Champions League im Frauenfußball: Unter der Käseglocke

Meister und Pokalsieger Wolfsburg kämpft um die europäische Krone. Weil der VfL die Grenzen des Frauenfußballs erkannt hat, ist er so erfolgreich.

Wollen jetzt noch mehr: Die Wolfburgerinnen sind schon Meister und Pokalsieger. Bild: dpa

WOLFSBURG taz | Was kommt nach dem Maximum? „Wieder das Maximum“, antwortet Alexandra Popp prompt. „Wir wollen möglichst viele Erfolge feiern. Wenn wir das wirklich schaffen sollten mit dem Triple, dann ist es umso schöner, das Triple noch einmal zu holen. Und dann noch mal und dann noch mal und dann noch mal.“ Die Stürmerin des VfL Wolfsburg lacht. Ihre Vorstellungskraft scheint derzeit keine Grenzen zu kennen.

Eine Folge des Titelrauschs, in dem sich die Wolfsburgerinnen derzeit befinden. Nach der Deutschen Meisterschale und dem DFB-Pokal könnte das Team von Trainer Ralf Kellermann am Donnerstag an der Stamford Bridge in London (20.30 Uhr, Eurosport) auch noch die Champions-League-Trophäe ausgehändigt bekommen. Gegner ist Olympique Lyon, das bereits die Finalspiele der letzten zwei Jahre gewann.

„Es wäre die grandiose Krönung einer grandiosen Saison“, sagt Thomas Röttgermann. Vor dem Geschäftsführer des VfL Wolfsburg sitzen im großen Pressesaal der Arena, in dem ansonsten die Belange der männlichen Profis verhandelt werden, neun Journalisten aus der Stadt. Etwa 40 Stühle bleiben unbesetzt. Der Rahmen ist groß gewählt. „Den Anlässen angemessen“, sagt Kellermann.

Auch wenn man derzeit mehr denn je darum bemüht ist, den Fußballerinnen eine große Bühne zu bereiten, so lässt sich nicht kaschieren: Frauenfußball bleibt selbst in diesen besonderen Momenten eine vornehmlich lokale Angelegenheit. Röttgermann weiß das. Er sagt: „Der Frauenfußball ist hier im Vergleich zum Männerfußball klitzeklein, aber er liefert genau das, was der Konzern sehen will.“

Wolfsburg könnte ein ganz großer Klub werden

Wenn Thomas Röttgermann weiter ausholt, fallen all die Stichworte, die man von Markenverkäufern nur zu gut kennt. Er spricht von einem Konzept, das der „Kontinuität, stetigen Fortentwicklung und Nachhaltigkeit“ verpflichtet sei. Ein Konzept, das man auch bei den Männern verfolge.

Er sagt: „Wir sehen jetzt beim Frauenfußball: Man kann die Stabilität des Erfolgs anstreben.“ Unter der Käseglocke des Frauenfußballs, wo sowohl der Druck des schnellen Erfolgs als auch die Finanzkraft der Mitbewerber gering ist, könnte der VfL Wolfsburg noch ein ganz großer Fußballklub werden.

Seitdem Ralf Kellermann im Sommer 2008 das Team übernahm, zeigt der Trend beim VfL nach oben. Von Anfang an, sagt der ehemalige Torwart mit Profierfahrung, habe er die großen Möglichkeiten gesehen. „Ein Verein mit diesem Namen, mit diesem Sponsor, der will immer zu den Besten gehören weltweit.“ Acht, fünf, sieben, zwei, eins – das sind die Abschlussplatzierungen seiner Amtszeit. „Wir haben uns immer weiterentwickelt“, betont Kellermann.

Popp beschreibt Kellermann als einen taktisch kenntnisreichen Trainer und einen guten Motivator. Der konstruktive Umgang mit Kritik, sagt Kellermann, sei für ihn besonders wichtig. Er ist die Sachlichkeit in Person, und diese Nüchternheit verlangt er auch seinen Spielerinnen ab. Auf dieser Basis kann er sein Team bestens formen.

