Clintons Innovationsberater Ben Scott: "Das Internet ändert alles"
Außer Kuba und Nordkorea wollen alle ans Internet – wegen der Wirtschaft. US-Regierungsberater Ben Scott über das "dictator's dilemma", anonymes Kommentieren und Internet-Außenpolitik.
taz: Sie haben keinen Wikipedia-Eintrag – oder habe ich ihn einfach nicht gefunden?
BEN SCOTT: Ich habe noch keinen. Vielleicht wegen des Wechsels aus dem NGO-Bereich in die Regierung.
Was ist denn da mit Google los, will Google wirklich anonymes Kommentieren im Netz unmöglich machen?
Das ist doch die große Facebook-Debatte. Die Frage, ob Facebook Pseudonyme erlaubt. Aus Regierungssicht gibt es keinen Anlass, Firmen zu erklären, wie sie ihr Geschäftsmodell konzipieren sollen. Für mich ist die Frage, ob Facebook es erlaubt oder ob Google es erlaubt, unwichtig – anonymes Kommentieren im Netz ist alternativlos, es ist Realität.
Aber könnten Staaten das nicht regulieren und Firmen vorschreiben, dies zu ermöglichen?
Ich meine nicht, dass das nötig ist. Wie gesagt: anonymes Kommentieren ist typisch für das Netz. Und das ist gut so. Jeden Tag arbeiten wir mit Aktivisten aus der ganzen Welt und alle von ihnen nutzen Tools, um anonym im Netz kommunizieren zu können.
Wie denn das?
Wir haben ein 15 Millionen Dollar schweres Regierungsprogramm für die Internet-Freiheit aufgelegt. Das meiste davon geht in drei Bereiche: zum einen die Entwicklung von Technologien, die die Umgehung von Netzsperren ermöglichen und die Anonymität sichern. Zum Zweiten bringen wir diese Software unter die Leute. Drittens helfen wir ihnen, die Software richtig zu benutzen. Bildung!
Bildung, wo? Auch in Schulen?
Nein, fast ausschließlich für Aktivisten. Normalerweise machen wir Trainings, NGOs kommen und lernen, wie man die Software entwickelt, verbreitet und benutzt. Die Leute kommen von selbst. Manche von ihnen sind erfahren, sie kommen, nehmen ein Open-Source-Tool und passen es für ihre Bedürfnisse an. Die Unerfahrenen sind normalerweise auch unerfahren mit dem Netz, sie wollen einfach wissen, wie es funktioniert. Wie man mithilfe des Netzes in einem Land, das seine Bürger überwacht, sicher sein kann. Oder dort, wo meine Inhalte problematisch sind oder die Kommunikation mit meinen Freunden.
Um was für Software geht es denn da konkret?
Zum Beispiel der "Panic Button": Im Grunde ist das eine Software, mit der sich mit einem Klick, nach Eingabe eines Codes, das ganze Adressbuch im Telefon löschen lässt.
… Wow, cool, das wäre auch etwas für die deutschen Castor-Aktivisten …
… das häufigste ist jedoch Software, mit der sich Netzsperren umgehen lassen. Proxy Server. Wenn du in einem Land bist, das Webseiten wegblockt, dann zeigen wir den Weg, wie man dennoch auf diese Webseite kommen kann. Man muss ja nur um die Sperre herumkommen, das ist ein einfach zu lösendes technisches Problem. Wenn man Internetsperren umgeht, um auf eine verbotene Seite zu kommen, hat man vielleicht Angst, beim Besuch der Seite erfasst zu werden. Deswegen muss man solche Software immer mit Verschlüsselung kombinieren. Wer das nicht macht, zeigt der Regierung: „Hallo, hier bin ich! Ich nutze Software, um Netzsperren zu umgehen“. Deswegen bieten wir immer häufiger Software, wo beides kombiniert ist.
Ist die Software denn wirklich so einfach zu benutzen? Ich finde Verschlüsselung immer etwas kompliziert und viele andere Menschen in Deutschland sehen das genauso. Verschlüsselung ist aufwändig und unpraktisch.
