ein Ingenieur öffnet die Tür zu einem Server

In einem Serverraum bei Shenzhen Foto: Kevin Frayer/getty images

Chinesische Charmeoffensive:Die schöne Welt von Huawei

Kann man das 5G-Netz dem Huawei-Konzern anvertrauen? Keinem Unternehmen schlägt mehr Misstrauen entgegen als diesem Ausrüster. Ein Besuch.

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12.11.2019, 08:12  Uhr

Huawei-Gründer Ren Zhengfei hat die Gäste in eine Säulenhalle gebeten, die wie eine kitschige Reminiszenz an das alte Europa wirkt. An den Wänden erzählen Gemälde Geschichten von Aufstieg und Niedergang. Sie zeigen Napoleon bei seiner Krönung und bei der Schlacht bei Waterloo. Die goldverzierten Wandschränke sind viktorianisch, die Statuen inspiriert vom antiken Griechenland.

Sichtlich entspannt erscheint der 75-jährige Tech-Mogul zwischen den Säulen in lachsrosa Hemd und olivgrünem Sakko. Angesprochen auf den Handelskrieg zwischen Washington und Peking, gibt sich der Huawei-Gründer erstaunlich siegessicher. Washington boykottiert sein Unternehmen und will, dass andere Staaten dem folgen. Die Argumentation Washingtons: Wer das chinesische Unternehmen beim Ausbau von 5G-Netzwerken einbindet, läuft Gefahr, von Peking vollständig überwacht zu werden.

„Die amerikanische Regierung kann machen, was immer sie für richtig für ihre eigenen Unternehmen hält“, entgegnet Ren. „Doch ich kann Ihnen versichern, dass wir auch ohne amerikanische Technologie weiter wachsen werden.“ Bislang geben ihm die aktuellen Wirtschaftszahlen recht: Im dritten Quartal 2019 ist der Umsatz von Huawei vor allem dank seines Smartphone-Geschäfts um 27 Prozent gestiegen.

Portrait des Huawei-Firmengründers Ren Zhengfei, lachend

Der Huawei-Gründer Ren Zhengfei Foto: Ng Han Guan/ap

Ren Zhengfei, der die Garagenfirma Huawei 1987 mit kaum 5.000 US-Dollar Startkapital gründete, hat Huawei zum weltgrößten Hersteller von Telekommunikationstechnik gemacht. Der Gründer selbst gilt als verschlossen, nur selten gab er Interviews – bis jetzt. Die Diskussion um Huawei als verlängerter Arm des Kommunistischen Partei Pekings hat Ren zu einer neuen Strategie veranlasst. Ren will beweisen, dass Huawei ein global geführtes und transparentes Unternehmen ist.

Dutzende Ausländer polieren das Image auf

Für die neue Transparenz ist Glenn Schloss verantwortlich. „Wir sind zwischen die Fronten geraten“, räumt der Australier ein, der als Vizepräsident die Kommunikationsabteilung von Huawei leitet. „Die Auswirkungen des Handelskriegs haben uns geschäftlich nicht groß getroffen, dafür unser Ansehen umso krasser.“ Schloss hat einst als Journalist, unter anderem für die Hongkonger South China Morning Post, berichtet. Nun soll er das Huawei-Image aufpolieren. Schloss ist einer von über einem Dutzend Ausländern, die das Unternehmen als Teil einer Charmeoffensive angeheuert hat. „Huawei hat keinen guten Job in der Vergangenheit gemacht, sich selbst und seine Technologie zu erklären“, gibt sich Schloss selbstkritisch. „Diesen Preis zahlen wir jetzt.“

Aufgrund von Spionagevorwürfen der USA hat Huawei im Westen einen zweifelhaften Ruf. Präsident Donald Trump übt Druck auf seine europäischen Verbündeten aus, Huawei nicht am Aufbau der 5G-Netze zu beteiligen. Stichhaltige Beweise für eine direkte Verbindung zur Kommunistischen Partei in Peking legte Washington jedoch nicht vor. Anfang des Jahres wurde zudem die Tochter von Ren Zhengfei in Kanada verhaftet. Der bisher nicht belegte Vorwurf: Meng Wanzhou soll mit Hilfe einer Tochterfirma von Huawei die US-Sanktionen gegen den Iran umgangen haben.

