Co-Autorin der Mitte-Studie über die AfD: „Wir sollten aufhören, die Diskurse der AfD aufzugreifen“
Die Mitte-Studie zeigt eine zunehmende Normalisierung der AfD. Dagegen hilft nur klare Abgrenzung, sagt die Co-Autorin der Studie.
taz: Frau Küpper, die Ergebnisse Ihrer Studie waren überraschend: Über 76 Prozent der Menschen lehnen extrem rechte Einstellungen ab. Gleichzeitig hat die AfD so hohe Umfrageergebnisse wie noch nie. Wie passt das zusammen?
Beate Küpper: Wir hatten 2024 die größten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, die es jemals in der Bundesrepublik gab. Gleichzeitig wird in den letzten Jahren eine deutliche Normalisierung der AfD deutlich. Inzwischen meinen 30 Prozent der Befragten, die AfD sei „eine Partei wie alle anderen auch“. Wenn die Wahrnehmung der Stigmatisierung der AfD abnimmt, fällt es noch leichter, diese Partei zu wählen.
taz: Was muss sich ändern?
Küpper: Erst mal sollten wir aufhören, die Diskurse der AfD aufzugreifen. Zu denken, man kriegt Wähler der AfD wieder, indem man hinter ihnen herläuft, halte ich für einen großen Irrtum. Das sehen wir beim Diskurs um Remigration – ein Begriff, der vor zwei Jahren noch als „Deportation“ verstanden wurde, wird jetzt hingenommen und normalisiert. Aus unserer Geschichte haben wir doch gelernt, wie schnell so etwas gehen kann. 1933 konnten sich die Leute auch nicht vorstellen, dass sie 1938 zusehen, wie ihre Nachbarn aus ihren Wohnungen deportiert werden und sie sich anschließend deren schönes Kaffeeservice unter den Nagel reißen. Das geht ruckzuck. Bestimmte Dinge sollten wir einfach sein lassen: hinterherlaufen, Diskurse aufnehmen, die vorgegeben werden.
taz: Was sollten wir stattdessen tun?
Küpper: Es ist wichtig, klar zu sein. Wir haben viele Menschen, die sich für die Demokratie engagieren, die demonstrieren, sich zur Wahl aufstellen lassen. Diese Menschen stehen, um es mal so militaristisch zu sagen, in der vordersten Front gegen den Rechtsextremismus. Sie sind die ersten, die angegriffen werden. Das Neutralitätsgebot wird dabei oft als politisches Instrument genutzt. Wir müssen darüber aufklären, was „politisch neutral“ bedeutet.
Vorstellung der Studie „Die angespannte Mitte“ mit anschließender Diskussion mit Fokus auf Hamburg. Am 10.12. um 19 Uhr im Altonaer Museum, Museumstraße 23, 22765 Hamburg. Eintritt frei.
taz: Und zwar?
Küpper: „Politisch neutral“ bedeutet, keine Werbung für eine Partei zu machen. „Politisch neutral“ bedeutet nicht neutral gegenüber der Demokratie! Als Beamtin habe ich einen Eid auf das Grundgesetz geleistet. Es ist meine Pflicht, das Grundgesetz zu verteidigen, und zwar in seiner liberalen Auslegung des Grundgesetzes, in der Würde und Gleichwertigkeit aller ganz zuvorderst stehen. Darüber aufzuklären, würde viel Sicherheit schaffen für Lehrkräfte, auch für Verwaltungsangestellte, die etwa entscheiden: Welches Projekt fördere ich, welches nicht? Es ist ein Irrtum, zu glauben, eine Partei sei demokratisch, nur weil man sie wählen kann. Die NSDAP konnte man auch wählen, sie wurde auch gewählt. Sie war trotzdem nicht demokratisch. Das heißt also erst mal gar nichts. Die AfD macht immer wieder deutlich, dass sie die Demokratie verachtet.
taz: Sollte die AfD also verboten werden?
Küpper: Juristisch kann ich das nicht einschätzen. Damals hieß es, die NPD sei zu klein, um verboten zu werden. Und jetzt heißt es, die AfD sei zu groß, um verboten zu werden. Was bedeutet es denn, aus der Geschichte zu lernen? Wenn wir uns die Zahlen der NSDAP angucken, die 1928 noch bei 2,6 Prozent lag und dann wenige Jahre später bei den letzten freien Reichstagswahlen der Weimarer Republik bei 33 Prozent Zustimmung, die reichten den Nazis, um an die Macht zu gelangen: Wo ist denn dann der richtige Zeitpunkt eines Verbots?
taz: Was würde ein Verbot denn bringen?
Küpper: Sozial hätte ein Verbot einen großen Effekt. Wir wissen, dass in Regionen, wo die AfD besonders erfolgreich ist, auch entsprechend viele Menschen sagen: Die AfD ist eine Partei wie alle anderen auch. Die wählen meine Nachbarn und meine Freunde, dann mache ich das auch mal. Mit einem Verbot könnten wir ein klares Signal setzen. Gleichzeitig bin ich zwiegespalten. Wenn das Verbotsverfahren nicht erfolgreich ist, wäre das für viele die Bestätigung: Die AfD ist nicht verboten, also offenbar doch eine demokratische Partei, dann kann man sie ja erst recht wählen.
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