Genau, das ist das Problem und wir versuchen, es zu lösen. Einer unserer Partner, Freedom House, hat eine Studie gemacht. Internet-Aktivisten aus der ganzen Welt wurden gefragt: Welche Software nutzt ihr? Warum? Wie oft? In welcher Kombination? Sie fanden heraus: Viele nutzen Software, um Netzsperren zu umgehen – und sie dachten, sie würden verschlüsselt kommunizieren. Es gab aber keine Verschlüsselung.
Oh, wie ärgerlich …
Richtig. Sie dachten, die wären sicher – aber sie waren es nicht wirklich. Das sagte uns: wir brauchen Bildung als wesentlichen Teil des Internet-Freiheitsprogramms. Public Key und Private Key – das ist nicht einfach. Das erfordert ein gewisses Maß an Erfahrung. Wir stecken deswegen Geld in Verschlüsselungstechnologie mit grafischer Benutzeroberfläche, einfache Benutzung, mit Erklärung. Außerdem sollte die Software mit allen Browsern und allen Handys funktionieren.
Also müssen wir keine Angst haben, dass aus den USA Initiativen kommen, Verschlüsselung zu verbieten?
Nun. (lacht). Das ist ein Dauerthema in jeder Regierung zwischen denen, die für Menschenrechte sind und denen, die sich für innere Sicherheit interessieren. Man muss beide Seiten verstehen und die Interessen ausbalancieren.
Kann es denn überhaupt eine linke, liberale Sicherheitspolitik nach 9/11 geben?
Nun. Ich kann nicht für die Bush-Regierung sprechen. Was ich aus meiner bisherigen Zeit bei Barack Obama und Hillary Clinton sagen kann: niemals hatten wir eine Diskussion über ein Verschlüsselungsverbot. Alle Diskussionen, bei denen ich dabei war, drehten sich darum, wie man Verschlüsselung für gute Ziele wie die Stärkung der Menschenrechte nutzt. Aber natürlich gibt es auch viele Personen, die sich für Themen der inneren Sicherheit einsetzen – dennoch denke ich: Es wird kaum einen starken Vorstoß vonseiten der USA geben, Verschlüsselung zu verbieten. Zum einen, weil es keine gute Politik ist, zum anderen, weil es technisch unmöglich ist.
Ach, wenn man sich als Staat direkten Zugang zu den Rechnern der Leute verschafft, vielleicht mit einem besonderen Chip?
Das ist so sehr Big Brother! Natürlich könnte man das versuchen. Aber ich denke: China setzt Milliarden dafür ein, Zehntausende arbeiten in dem Überwachungsbereich – nur mit dem Ziel, Kommunikation zu kontrollieren und zu überwachen. Natürlich sind sie vergleichsweise erfolgreich damit. Aber sogar China mit seinem riesigen Aufwand schafft es nicht, alles zu kontrollieren. Gleichzeitig schaden sie der digitalen Wirtschaft in ihrem Land. Und das ist fatal für sie, denn die Netzwirtschaft ist der Markt der Zukunft. Und er wird mit steigender Vernetzung weiter wachsen.
Was hat das denn mit Menschenrechten zu tun?
Die Verbindung von Menschenrechten mit einer prosperierenden Wirtschaft und Innovation ist sehr spannend. Denn hier tut sich ein Konflikt auf für die Staaten, die nicht an Menschenrechten, aber an Wirtschaftswachstum interessiert sind. Außenministerin Clinton nennt das "The dictator's dilemma". Außer Kuba und Nordkorea wollen alle Länder ihre Bevölkerung ans Netz bringen. Nämlich, weil sie das Internet als Schlüssel für Wirtschaftswachstum sehen.
Also wird sich das Problem der Diktaturen mit steigender Vernetzung von selbst lösen?
Es ist Druck da. Die Frage ist: Wie kann dieser Druck genutzt werden? Das "dictator's dilemma" ist ein Spagat zwischen der Vision Menschenrechte und der Realpolitik Wirtschaftswachstum.
Worauf fokussieren Sie sich strategisch aktuell?
