Chef von Amaro Drom über Vorurteile: „Es geht um Self-Empowerment“

Am Wochenende wird in Berlin des Genozids an Sinti und Roma gedacht. Ein Gespräch mit Silas Kropf, über Stereotype, Aufarbeitung und Präsenz.

Ein kleines Konzert zur Eröffnung der Räume von Amaro Drom 2012 in Berlin

Ein kleines Konzert zur Eröffnung der Räume von Amaro Drom 2012 in Berlin Foto: dpa

Herr Kropf, was wissen Sie über den Porrajmos, den NS-Völkermord an Sinti und Roma?

Eine Menge, in meiner Familie war der Holocaust allgegenwärtig. Teile meiner Familie wurden in Konzentrationslager deportiert, andere lebten vergleichsweise geschützt in einem Dorf. Dort ließ der Ortsvorsteher Sterilisationsbefehle verschwinden, weil meine Urgroßmutter eine angesehene Frau war. In der Familie haben wir viel darüber gesprochen, und bis heute gibt es Angst vor Verfolgung. Darum bin ich mit einem Tabu aufgewachsen: Ich durfte nicht zeigen, wer ich bin.

Sie mussten verstecken, dass Sie Sinto sind?

Ja, es musste geheim bleiben. Durch meinen Großvater ist die Familie nach außen sehr auf Abstand zu unserer Kultur gegangen. Das geht so weit, dass in meinem Teil der Familie zum Schutz leider kein Romanes mehr gesprochen wird.

Jetzt sitzen Sie ganz sichtbar im Vorstand von Amaro Drom, der Jugendorganisation für Sinti, Roma und Nicht-Roma. Wie kam es zu der Entscheidung für einen anderen Umgang als den in Ihrer Familie?

Es war der Austausch mit anderen Jugendlichen bei Amaro Drom. Ich kannte vorher nicht wirklich Menschen mit demselben Schicksal. Wir sind von Hessen ins Saarland gezogen, als ich klein war, und dort hatten wir dann kaum Kontakt zu anderen Sinti. Durch Zufall bin ich mit 18 Jahren bei Amaro Drom gelandet und habe plötzlich gemerkt: Wir sind viele. Da habe ich angefangen mich zu fragen, weshalb wir uns verstecken, wenn wir doch eigentlich sind wie alle anderen auch. Und dann habe ich entschieden: Komm, zeig dich!

Wie sind Ihre Erfahrungen seitdem?

Durchweg positiv. Zu dem Zeitpunkt war ich schon an der Uni, und dort wurde das in meinem Umfeld viel thematisiert. Meist dachten die Leute, ich könne gar kein Sinto sein, weil ich nicht aussehe wie „so einer“.

20, lebt im Saarland und absolviert ein duales Studium, Fachrichtung Wirtschaftsinformatik. Seit einem Jahr ist er im Vorstand der Jugendorganisation Amaro Drom.

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe gefragt, wie denn „so einer“ aussieht. Konkrete Antworten hatten die natürlich nicht, aber ich habe doch gemerkt, dass es da um das Bild des ungebildeten, im Wohnwagen hausenden Menschen geht, der nicht gesellschaftsfähig ist und fern jeder Zivilisation.

Das klassische Stereotyp – was meinen Sie, warum hält sich das so hartnäckig?

Ich glaube, das hat mit fehlender Sichtbarkeit zu tun. Jede Kultur hat positive Aspekte, die sie in die Gesellschaft tragen kann. Sinti und Roma beispielsweise können die Gemeinschaft mit Musik und der Sprache bereichern. Medial herrscht aber ein dermaßen negatives Bild vor, dass es mich nicht wundert, wenn ich auf NPD-Plakaten „Lieber Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“ lese. Oder Sprüche höre, dass es besser gewesen wäre, wenn alle vergast worden wären.

Darauf versuchen Sie in Ihrer Arbeit bei Amaro Drom zu reagieren.

Ja, es geht dabei um zwei Bereiche: Einerseits wollen wir nach außen Präsenz zeigen, sensibilisieren, der Mehrheitsgesellschaft zeigen, dass es Sinti und Roma gibt – wir sind immerhin eine anerkannte nationale Minderheit. Und wir wollen zeigen, dass wir nicht die Klischees erfüllen. In der Arbeit nach innen mit den Jugendlichen geht es darum, Selbstbewusstsein zu schaffen, zu stärken, um Self-Empowerment.

Mit „innen“ meinen Sie aber nicht nur junge Sinti und Roma, denn bei Amaro Drom sind auch Nicht-Roma engagiert. Warum ist Ihnen dieser Aspekt so wichtig?

