hat das erschaudern lassen. Mein erster Gedanke war, dass es einen rechten Tathintergrund gibt. Das Bedrohungspotential ist noch mal gestiegen.

Wie konnten Sie sich gleich so sicher sein?

Ich sitze in all diesen Sitzungen. Im Verteidigungsausschuss zu Uniter, im Innenausschuss zu diversen rechtsextremen Strukturen. Ich kenne das NSU-Netzwerk. Das war nicht so klein, wie es gemacht wurde, und ist nach dem Tod der beiden Uwes und Beate Zschäpes Inhaftierung nicht verschwunden. Ebenso wenig wie Combat 18 oder Blood & Honour. Rechter Terror ist Realität.

Haben Sie Erklärungen dafür, dass die Tat jetzt geschehen ist?

Manche glauben wohl langsam nicht mehr an die Machtübernahme: Einzelne, denen es nicht schnell genug mit der rechten Dominanz geht, werden ungeduldig und beginnen durchzudrehen.

Jahrgang 1966, ist die bundesweit einzige direkte gewählte grüne Bundestagsabgeordnete. Die Innenpolitikerin hat den früheren Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg von Christian Ströbele im September knapp gegen den Kandidaten der Linken verteidigen können.

Frau Bayram, welche Erfahrungen haben Sie mit Bedrohungen von rechts?

Dieses Thema begleitet mich seitdem ich in der Politik bin. Als Frau, Migrantin und politische Linke biete ich für Rechte viele Angriffsflächen. Die letzte Welle von Hasskommentaren hatte ich nach der Blockade eines AfD-Frauenmarsches am Checkpoint Charly im Februar 2018 und im folgenden Oktober während der Debatte über den Entzug meiner Immunität. Aber auch nach Reden im Bundestag, etwa wenn ich zu AfD-Anträgen spreche, kommen Mails, Facebook-Kommentare, Briefe.

Wie groß wird so eine Welle?

Internetkommentare und Mails zusammen gerechnet gehen in die tausende. In den letzten zwölf Jahren war mein E-Mail-Postfach in mehreren Fällen für mehrere Tage lahmgelegt. Zwei, drei Mitarbeiter sind nur noch damit beschäftigt, das zu sichten.

Sind die Angriffe zuletzt massiver geworden?

Ja, in den letzten drei, vier Jahren merkt man, dass die Rechten Aufwind haben. Sie sind besser organisiert, haben Listen ihrer Gegner, die nötige Technik. Durch das Erstarken der AfD wurde der Übergang zwischen Rechtsextremen und besorgten Bürgern aufgeweicht. Auch ganz normale Leute, die mit Klarnamen in Erscheinung treten und noch nie polizeilich aufgefallen sind, beteiligen sich an dieser Hetze und haben diesen Nazisprech.

Wie gehen sie damit um?

Ich zeige alles an, was ich für strafrechtlich relevant halte. Allerdings ist noch nie jemand verurteilt worden, der mir gedroht oder gegen mich gehetzt hat. Die Staatsanwaltschaft stellt alles ein. Meistens kann die Täterschaft nicht beweisen werden. Die Leute behaupten, sie hätten die Kommentare nicht selbst verfasst. Um ihnen ihre Urheberschaft nachzuweisen bräuchte es Durchsuchungsbeschlüsse samt Beschlagnahmung ihrer Computer und Mobiltelefone. Das passiert nicht.

Der Staat ist keine Hilfe?

Ich bin darüber geschockt, wie gleichgültig die Staatsanwaltschaft damit umgeht, dass die sich anscheinend keine Gedanken darüber macht, was diese permanente Bedrohung bedeutet, nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für deren Familien. Dabei müsste eine schärfere Verfolgung doch im öffentlichen Interesse sein.

Werden Sie von der Polizei geschützt?

Nein, weil ich das nicht will. Zu meiner Zeit als Berliner Abgeordnete hatte mir das LKA Schutz angeboten. Aber da fühle ich mich eher bedroht. Wenn man das Uniter-Netzwerk sieht, diese ganzen Spezialeinheiten, in denen teilweise gedacht wird, man müsse das deutsche Volk vor den Politikern schützen, dann ist mehr Polizeischutz nicht die Antwort. Ich weiß, dass es vereinzelt Polizisten gibt, die mich hassen. „Wenn die Bayram mal auf unseren Schutz angewiesen ist, dann überlegen wir uns das“, heißt es dort. Das hat auch mit meinem Engagement für den Erhalt von Freiräumen zu tun.

Wie schützen Sie sich selbst?

Ich habe mich schon nach einem Waffenschein erkundigt, aber habe mich noch nicht entschieden, ob ich selbst aufrüsten will. Der Gedanke kam auf, als ich gelesen hatte, dass hessische Polizisten der Anwältin Seda Başay-Yıldız genau dazu geraten haben. Sie hatte zuvor Drohbriefe von einem „NSU 2.0“ erhalten. Andererseits gibt es viel wildere Bedrohungsgeschichten, auch gegen Wissenschaftler, Lehrer, Kirchenvertreter. Ich weiß, wie ich mich verhalten muss. Es ist kein Zufall, dass ich Freiräume in meiner Nachbarschaft unterstütze. Genau dort werden die vielfältigen Gegenmodelle zu autoritären Strukturen organisiert.

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