Und der Preis ist enorm. Die Kosten des Handelskonflikts beziffert Firmengründer Ren trotz des anhaltenden Wachstums auf 30 Milliarden US-Dollar Gewinneinbußen für die nächsten zwei Jahre. Dem Unternehmen wurde schließlich per Gericht verboten, technische Ausrüstung aus den USA zu importieren. Man sei jedoch nicht mehr abhängig von der Technologie der Vereinigten Staaten, heißt es dann gleich. Zudem verkaufe Huawei nur 1 Prozent aller Huawei-Smartphones in den USA. In der chinesischen Heimat konnte das Imperium seine Marktführerschaft bereits auf über 50 Prozent ausbauen. Trotzdem fürchtet Huawei, dass die Trump-Regierung den Druck auf seine Verbündeten erhöht, Marktzugänge in Europa und anderen Drittländern zu verhindern.

Zwei Autostunden nördlich des Stadtzentrums der 12-Millionen-Einwohner-Stadt Shenzhen öffnet Huawei nun westlichen Journalisten seine Pforten zur Smartphone-Produktion. In einem Fabrikkomplex kümmern sich 20.000 Angestellte darum, dass jeden Monat über 2 Millionen Mobiltelefone vom Band gehen. Allerdings arbeiten an der 120 Meter langen Fertigungsstraße von der Herstellung der Leiterplatte bis zum Anbringen des Barcodes lediglich 17 Mitarbeiter. Fast alle Arbeitsschritte werden von Industrierobotern erledigt, viele aus firmeneigener Produktion. Es ist Präzisionsarbeit: Wenn das fertige Smartphone am Ende des Fließbands mehr als sechs Gramm über der Norm wiegt, müssen alle Einzelteile noch einmal überprüft werden.

Verona, Grenada und die Jungfraubahn

Die neuesten Huawei-Innovationen werden aber einen Steinwurf entfernt, in Verona, Fribourg und Grenada, ausgetüftelt. Unter der gleißenden Sonne Südchinas hat Huawei ein Miniatur-Europa errichtet, in dem die talentiertesten Ingenieure des Unternehmens ihre Büros haben. Durch den sogenannten Ox-horn-Campus in Shenzhen führt ein roter Zug im Stile der schweizerischen Jungfraubahn. Über einem künstlich angelegten Märchenteich thront eine Kopie des Heidelberger Schlosses.

1,5 Milliarden Dollar hat Huawei investiert, dass das europäische Flair die Kreativität seiner Mitarbeiter beflügeln möge. Der luxuriöse Ingenieurscampus in Freizeitpark-Ambiente passt ins Firmenkonzept: 14 Prozent seines Umsatzes von 105 Milliarden US-Dollar haben die Chinesen im letzten Jahr in Forschung und Entwicklung investiert – und übertrumpfen so Microsoft und Apple.

Menschen fotografieren vor einem Nachbau des Schlosses Versailles auf dem Firmengelände von Huawei in Shenzhen

Eine Kopie von Versailles auf dem Huawei-Campus soll die jungen Talente inspirieren Foto: Kevin Frayer/getty images

Damit bleibt das Unternehmen attraktiv für Talente wie den 27-jährigen Zhou Yuhao. Der Ingenieur hatte bereits nach seinem Master-Abschluss an der Columbia-Universität in einem New Yorker Start-up gearbeitet. Dennoch ließ er sich im letzten Jahr – trotz niedrigerem Gehalt – von Huawei in sein Heimatland abwerben. „Einerseits wollte ich näher bei meiner Familie sein. Aber vor allem ist es eine Ehre, für Huawei zu arbeiten“, sagt er.

Vom Design zur künstlichen Intelligenz

Bei Maracujasaft im Garten eines Firmenrestaurants schildert Zhou die Vorzüge seines Arbeitgebers: Nach Feierabend bietet Huawei seinen Mitarbeitern Yoga- und Kunstkurse an. Und wer in der firmeneigenen Apartmentsiedlung eine Wohnung kaufen möchte, erhält Rabatt. „Vor allem schätze ich die Flexibilität und Weiterbildungsmöglichkeiten: Alle paar Jahre kann ich die Abteilungen im Unternehmen wechseln, etwa zum Design-Bereich oder zur künstlichen Intelligenz“, sagt der Ingenieur.

