Chelsea gewinnt Champions League: Finale verloan

Dominanz im Spiel, frenetische Fans, der Mythos der unschlagbaren Deutschen im Elfmeterschießen: Doch der Gewinner der Champions League heißt FC Chelsea.

Und jetzt? Die nächste Saison kommt bestimmt. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Eine halbe Stunde vor Mitternacht kam eine große Entgeisterung über die Stadt. Überall, wo die Münchner Massen das Finale schauten, auf der Theresienwiese, im Olympiastadion und in der Arena draußen in Fröttmaning, von wo aus das Unheil seinen Lauf nahm, breitete sich lähmendes Entsetzen aus.

Dieses Entsetzen führte zu weiteren Symptomen einer in Windeseile heraufziehenden fußballbedingten Depression: Fassungslosigkeit, innere Leere, stille Wut. Aus dem „Mia san mia“, das nicht nur auf tausenden T-Shirts als Sinnspruch prangte, sondern auch fest in den Köpfen der bajuwarischen Fußballfreunde verankert ist, wurde ein: “Mia san a Häuferl Elend“.

Am Ende waren es genau zwei Ereignisse, die eine Orgie in Rot verhinderten. Bastian Schweinsteiger, der Held des Halbfinales, schiebt seinen Penalty im entscheidenden Elfmeterschießen an den rechten Pfosten. Dann ist Didier Drogba dran. Er schreitet auf das Tor von Manuel Neuer zu, bereit für den dramaturgischen Höhepunkt des Abends. Der Chelsea-Profi, der wie kein Zweiter die Robustheit des Londoner Teams verkörpert, überlistet den Bayern-Keeper.

Es tritt ein, was nicht sein darf, was in der Stadt München, die vor Selbstgewissheit und Vorfreude zu platzen schien, schlichtweg nicht vorgesehen war. Chelsea gewinnt die Champions League nach Elfmeterschießen.

Kann das wahr sein? Ist das gerecht?

Dieses Chelsea, das erst kurz vor Schluss der regulären Spielzeit mit einem Kopfballtor von Drogba zum 1:1-Ausgleich kommt und in der B-Note klar das schwächere Team ist. Dieses Chelsea, das wieder mal ein Kapitel Antifußball zu schreiben scheint. Dieses Chelsea, das seit dem Halbfinale gegen den FC Barcelona für alle Fußballästheten ein rotes Tuch ist. Kann das wahr sein? Ist das gerecht?

Es ist ein Triumph des Ergebnisfußballs über eine Münchner Mannschaft, die leidenschaftlich für diesen Titel gekämpft hat, aber an sich selbst scheiterte und an Chelseas Chuzpe. Die Blauen wichen von Anfang an einem Duell auf Augenhöhe aus, spielten nur, was sie auch können. Die Kicker des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch agierten defensiv, versuchten sich hier und da an einem Konter und schienen die Kräfte für eine etwaige Verlängerung zu sparen.

Forechecking war erst tief in der Chelsea-Hälfte angesagt. Aus der Vierer-Abwehrkette wurde auch gern mal ein Siebenerriegel. Chelsea spielte so, als hätten sie gar kein richtiges Interesse daran, dieses Finale zu gewinnen. Schwer zu sagen, warum sie so verhalten kickten. War es Gottvertrauen in die Fähigkeiten des Didier Drogba? Das heimliche Wissen darum, dass allein sie an diesem Abend von Fortuna geküsst werden?

„Praktisch gespielt“

„Die können nicht so schwungvoll und kreativ nach vorne spielen“, sagte ein schwer enttäuschter Jupp Heynckes nach dem Spiel, „dafür haben sie praktisch gespielt.“ Sollte wohl heißen: Wir waren klar das bessere Team, wir hätten den Titel verdient gehabt. „Die ganze Statistik spricht für uns“, ergänze der Bayern-Coach. „Wir müssen uns allerdings hinterfragen: Warum haben wir die Tore nicht gemacht?“

Die Dimension der Niederlage hatte Bayern-Manager Christian Nerlinger als Erster begriffen. „Es wird mit dem heutigen Abend nicht abgetan sein“, sagte er, „diese Niederlage ist schwer zu verdauen.“ Es sei alles „wie ein Albtraum, wie ein schlechter Film“. Während der FC Bayern sich von der übergroßen Erwartungshaltung inspirieren ließ und diverse Chancen erarbeitete, machte sich Chelsea ans Werk der Chancenvereitelung. So hatten sie schon den große FC Barcelona mürbe gemacht.

Jetzt war München an der Reihe, von den reiferen Herren aus London düpiert zu werden. Für Profis wie Didier Drogba, Frank Lampard oder John Terry war es die letzte Chance auf den Gewinn der Königsklasse. Für die Münchner bestand indessen die Chance, in die Fußballgeschichte einzugehen als Team, das im eigenen Stadion die Champion League gewinnt.

Eine historische Partie

Es hätte ein Spiel werden sollen, das eine Elf und vor allem Präsident Uli Hoeneß unsterblich macht. „Unsere Stadt, unser Stadion, unser Pokal“ hatte die Bayern-Kurve vor Anpfiff choreografiert – so wollte es im Grunde die ganze Stadt sehen. Die Partie war zur großen Projektionsfläche geworden für Münchner Sehnsüchte und Wünsche nach der kontinentalen Fußballherrschaft. Nichts weniger als eine historische Partie sollte da gespielt werden, ein Match, in dem der FC Bayern jene Selbstgewissheit findet, die dem Rekordmeister in den Duellen mit Borussia Dortmund nach fünf Niederlagen in Serie abhandengekommen war.

Durch die Überhöhung ist der emotionale Absturz nun umso schmerzhafter; wer hoch fliegen möchte, stürzt mitunter tief. Im Tal der Tränen wandelte nicht nur ein Bastian Schweinsteiger, der in seiner Enttäuschung nicht mal mehr Bundespräsident Joachim Gauck die Hand reichen wollte, da schleppten sich auch all die Bayern-Anhänger in Lederhose und Fan-Shirt dahin, die in dem Spiel nur das Präludium für die große Meisterfeier sehen wollten.

„Ich bin leer“, sagte Bayerns Torschütze Thomas Müller. Er stand wie seine Kollegen unter Schock. Es wird nun schwer werden, diese Leere wieder mit Inhalt zu füllen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.