Das hat mit der Gründungsgeschichte von Amaro Drom zu tun, ursprünglich eine Selbst­organisation von Flüchtlingen in Freiburg – Roma wie Nicht-Roma, wobei der Fokus auf Roma lag. Heute geht es vor allem darum, der Segregation entgegenzuwirken, wie sie beispielsweise in Berlin über sogenannte Willkommensklassen stattfindet: Zugewanderte Kinder werden darüber von den anderen Kindern ferngehalten. Wir wollen nicht die Minderheit von der Mehrheitsgesellschaft abkapseln, sondern im Dialog sein, um gemeinsam für die Rechte der Minderheit zu kämpfen.

Wie ist denn die Resonanz bei Nicht-Roma – haben die überhaupt ein Interesse daran, sich mit Rassismuserfahrungen von Sinti und Roma zu beschäftigen?

Mein Eindruck ist, ja. Viele möchten etwas über die Minderheit lernen, weil es kaum Wissen gibt. Andere kommen, weil sie mit Sinti oder Roma befreundet sind, sie im Alltag erleben und wissen, dass es völlig normale Menschen sind. Die wünschen sich, gegen die Diskriminierung zu arbeiten.

Und bei den jungen Sinti und Roma, gibt es da Ängste, sich offen zu zeigen?

Ängste gibt es schon, aber die lösen sich nach unserer Erfahrung schnell auf, sobald sie Veranstaltungen der Organisation besucht haben, die Möglichkeit hatten, sich auszutauschen, und sehen konnten: Ich bin nicht alleine. Das stärkt deren Selbstbewusstsein ungemein.

An diesem Wochenende gibt es im Rahmen des Projekts „Dikhen amen! Seht uns!“ ein bundesweites Treffen von Amaro Drom in Berlin. Sie werden unter anderem an der Gedenkfeier am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma teilnehmen und sich mit dem Porrajmos beschäftigen. Gibt es da bei jungen Sinti und Roma Nachholbedarf?

Ja und nein. In so gut wie allen Familien, die ich kenne, ist der Völkermord sehr präsent – besonders bei deutschen Sinti, die von der Verfolgung stark betroffen waren. Aber es wird eben nur in den Familien darüber gesprochen, in der Schule kommt das Thema kaum vor, und darum bleibt es bei einem kleinen Ausschnitt der Geschichte. Das reicht einfach nicht.

In Ihrer Schule wurde der Porrajmos gar nicht thematisiert?

„Gar nicht“ wäre übertrieben, ich erinnere mich an einen Halbsatz im Unterricht. Da wurde erwähnt, dass während des NS auch 500.000 Sinti und Roma ermordet wurden, das war dann aber auch alles. Ich wusste damals selber schon viel mehr darüber und habe mit ein paar Referaten versucht, aufzuklären.

Für die Diskriminierung gibt es den Begriff Antiziganismus, der allerdings umstritten ist. Verwenden Sie ihn?

Na ja, es ist der Begriff, der in der wissenschaftlichen Literatur am meisten gebraucht wird, deshalb verwende ich ihn in bestimmten Kontexten, auf Veranstaltungen. Aber Antiziganismus geht auf das Wort „Zigeuner“ zurück – ein Begriff, den wir ablehnen, weil er eine Fremdbezeichnung ist und historisch pejorativ genutzt wurde. Ich spreche lieber von Rassismus gegen Sinti und Roma.

Am 2. August 1944 wurden in Auschwitz-Birkenau fast 3.000 Sinti und Roma ermordet. Dieser Tag ist nun vor Kurzem vom EU-Parlament als europäischer Gedenktag anerkannt worden. Bewegt sich was?

Ja. Das Parlament hat im April auch den Völkermord anerkannt. Das ist für mich ein Zeichen, dass es endlich eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung und Aufarbeitung gibt. Für mich geht es an dem Gedenktag aber nicht nur ums Erinnern, sondern auch um einen Blick auf die Gegenwart: Trotz des Völkermordes existiert die Minderheit weiter – wie lebt sie heute?

Sie leben offen als Sinto, Ihre Eltern hielten das aus Angst lieber geheim. Wie stehen die zu Ihrer politischen Arbeit?

Am Anfang hatten sie große Sorgen, dass mir irgendetwas passieren könnte. Nachdem sie gemerkt haben, dass es mir mit meiner Offenheit gut geht, hat sich ihre Angst verändert – und inzwischen sind sie stolz und unterstützen meine Arbeit.

Wenn Ihre Familie, Ihre Eltern sich so davon distanziert haben, Sinti zu sein – was macht für Sie das Sintosein aus?

Wir haben zu Hause zwar nicht fließend Romanes gesprochen, aber bestimmte Redewendungen haben wir schon genutzt. Von daher würde ich nicht sagen, dass sie sich so distanziert haben. Gerade lerne ich die Sprache besser, weil ich im engen Austausch mit meinen Cousinen und Cousins bin. Ich fühle mich als Sinto, und ich fühle mich verwurzelt in der Tradition.

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