Der Stolz Chinas auf seinen Hightech-Giganten manifestiert sich im ultramodernen Huawei-Flagship-Store in Shenzhen. Auf Präsentiertischen werden die neuesten Smartphones von den kaufkräftigen Kunden bestaunt, in einem offenen Auditorium hält eine junge Videobloggerin gerade einen Social-Media-Kurs. Die Dach­terrasse gibt den Blick frei auf die futuristische Innenstadt Shenzhens, die sich nur in Nuancen von Abu Dhabi, Vancouver oder Chicago unterscheidet. Die steril sauberen Gehsteige werden gesäumt von LED-Werbetafeln für 5G, das hier soeben flächendeckend eingeführt wurde.

Es ist kein Zufall, dass das Huawei-Imperium ausgerechnet im südchinesischen Shenzhen seinen Anfang nahm. Noch zu Beginn der 1970er Jahre war das verschlafene Fischerdorf wenig mehr als ein paar Hütten am Meer, heute erhebt sich über die Megacity eine der aufregendsten Skylines des Landes. Die Berge an der Küste Kantons wurden einst mit Dynamit weggesprengt, auf dem neu gewonnenen Land errichteten Arbeitsmigranten das 599 Meter hohe Ping An International Finance Center, eine architektonische Machtdemonstration mit 115 Stockwerken. Bereits acht U-Bahn-Linien sind in Betrieb, weitere fünf befinden sich im Bau. Statt genervtes Hupen und Menschenlärm beherrscht den Sound der Stadt ein konstantes Summen: Taxis, öffentliche Busse und ein Drittel aller Pkws fahren elektrisch.

Ein Mann geht an einer Kamera zur Gesichtserkennung vorbei

Gesichtserkennungskamera auf dem Firmengelände Foto: Kevin Frayer/getty images

1978 errichtete hier der kommunistische Reformer Deng Xiaoping aufgrund der Nähe zu Hongkong die erste Sonderwirtschaftszone. Huawei-Gründer Ren Zhengfei sah sofort seine Marktnische: Nur 0,2 Prozent aller Chinesen besaßen damals einen Festnetzanschluss. Also importierte der Geschäftsmann aus der Sonderverwaltungszone Hongkong sogenannte Festnetzverteiler und verkaufte sie in den Provinzen Chinas weiter. Die eigene Produktion folgte erst später: Den Schritt von Billigelektronik bis hin zu Premium-Smartphones schafften die Ingenieure in nur 20 Jahren.

Pilotprojekt in der Inneren Mongolei

Wie die 5G-Zukunft aussehen soll, wird im Hua­wei-Campus demonstriert, einem Silicon-Valley-Abklatsch aus Dutzenden Forschungslabors in verspielter Architektur. Ein Ingenieur mit Schlips, Nerd-Brille und Soldatenfrisur präsentiert stolz die neuesten technischen Innovationen aus dem Hause Huawei: Mithilfe von 5G werden bereits in einem Pilotprojekt in der Inneren Mongolei Minentransporter durch die Kohlebergwerke fahrerlos betrieben. Zudem steuert der Hafen in Ningbo seine Frachtcontainer ebenfalls ohne Menschenhand. Die Technik verspricht dabei nicht nur eine höhere Effizienz, sondern auch weniger Unfälle.

Gleichzeitig feilt Huawei auch an einer umfassenden Überwachung, die unter Datenschützern in Europa die Alarmglocken schrillen lassen würden – etwa flächendeckend eingeführte Gesichtserkennungskameras mit Ganzkörperscannern. „Diese werden bald anhand der Bewegungs­abläufe im Ansatz erkennen können, ob etwa ein Passant ein Messer zückt. So lassen sich Verbrechen verhindern“, sagt der Ingenieur und blickt durch seine Nerd-Brille. „Unsere Kameras erfassen bis zu 300 Gesichter gleichzeitig. Das ist hilfreich an öffentlichen Plätzen mit vielen Menschen, wie etwa dem Platz des Himmlischen Friedens. Dort sind unsere Kameras bereits installiert.“ Ausgerechnet an jenem historischen Ort in der Pekinger Innenstadt also, an dem das chinesische Militär 1989 einen Volksaufstand brutal niedergeschlagen hat. Mit 5G und künstlicher Intelligenz wäre die Bewegung der Demokratie­aktivisten wohl im Keim erstickt worden.

