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Pädokrimineller Trainer entlassenFehlende Kontrolle

Bei den Sportfreunden Chemnitz-Süd arbeitet ein Trainer mit Kindern, obwohl er im Netz nachlesbar pädokriminell war. Auf taz-Nachfrage wird er entlassen.

Nicht selten ungeschützte Räume: Kindertraining irgendwo in Deutschland Foto: Hans Blossey/imago

Die Sportfreunde Chemnitz-Süd zögerten nicht lange. Wenige Stunden nach einer Presseanfrage der taz zur pädokriminellen Vergangenheit ihres Trainers Heiko G. löste der Fußballverein die Zusammenarbeit auf. G. war mindestens seit April als Trainer der E-Jugend im Einsatz, ihm anvertraut waren also Neun- bis Elfjährige. Der Vereinsvorsitzende Uwe Markus sagte der taz: „Leider hatten wir keine Kenntnis zu diesem Sachverhalt. Wir haben uns selbstverständlich umgehend getrennt.“

G. stand 2021 in Chemnitz vor Gericht. In einem Prozess, der deutschlandweit Schlagzeilen machte, war dem damals 36-jährigen Kinder- und Heilerziehungspfleger Heiko G. vorgehalten worden, dass er sich in einem Internetchat 2019 mit einem anderen Mann verabredet habe, einen Teenager in eine Fabrikruine in Chemnitz zu locken, ihn sexuell zu missbrauchen und zu töten. Im Zuge der Ermittlungen waren mehrere hundert Dateien mit Kinder- und Jugendpornografie bei G. sichergestellt worden, wie das Portal Tag24 berichtete.

Das Landgericht Chemnitz verurteilte den damals nicht vorbestraften G. im Juni 2021 zu einer einjährigen Bewährungsstrafe, die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre und zwei Monate Haft beantragt. G. selbst beschrieb sich seinerzeit als „asexuell“. Die Vorwürfe bestritt er und sagte, er habe lediglich Straftäter anstacheln wollen, um sie zu überführen. Diese Ausrede nahm ihm die Richterin nicht ab.

In diesem Jahr vernetzte Heiko G. die Sportfreunde Chemnitz-Süd mit anderen Vereinen der Region. „Hallöchen zusammen“ oder „hey Gemeinde“ schrieb er in kumpelhaftem Ton auf der Facebook-Seite Turnierbörse Sachsen – und suchte für seine E-Jugend Testspiele und Testturniere, „gern auch bei uns auf dem Platz, schwache bis mittelstarke Teams“. Im September gehörte er zu den Begleitern der E-Jugend bei Auswärtsspielen. Als Jugendtrainer tätig war er auch schon vor dem Prozess 2021 – für den Fußballverein TSV IFA Chemnitz. Der entließ ihn damals, wie bis heute in der <i>Bild</i>-Zeitung online nachzulesen ist.

„Trainerlizenz nicht Bedingung“

Und dennoch versagten nun bei den Sportfreunden Chemnitz-Süd die Kontrollmechanismen. Der Vereinsvorsitzende Markus sagt, sein Verein befinde sich aktuell im Austausch mit dem Präventionsteam des Stadtsportbunds Chemnitz. Mit ihm werde auch abgestimmt, wie die Information der betroffenen Eltern erfolgen solle. Es gebe „bisher keinen noch so geringen Hinweis auf ein Fehlverhalten“ von Herrn G. „im Rahmen seiner Tätigkeit bei uns“. In der Regel würden die Mannschaften auch von jeweils zwei Trainern betreut, „damit wird zusätzliche Sicherheit geschaffen“. Auf ihrer Internetseite suchen die Sportfreunde aktuell neue Trainer. Dort heißt es: „Eine Trainerlizenz wäre wünschenswert, ist aber nicht Bedingung.“

Die Aktivistin Jennifer Follmann berichtet auf ihrem Instagram-Kanal @safe_space_chemnitz über die Vorgänge rund um den pädokriminellen Jugendtrainer. Nach ihrer Einschätzung glauben viele, dass Kinder sofort etwas sagen würden, wenn ihnen jemand wehtue oder Grenzen überschreite. „Aber die meisten Kinder schweigen. Aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird. Aus Scham. Aus Verwirrung, weil sie oft gar nicht verstehen, dass das, was passiert, nicht okay ist. Weil Tä­te­r:in­nen perfide Strategien haben, um ihre Opfer zu manipulieren, zu verunsichern und zum Schweigen zu bringen.“

Der Sprecher des Sächsischen Fußballverbands, Alexander Rabe, sagte der taz: „Wir sind froh, dass der Verein umgehend gehandelt hat.“ Er verwies auf das seit August 2022 geltende Kinderschutzkonzept des Verbandes, welches das Risiko für Kinder und Jugendliche minimieren und handelnde Personen sensibilisieren solle. Die Maßnahmen böten „leider keine hundertprozentige Sicherheit, tragen aber dazu bei, die Dunkelziffer zu senken“.

