Castellina kandidiert zur Europawahl: Linke Grande Dame

Aus Solidarität und weil sie viel gemein haben: Die „Il Manifesto“-Mitgründerin Luciana Castellina tritt für Griechenlands Regierungspartei Syriza an.

Luciana Castellina hebt beide Hände und lächelt

Hofft auf Stimmen: Luciana Castellina will ins Europaparlament Foto: imago-images/Leemage/Marcello Mencarini Leemage

Italienerinnen und Italiener haben statistisch mit die höchste Lebenserwartung weltweit – und wenn man ihnen zuhört und ihnen beim Essen und Trinken und Interagieren zusieht, dann ahnt man auch, warum: Das Leben ist hier schön, ist wert gelebt zu werden, mit vollem Einsatz, aber auch mit einer klassisch-mediterranen Mäßigung und Disziplin, die den Klischees vom dolce vita so gar nicht entsprechen. Damit sind wir bei einer fast 90-jährigen, unglaublich agilen Politaktivistin: Lu­ciana Castellina, eine italienische Grande Dame, die am Sonntag für die linke griechische Regierungspartei Syriza für das EU-Parlament kandidiert.

Sie habe sich dazu nicht nur aus Respekt für die Leistung des Premiers Alexis Tsipras entschieden, sondern weil sie noch mehr mit Griechenland verbinde, sagte Castellina der italienischen La Repubblica. 1967 sei sie als Korrespondentin der kommunistischen Tageszeitung Paese Sera in Griechenland gewesen und nach dem Militärputsch – dem „Obristenputsch“ – ausgewiesen worden.

Und auch die leidige wie befreiende Geschichte der linken Spaltungen verbindet die nach Eigendefinition „Kommunistin“ mit den nicht minder streitfreudigen griechischen GenossInnen. Mit Syriza teilt Castellina dabei historisch den Antistalinismus. Sie und ihre FreundInnen in der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) hatten das Schweigen der compagni zur Niederschlagung des Prager Frühlings nicht mehr hinnehmen wollen, waren ausgeschlossen worden und hatten 1971 mit der undogmatisch-linken Il Manifesto den Sprung ins journalistische Tagesgeschäft gewagt. Neben der französischen Libération war Il Manifesto eines der Vorbilder für die taz, deren GründerInnen regelmäßig die Redaktion in Rom besuchten, um zu lernen, wie man eine alternative Tageszeitung macht.

Für die 1929 in Rom mit einem großbürgerlich-jüdischen Familienhintergrund – ihre Mutter kommt aus Triest – geborene Luciana Castellina fiel einst alles in einem großen historischen Moment zusammen: Erwachsenwerden, Niederlage des Faschismus, Eintritt in den PCI. Die studierte Juristin und begeistere Cineastin machte bis zu ihrem Ausschluss 1968 Parteikarriere (1984 wurde sie wieder aufgenommen), war vier Legislaturperioden Abgeordnete im italienischen Parlament und vier im EU-Parlament und immer in vorderster Front in der Gewerkschafts-, Abrüstungs- und der Frauenbewegung.

Linken Dogmatismus überwinden

Castellina sei auch ein Vorbild, den linken Dogmatismus und das Sektierertum zu überwinden, sagt der Syriza-Funktionär und Journalistenkollege Argyrios Argiris Panagopoulos. Deswegen habe seine Partei sie eingeladen, in Griechenland zu kandidieren.

Im Gegenzug kandidiert Panagopoulos in Italien auf der Liste „La Sinistra“, einem Zusammenschluss aus Rifondazione Comunista, Altra Europa con Tsipras, Sinistra Italiana und kleineren Linksparteien – „die einzige linke Liste bei den nächsten Europawahlen“ in Italien, sagt Nicola Fratoianni, Nationalsekretär der „Sinistra Italiana“. Nicht dabei ist allerdings die aus dem Umkreis der autonomen Sozialzentren hervorgegangene junge, linksradikale Gruppierung Potere al Popolo (PaP), die ebenso wenig zur Wahl antritt wie der linke Hoffnungsträger Luigi de Magistris, der Bürgermeister von Neapel. Auch der italienische Ableger der DiEM25-Bewegung von Yanis Varoufakis blieb lieber außen vor. Es bleibt kompliziert mit der Linken in Italien.

Schon 2015 war Castellina in Athen, um für das Nein, das όχι, beim Referendum gegen das Diktat der Gläubiger zu werben. Ihre Kandidatur sieht sie auf Grund ihres Alters als symbolisch, zeigt aber immer noch klare Kante: Varoufakis nennt sie im Interview mit Il Manifesto einen „Dummkopf“.

Ohne Solidarität sei alles nichts, sagt Castellina. Das gilt nicht nur für ihre Unterstützung von Syriza. Sie weist so auch den Vorwurf zurück, die Linke kümmere sich zu viel um die Rechte von Minderheiten und MigrantInnen anstatt um die von ArbeiternehmerInnen.

Vor sechs Jahren war Castellina, die ein sehr schönes, altmodisches Deutsch spricht, in der taz-Redaktionskonferenz zu Besuch (und mischte klug und engagiert mit). 2017 war sie auf dem tazlab. Wir hoffen, sie sehr bald in Berlin wieder zu sehen.

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