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Chefermittler über Doping„Nur ein Klaps auf den Hintern“

Günter Younger von der Anti-Doping-Agentur Wada erklärt, was die Arbeit mit Behörden erschwert und weshalb sie zuletzt gegen Informanten vorging.

Großer Fund: Beschlagnahmte Dopingmittel bei der Zollfahndung Hamburg Foto: imago

Interview von

Tom Mustroph

taz: Herr Younger, was steht auf der Habenseite? Wie viele Dopingverfahren konnten bisher vor allem dank der Ermittlerarbeit erfolgreich abgeschlossen werden?

Günter Younger: Unsere Abteilung ist noch sehr jung. 2016 haben wir mehr oder weniger mit null angefangen. Jetzt sind wir bei 15 Mitarbeitern, ungefähr die Hälfte hat vorher bei Strafverfolgungsbehörden gearbeitet. Unser größter Fall, der uns nach wie vor begleitet, ist der russische. 2017 bekamen wir über Whistleblower die Datenbank. Das waren sehr komplexe Informationen aus dem Labor.

taz: Welche Folgen hatte das?

Younger: Das führte zu mehr als 800 Ermittlungen, die wir mit unseren Partnern, den Verbänden und nationalen Antidopingagenturen durchgeführt haben. Mittlerweile wurden auf dieser Basis fast 300 Athleten gesperrt. Das Besondere ist, dass all diese Verfahren nicht aufgrund von positiven Tests, die ja alle zerstört wurden, sondern aufgrund von Ermittlungen geführt wurden und die Gerichte von den Beweisen auch überzeugt waren.

taz: Wie viele Verfahren stecken noch in der Pipeline? In den letzten Wochen gab es ja immer noch Verurteilungen aus diesem Komplex.

Bild: Wada
Im Interview: Günter Younger

geboren in Niederbayern, ist seit 2016 Direktor für Ermittlungen bei der Wada. Davor war Younger Leiter der Abteilung für Cyber­kriminalität beim ­Bayerischen Landes­kriminalamt.

Younger: Wir sind jetzt bei Fall Nummer 298 und werden sicher noch über 300 kommen. Wir haben den Zeitraum seit 2011 angeschaut. Damals hat das System begonnen, das Doktor Grigori Rodtschenkow aufgebaut hat und das bis 2015 ging. Jetzt laufen die zehn Jahre Verjährungsfrist aus, deshalb müssen wir zügig ermitteln. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir alle erwischt haben.

taz: Der neue Wada-Code, der ab 2027 in Kraft sein soll, zielt auch darauf ab, Trainer und Betreuer stärker zur Verantwortung zu ziehen. Was versprechen Sie sich davon?

Younger: Sportorganisationen sind ja keine Strafverfolgungsbehörden. Das heißt, wir haben wenig Power. Wir können lediglich freiwillige Vernehmungen vornehmen. Rein von der polizeilichen Sicht – und ich bin ja noch immer Polizist – ist es schwierig, wenn man von unten nach oben ermitteln muss, insbesondere, wenn das unterste Glied – in unserem Falle der Athlet – das schwächste Glied ist. Um von oben zu kommen, versuchen wir immer mehr, Strafverfolgungsbehörden einzubeziehen. Wir können dann Verteilerwege zielgerichtet attackieren und kommen an deren Klienten, oft die Ärzte, und von dort weiter an die Trainer bis hinunter zu den Athleten.

taz: Was waren da die größten Erfolge?

Younger: Operation Aderlass muss man natürlich nennen, wo deutsche und österreichische Staatsanwälte den Arzt ermittelt haben. So konnten wir knapp 30 Athleten identifizieren, die von ihm behandelt wurden. Wir haben uns um die Athleten gekümmert, die Strafverfolgungsbehörden um den Doktor.

taz: Gut, aber Aderlass ist schon ein paar Jahre her und es wurde nicht in alle Richtungen ermittelt. Ein paar Personalien blieben ja offen.

Younger: Ja, da befanden wir uns noch im Übergang. Die Sportorganisationen sind es noch nicht so gewöhnt, eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenzuarbeiten. Da müssen wir noch ein bisschen nachjustieren und stecken zurzeit auch sehr viel Energie rein für diese Synergieeffekte. Aktuell ist die Polada, die polnische Antidopingagentur, mit den Strafverfolgungsbehörden sehr erfolgreich. Sie haben ein paar Labore ausgehoben und auch Sportler, die damit verbunden waren, ermittelt.

taz: Gibt es geografische Muster, wo die meisten illegalen Dopinglabore angesiedelt sind?

Younger: Wir sehen, dass auch in Europa die organisierte Kriminalität mehr und mehr in den Bereich von verbotenen Substanzen geht. Der Profit ist ähnlich hoch wie bei normalen Drogen. Aber die Wahrscheinlichkeit, aufzufliegen, ist geringer, weil von der Polizei Doping nicht als Priorität angesehen wird und in manchen Ländern auch keine großen Strafen zu erwarten sind. Bei einem Kilogramm Heroin bekommt man ein paar Jahre Gefängnis, für ein Kilogramm leistungssteigernder Drogen umgangssprachlich gesagt nur einen kleinen Klaps auf den Hintern.

taz: Um welche Länder handelt es sich dabei?

Younger: Die werde ich Ihnen jetzt nicht nennen. Aber wir versuchen, mit den Kollegen dort zu reden. Insgesamt haben wir derzeit über 140 Operationen in Europa und Asien zu laufen. Asien ist Schwerpunkt vor allem für die Produktion, insbesondere Indien und China. Dort wird ja auch legal viel produziert.

taz: Sie haben mit der Operation Puncture eine ungewöhnliche Aktion gestartet. Es wird ermittelt, wie Informationen über 23 chinesische Schwimmer, die positive Proben hatten, aber nicht sanktioniert wurden, nach außen drangen. Geht das nicht zulasten des Antidopingkampfes?

Younger: Die Anfrage dazu ist über unser Exekutivkomitee, also unser oberstes Kontrollorgan, und vornehmlich von Athleten gekommen, die besorgt waren, dass persönliche Daten im Rahmen eines Gerichtsverfahrens nach außen drangen. Das betraf jetzt die chinesischen Schwimmer. Den Fall selbst mag man bewerten, wie man will. Wir sollen die Schwachstelle ermitteln und wie das entsprechend verbessert werden kann. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

taz: Vor allem in den USA und auch aus Deutschland kamen Vorwürfe, dass Sie auf diese Art die Whistleblower aufspüren sollen.

Younger: Nein, das steht überhaupt nicht zur Debatte. Wir wissen den Wert, den Whistleblower für unsere Arbeit darstellen, sehr zu schätzen. Aber wir wollen wissen, wo es hakt im System. Wir fahren das auch relativ klein. Es hat keinen großen Einfluss auf all die anderen Ermittlungen. Wir mussten nichts einschränken deswegen.

taz: Auf wie viele Whistleblower konnten Sie bei den Antidopingermittlungen zurückgreifen, die wirklich wertvolle Informationen liefern?

Younger: Genaue Zahlen kann ich nicht weitergeben. Nur so viel: In jedem Verfahren, das wir führen, ist bestimmt ein Whistleblower involviert.

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