Am spannensten finden wir gerade internationale Beziehungen und Außenpolitik. Im Internetzeitalter ergeben sich viele neue Fragen: wie ändert das Internet Diplomatie? Wie ändert es unsere Strategien in der Entwicklungspolitik? Wie ändert sich unsere Politik in Bezug auf unsere Verbündeten und die internationale Gemeinschaft? Solche Fragen stellte Außenministerin Clinton gleich zu Beginn ihrer Amtszeit. Sie musste das auch. Denn die Präsidentschaftswahl 2008 war eine Wahl, bei der das Internet alles geändert hatte.
Und dann der arabische Frühling …
… der arabische Frühling war ein Lichtblick, ja eine Offenbarung. Und ein interessantes Phänomen, auch in Bezug auf das Internet, das viele Politiker mitbekommen haben. Auch in der deutschen Politik sieht man das derzeit.
Was sieht man? Die deutsche Politik soll das Internet verstehen? Das sehe ich so nicht.
Doch, man sieht die Ablehnung. Man sieht die Angst. Es wird sich vor den Gefahren aus dem Netz gefürchtet. "Das Internet ist böse" sagen manche. Sie wollen es kontrollieren, limitieren. Und der Wandel durch das Internet ist alternativlos. Die Politik in Deutschland realisiert das zurzeit.
Aber was denken Sie dann über deutsche Politiker wie Ilse Aigner, die US-Firmen wie Google und Facebook kritisieren?
Was mit den Daten auf Servern außerhalb von Deutschland passiert, ist eine sehr wichtige Frage. Wie kann man im Netz sein Recht durchsetzen? Ein sehr spannendes Beispiel für eine Frage, die sich nicht national lösen lässt. Wir müssen dies international, wir müssen dies gemeinsam lösen! Das Netz gehört keinem Land und auch keiner Firma. Es gehört uns allen – und das macht es sehr schwierig, gemeinsame Regeln zu machen. Wir haben damit gerade erst begonnen. Zurzeit ist es so, dass es keinerlei internationales Recht, kein Abkommen gibt, das den Zugriff auf Daten auf Servern im Ausland regelt.
Aber es gibt doch Verhandlungen und schon heute gibt es die EU-Datenschutzrichtlinie und das Safe-Harbor-Abkommen …
… zurzeit arbeitet die Europäische Union an so etwas. Genauso gibt es derartige Debatten in Nordamerika und auch in Asien. Das Wichtigste ist: Können wir ein gutes Konzept vorgeben? Nicht alle werden mit dem Konzept einverstanden sein. Aber wir brauchen Regeln und Normen. Und Ziele. Dann wird der Druck abnehmen.
Aber die Chance, dass deutsches Datenschutzrecht Eingang in internationales Recht findet, ist wahrscheinlich sehr gering?
Ich weiß es nicht. Die USA haben in der Vergangenheit nicht immer Rücksicht genommen. Das ändern wir aktuell. Technologie ändert unsere Welt. Wir müssen Politik schnell genug daran anpassen und vorsichtig an die neuen Umstände anpassen.
Aber in der Diskussion um das SWIFT-Abkommen haben sich die USA überhaupt nicht bewegt...
Wenn Fragen des Datenschutzes etwas mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu tun haben oder mit der Rechtsdurchsetzung, werden einige sehr, sehr verkrampft. Diese Diskussionen haben wir in Washington ständig. Und das wird noch sehr lange so weitergehen. Meiner Meinung nach sind die Fragen in jedem Land gleich: Man spricht über Datenschutz, Breitband, Mobilfunk-Frequenzen oder auch über Steuern. Und über allem steht die Frage: Gibt es eine Internet-Außenpolitik?
Und gibt es die heute schon?
Noch ist es mehr zwischen Nationalstaaten. Wir wollen Prinzipien der Internet-Außenpolitik diskutieren. Ihre Prinzipien und Regeln.
Wird es einen Tag geben, an dem alle Mauern gefallen sind?
Eines Tages wird man online dieses Gefühl haben können. Egal, wo man sich geografisch befindet.
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