Der Aufstieg: 1987 gründete Ren Zhengfei mit knapp 5.000 US-Dollar im südchinesischen Shenzhen die Firma Huawei. Huawei profitierte massiv von staatlichen Investitionen der Zentralregierung beim Ausbau landesweiter Netze. Huawei wurde anfangs vorgeworfen, mit Dumpingpreisen den Markt zu untergraben und ausschließlich Billigware zu produzieren. Inzwischen ist Huawei längst in das Segment der Premium-Smartphones eingestiegen. Derzeit ist das Unternehmen größter Netzwerkausrüster und zweitgrößter Smartphone-Produzent – weltweit.

Die Diskussion über die Vertrauenswürdigkeit Huaweis hat auch in Deutschland längst zu heftigen und kontroversen Diskussionen geführt. Mitte Oktober erklärte die Bundesregierung zwar zunächst, Huawei am Aufbau des 5G-Netzes zu beteiligen. Dann allerdings lenkte sie aufgrund der wachsenden Anzahl von Kritikern, darunter Bundestagsabgeordneten und Nachrichtendienstmitarbeitern, ein. Nach einem Vier-Augen-Gespräch zwischen Außenminister Heiko Maaß und Innenminister Horst Seehofer beschloss die Bundesregierung, dass man sich nicht mit einer rein technischen Prüfung der potenziellen 5G-Ausrüster begnügen will, sondern die Angelegenheit „politisch bewerten“ möchte. Maaß sprach von einer „Vertrauensprüfung“. De facto käme dies einem Ausschluss Huaweis in kritischen Bereichen des 5G-Netzes gleich.

Undurchsichtige Eigentümerstruktur

Der Verdacht auf staatliche Einflussnahme liegt auch in der Eigentümerstruktur Huaweis begründet. Gründer Ren führt zwar bis heute das Unternehmen, aber hält nur noch rund 1 Prozent aller Anteile. Die restlichen 99 Prozent werden von der Mitarbeitergewerkschaft gehalten, die über ihren Dachverband an den chinesischen Staat angebunden ist. Ob dies Huawei zum verlängerten Arm der Pekinger Regierung macht, ließ sich bislang zwar niemals beweisen. Doch auch Huawei selbst konnte die Vorwürfe bisher nicht entkräften.

Viele Veröffentlichungen führen in dem Zusammenhang stets an, dass Firmengründer Ren Zhengfei in seiner Jugend am Forschungsinstitut der Volksbefreiungsarmee gearbeitet hat und seit 1978 als Parteimitglied geführt wird. Mitarbeiter berichten, dass Ren trotz hervorragender Geschäftsbilanzen stets von einem geradezu paranoiden Überlebensinstinkt angetrieben werde. Seine Angestellten soll er intern oftmals als „Kameraden“, „Offiziere“, das Verkaufsteam als „Frontsoldaten“ bezeichnen.

Zwei Männer mirt Schlafmasken liegen auf improvisierten Betten in einem Büro

Mittagspause auf dem Bantian-Campus, nahe der Firmenzentrale von Huawei in Shenzhen Foto: Kevin Frayer/getty images

Doch Rens Lebensgeschichte lässt sich auch ganz anders erzählen. Als ältestes von sieben Kindern ist er in bitterer Armut aufgewachsen. Rens Eltern gerieten während der „Kulturrevolution“ schon früh ins Fadenkreuz der Parteikader. Der junge Ren hat daher früh gelernt, dass jedes falsche Wort in der Öffentlichkeit schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Sicherheitsabkommen mit jedem Land

Überraschend offenherzig gibt sich Ren dann in seiner Firmenzentrale. Dass ein 5G-Netz mit Huawei-Technik für die chinesischen Regierung Spionagekanäle eröffne, schließt Ren kategorisch aus. Sollte es Zweifel geben, wäre Huawei bereit, mit den Regierungen in Europa Sicherheitsabkommen abzuschließen. „Ein solches Abkommen können wir jederzeit unterschreiben“, beteuert er.

Kurz vor Ende des Gesprächs gibt Ren aber noch einmal ganz den Unternehmer: „Ich verstehe nicht, warum europäische Unternehmen das durch den Handelskrieg mit den USA entstandene Vakuum nicht besser geschäftlich nutzen. Wenn es Geld zu machen gibt, wieso nicht die Chance nutzen?“

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