Carsten S. spricht im NSU-Prozess: Sprengstoff in der Taschenlampe

Überraschend berichtet Carsten S. über neue Details. Es könnte noch ein weiterer Sprengstoffanschlag auf das Konto des NSU gehen.

Pink stinks: Beate Zschäpe am Mittwoch im Münchner Oberlandesgericht. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Der Angeklagte Carsten S. hat „reinen Tisch“ gemacht. Es ist bereits der vierte Verhandlungstag, an dem der 33-jährige Sozialpädagoge im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) aussagt. Er muss sich dort als mutmaßlicher Helfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) wegen Beihilfe zum Mord verantworten. Er hatte Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die Waffe beschafft, mit der sie mutmaßlich neun Geschäftsleute ausländischer Herkunft ermordeten. Das war bekannt. Seit Dienstag aber berichtet S. von neuen Details.

Als Carsten S. die Tatwaffe im März 2000 an die Neonazis übergab, haben Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt offenbar eine Andeutung gemacht, die auf einen weiteren bislang noch nicht mit den Taten des NSU in Verbindung gebrachten Anschlag hindeuten. Einer der beiden Uwes habe ihm erzählt, sie hätten „in Nürnberg in irgendeinem Laden eine Taschenlampe hingestellt“.

Mit dieser Information habe er zunächst nichts anfangen können, wie S. auch am Mittwoch auf die bohrenden Nachfragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl betonte. Erst „am Abend im Bett“ sei ihm der Gedanke gekommen, dass Böhnhardt und Mundlos in eine Taschenlampe Sprengstoff eingebaut haben könnten. „Die waren wegen der Bombenwerkstatt untergetaucht“, sagte S. am Mittwoch, „irgendwie habe ich das gedanklich in Zusammenhang gebracht.“

Tatsächlich hatten die Nürnberger Nachrichten 1999 über einen Rohrbombenanschlag in einer türkischen Gaststätte berichtet. In der Pilsbar eines türkischen Betreibers sei eine Bombe explodiert, die wie eine Taschenlampe ausgesehen habe, heißt es in dem Bericht, der der taz vorliegt. Ein 18-jähriger Mann hatte bei der Toilettenreinigung einen 30 Zentimeter großen Gegenstand bemerkt, den er für einen Taschenlampe hielt.

Als er sie anknipsen wollte, kam es zur Explosion. Der junge Mann erlitt Verbrennungen am Oberkörper, im Gesicht und an den Armen, konnte das Krankenhaus aber nach kurzer Behandlung wieder verlassen. Die Bombe hatte offenbar nur geringe Sprengkraft. An den Wänden der Toilette waren nach dem Anschlag nur schwarze Schmauchspuren zu sehen. Waschbecken und Spiegel blieben unbeschädigt. Damals vermutete aber niemand einen rechtsextremen Hintergrund.

Das Muster passt

Die Methode, heimlich einen kleinen Sprengsatz zu platzieren, passt zu den bislang bekannten Taten des NSU. Sie erinnert an eine Sprengstoffexplosion aus dem Jahr 2001, bei dem eine 19-jährige Deutsch-Iranerin schwer verletzt worden war. Damals war das Schwarzpulver in einer Christstollendose versteckt. Die 19-Jährige erlitt Verbrennungen im Gesicht und an der rechten Hand, sowie Schnittwunden in Gesicht und an Armen und Beinen. In den Bekennervideos des Trios gibt es Hinweise auf diesen Vorfall. Der Generalbundesanwalt hält die Terroristen für diesen Anschlag verantwortlich.

Am Mittwoch präzisierte Carsten S. seine Aussagen vom Dienstag und berichtetet, dass einer der beiden Uwes gesagt habe, der Anschlag habe nicht geklappt. Was genau damit gemeint war, konnte S. nicht sagen. Fraglich ist warum die Behörden den Nürnberger Anschlag bislang nicht mit den Taten des NSU in Verbindung brachten. Nachdem die Existenz des NSU aufgeflogen war, hatten die Behörden die Vorgabe, alle ungelösten Altfälle an den Generalbundesanwalt zu melden.

Noch eine Aussage von Carsten S. wirft Fragen auf. Nach der Waffenübergabe, habe ihm der früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben erzählt, dass Böhnhardt und Mundlos jemanden angeschossen hätten. „Ich habe mit Wohlleben telefoniert, und Wohlleben hat gelacht und gesagt, die haben jemanden angeschossen.“ Er habe sich gedacht: Hoffentlich nicht mit der Waffe, die er beschafft hatte.

Auch diese Aussage präzisierte S. am Mittwoch. „Ich habe in Erinnerung, dass es ein Wachmann war“, sagte S. Konkret wisse er das aber nicht. Bei seinen Überlegungen habe den Vorfall „in Richtung Banküberfälle eingeordnet“. Der Grund: Die Geldbündel, die er für die Ceska erhielt, hätten aus „kleinen Scheinen“ bestanden und seien mit Banderolen umwickelt gewesen. „Kleine Scheine, die können ja nur aus Banküberfällen stammen.“

„Das war idiotisch“

Was sich hinter diesem Zwischenfall verbirgt, ist unklar. Ein Banküberfall, der dem Trio zugeordnet wird und bei dem ein Anwesender angeschossen wurde, fand nach bisherigem Kenntnisstand erst 2006 statt. Carsten S. war aber nach eigenen Angaben 2001 aus der rechten Szene ausgestiegen und hatte nach seinem Ausstieg auch keinen telefonischen Kontakt mehr mit Wohlleben.

Möglich ist, dass sich das Gespräch von Wohlleben und S. auf den Mord an dem Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek bezieht. Simsek wurde am 9. September 2000 erschossen, verstarb jedoch nicht am Tatort, sondern erlag seinen Verletzungen erst später.

Gefragt, warum er erst jetzt mit diesen Details aufwartet, sagte S. „Ich hätte das schon viel früher tun sollen.“ Er habe sich schützen wollen, „mich selbst, meine Eltern und auch Ralf Wohlleben.“ Das sei idiotisch, urteilte S. vor Gericht über sein eigenes Verhalten. „Aber ich dachte, ich nehme den Kindern ihren Vater, wenn ich das sage.“ Wohlleben ist Vater zweier Töchter.

In Kooperation mit Radio Lora München, www.lora924.de

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