Frauenfußball als eigenständiges Marketinginstrument

Auch die Rahmenbedingungen, betont Kellermann, seien stets verbessert worden. Gemeinsam mit dem U23-Männerteam nutzt man neuerdings einen weiteren Kunstrasenplatz sowie ein Übungsgelände mit Rasenheizung. Man profitiert von den Strukturen und Bedürfnissen des Männerfußballs.

Dass der Frauenfußball beim VfL als eigenständiges Marketinginstrument verstanden und entwickelt wird, ist einzigartig in Deutschland. Und dabei geht der Klub mit einer ähnlichen Verve und Akribie vor wie bei den Männern. Was etwa die Nationalspielerin Alexandra Popp im Pressegespräch nach außen trägt, wird von einem Vereinsmitarbeiter genauestens protokolliert.

Um den „klitzekleinen“ Frauenfußball und das eigene Team populärer zu machen, denken sich die Verantwortlichen auch gern mal außergewöhnliche Angebote aus. Das Champions-League-Halbfinale gegen Arsenal London machte man in der Arena der Männer zu einem kostenlosen Großevent. Gut 8.000 Zuschauer kamen. „Wir schauen darauf, welchen Beitrag können wir jetzt dazu leisten, dass in drei Jahren bei solch einem Spiel 20.000 Zuschauer da sind“, erläutert Röttgermann. Der 52-Jährige fügt an, es sei vielleicht eine der Stärken des Klubs, dass man sich das leisten kann.

Es ist einer der ganz seltenen Verweise der Vereinsverantwortlichen auf die eigene Finanzkraft. Ansonsten wird das Thema gern gemieden – Etatzahlen unter Verschluss gehalten. Bei den größten Ligarivalen in Frankfurt und Potsdam hört man die Klagen, nicht mehr mithalten zu können. Röttgermann erwidert: „Dass die Konkurrenz das so sagt, ermüdet mich zwar, aber es macht mich auch nicht mehr wütend.“ Röttgermann behauptet sogar das Gegenteil: Der Personaletat seiner Mannschaft sei mit Sicherheit kleiner als der in Potsdam und Wolfsburg.

VfL lockte mit Ausbildung im Zoo

Letztlich ist es wohl ein müßiger Streit. Zumindest die Unterschiede zwischen Frankfurt und Wolfsburg scheinen vernachlässigbar. Alexandra Popp, die im Frühjahr 2012 von beiden Vereinen gelockt wurde, sagt: „Finanziell waren die Angebote identisch.“ Für Wolfsburg habe gesprochen, dass sie ihrer Vorstellung nach besser in das Team gepasst hätte. Und da gab es noch ein anderes Argument.

In den Gesprächen mit Kellermann bekundete Popp, eine Ausbildung als Zootierpflegerin beginnen zu wollen. Gewiss kein kleiner Wunsch. Für eine solche Azubi-Stelle erhalten die deutschen Tierparks gewöhnlich körbeweise Post – bis zu 350 Bewerbungen. Die 22-Jährige erzählt: „Zwei Tage später ruft Herr Kellermann an und sagt, du bist zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Das ist natürlich eine große Hausnummer.“ Es klappte.

Berufliche Perspektiven bieten zu können – über den Mutterkonzern oder über das Sponsorennetzwerk – scheint das größte Pfund zu sein, mit dem der Verein in der Liga wuchert. Eine Währung, die im Frauenfußball mehr wert ist als die Frankfurter Gehälter, welche die volle Konzentration auf den Sport ermöglichen.

Sieben deutsche Nationalspielerinnen stehen mittlerweile im Kader des VfL. Thomas Röttgermann sagt: „Wir haben die Bedingungen besser erkannt, unter denen die Frauen spielen. Es ist ein Faktum, dass keine der Spielerinnen, wenn sie aufhört, Fußball zu spielen, von ihrem Sparbuch leben kann.“

Das Bewusstsein für die Grenzen des Frauenfußballs ist in Wolfsburg zur Grundlage eines grenzenlosen Erfolgsanspruchs geworden. „Wir streben immer nach dem Höchsten“, sagt Kellermann, „wir wollen dauerhaft zu den Favoriten zählen und irgendwann die beste Mannschaft in Europa sein.“ Den Titel dafür könnte der Klub schon am Donnerstagabend erwerben.

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