Ende 2022 hatte die Sportministerkonferenz aus Bund und Ländern die Ansprechstelle Safe Sport initiiert. Der Verein soll – ausdrücklich unabhängig vom organisierten Sport – Betroffene sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt beraten, psychologisch und juristisch. Der Anspruch: parteiisch im Sinne der Betroffenen zu sein, einen Safe Space außerhalb des „Tatorts Sport“ zu bieten. Perspektivisch ist geplant, konkrete Fälle in einem Zentrum Safe Sport unabhängig untersuchen und/oder sanktionieren zu lassen. Die Geschäftsführerin von Safe Sport, Ina Lambert, sagte der taz: „Es gibt sehr gute Präventionskonzepte. Das Ausmaß der Umsetzung in Vereinen ist bundesweit sehr heterogen.“

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8 Kommentare

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  • Wir sollten uns damit abfinden, dass es auch solcherart Verbrechen immer geben wird und nicht in moralischem Übereifer das Kinde mit dem Bade ausschütten. Wenn wir technokratisch und im medialen Furor versuchen, jegliche Übergriffe auf Kinder zu verhindern, wird es bald keine Trainer und Männer in der Jugendarbeit mehr geben. Wir müssen uns damit abfinden, dass es in einer freien Gesellschaft immer ein gewisses Quantum an Kriminalität geben wird.

    • @fleischsalat:

      Nein, das werde ich nicht .



      "Wir müssen uns damit abfinden, dass es in einer freien Gesellschaft immer ein gewisses Quantum an Kriminalität geben wird."



      Ich werde mich nicht damit abfinden, dass es ein ungewisses Maß an Kriminalität geben wird, sondern dazu beitragen, dass dieses Quantum möglichst gegen 0 geht. Erstens wegen der Opfer und zweitens wegen der Freiheit der Ehrbaren.



      Eine freie Gesellschaft als Ursache und Ort des Verbrechens darzustellen ist abschätzig gegenüber dem hohen Gut der Freiheit ! Diktaturen verursachen und dulden Verbrechen deutlich häufiger.

  • Erweitertes Führungszeugnis? M.W. Standard in der Kinder- und Jugendarbeit, egal ob Haupt- oder Ehrenamt. Kann (und sollte) auch nach Einstellung regelmäßig angefordert werden.

    • @hierbamala:

      Das dachte ich auch. Der Autor geht womöglich davon aus, dass eine Trainerlizenz mit einem erw. FZ verbunden sein muss. Mich würde nicht wundern, wenn auch die Präventionskonzepte diesen Mangel haben, was in dem Schlusssatz von Frau Lambert (...heterogen) ja zum Ausdruck kommt. Fatalismus ist bei einem gravierenden Qualitätsmangel nie angebracht.

  • In der Sache äußerst unerfreulich, in der Beschreibung besser. Es ist gut, dass nicht mehr der irreführende Begriff "pädophil" sondern durchgehend richtig der Begriff "pädokriminell" als Attribut gebraucht wird. Man muss bei diesem alarmierenden Thema sehr umsichtig sein, bekannte Jusitzirrtümer sind Ralf Witte, Lesley Molseed ....

    • @Hans - Friedrich Bär:

      Warum legen sie so viel Wert auf eine Unterscheidung?

    • @Hans - Friedrich Bär:

      zur Ergänzung :



      Für Personen, die mit besonders schutzwürdigen Personen umgehen ist das erweiterte Führungszeugnis eigentlich zwingend erforderlich. Dass Personalverantwortliche der Vereine nicht durch Struktur- und Prozessqualität gezwungen werden, die Vorlage bei Einstellung und regelmäßig zu verlangen ist ein Qualitätsmangel. Die "Trainerlizenz" und z.B. die Kursleiterqualifikation der zentralen Prüfstelle für Prävention sagen als Fachkundenachweise nichts uber das kriminelle Potential eines Bewerbers aus. Frau Claus hat ein Trainerregister gefordert, die Vor- und Nachteile wurden in einem Nachbarartikel diskutiert. Dieses Register ist eigentlich nicht erforderlich, da das Zentralregister beim BfJ die personenbezogen relevanten Informationen enthält.

      Annäherungsversuche Erwachsener an Kinder - und Jugendliche sind immer verwerflich , an andere Erwachsene plump und unerwünscht.

      Der freundliche Umgang ist kein Annäherungsversuch, sondern das was wir wollen .

      www.zentrale-pruef...anerkennen-lassen/



      www.bundesjustizam...szeugnis_node.html

  • Eine einjährige Bewährungsstrafe - das ist ja wohl ein Witz. Wieso hat die Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel eingelegt?



    Mein Dank an die taz!