Comic „Bezimena“: Wie Raubtiere begehren

Nina Bunjevacs surrealer Comic bezieht sich auf eine griechischen Sage. Die Autorin verarbeitet in „Bezimena“ ihre Erfahrung mit sexualisierter Gewalt.

Ein Mann hebt die Hände, im Hintergrund ist eine Frau zu sehen, die nackt ist und die Hände auf dem Rücken gefesselt hat

Ausschnitt aus Nina Bunjevacs surrealem Comic „Bezimena“ Foto: Avant Verlag

Ein junger Mann durchblättert ein Skizzenbuch und findet verführerischste sexuelle Fantasien dargestellt. Er sieht darin alles, wovon er immer träumte. Und besser noch: Das Skizzenbuch stammt von einer jungen Frau, die er bereits als kleiner Junge in der Schule kennenlernte. Er ist sich sicher, die Szenen sind eine Botschaft an ihn, das ganze Buch ist eine Handlungsanweisung: Sein Begehren ist auch das ihre.

Die Rede ist von Benedict, genannt Benny, der in einem Zoo arbeitet, weil er den Kontakt zu Menschen meidet, wenn er sie nicht gerade beobachtet. Oder ihnen nachstellt. Und eines Tages sieht er sie, sie sie sie, die er seit Jahren begehrt: Die weiße Becky, das Mädchen, deren Anblick dem kindlichen Benny einen Samenerguss bescherte, steht nun als leibhaftige, alabasterfarbene Schönheit vor ihm.

Ein nicht zu stillender Drang nach Becky breitet sich in ihm aus. Aber was als verheißungsvolle Geschichte beginnt, entwickelt sich zu einem Albtraum, nicht nur für Benny. Denn die Handlungsanweisungen in dem Buch existieren nur in seinem Kopf. Sein Begehren ist das eines Raubtieres, und am Ende wird er dafür hinter Gittern enden.

Nina Bunjevac schildert Bennys Geschichte in Schwarz-Weiß-Bildern. In pointillistischer Manier fügen sich Punkte, Schraffuren und Netze zu Schattierungen, die von harten Konturlinien begrenzt werden. Bunjevac setzt dabei vor allem das Schwarz in Szene, immer wieder verschluckt es ganze Seiten.

Nina Bunjevac: „Bezimena“. Avant Verlag, Berlin 2020, 224 Seiten, 30 Euro

Mit cineastischem Blick

In den harten SchwarzWeiß-Setzungen ohne Grau erinnert die Erzählung an Nouvelle-Vague-Filme oder Rainer Werner Fassbinders „Die Sehnsucht der Veronika Voss“. Und als sich Bennys dunkle Seite aus den Buchseiten schält, fühlt man sich visuell wohl nicht zu Unrecht an die Mördersuche in Fritz Langs „M“ erinnert. Kurzum, Bunjevac erzählt ihre Geschichte mit einem geradezu cineastischen Blick.

Als wäre das ästhetisch nicht spannend genug, bricht sie auch Gesetze erzählerischer Kausalität und Kontinuität. Eingebettet ist Bennys Geschichte in eine Rahmenerzählung, die von unsichtbaren Stimmen aus dem Off (in Form von Sprechblasen auf schwarzen Seiten) erzählt wird.

Es ist die Erzählung von Bezimena, einer alten Frau, die von einer jungen Priesterin gestört wird. Bezimena, das bedeutet „namenlos“ in den meisten slawischen Sprachen. Die Namenlose tunkt die Priesterin in das Wasser eines Teiches, woraufhin Zeit und Raum verschwimmen und die Priesterin als junger Mann, Benny, wiedergeboren wird.

Licht in das Schwarz der Seiten bringt der Verweis der Autorin, es handle sich um eine Adaption des Mythos von Artemis und Siproites. Artemis ist nicht nur die jungfräuliche Göttin der Jagd und der Geburt, sie ist auch die Hüterin der Frauen und Kinder. Bildlich taucht sie in der Geschichte als Hüterin des Wildes auf. Im Traum verwandelt sich Benny in einen Hirsch, der von wilden Hunden, Begleiterinnen der Artemis, durch den Wald gejagt wird.

Griechische Mythologie

Das Thema der Verwandlung begegnet uns auch in der Geschlechtsumwandlung der Priesterin wieder. Hier echot die Verwandlung den Mythos von Siproites, dem Jäger aus der griechischen Mythologie, der von Artemis in eine Frau verwandelt wird, nachdem er sie beim Baden beobachtet hat.

Bunjevacs symbolistische Erzählweise erschafft einen rätselhaften Bildtext, der sich assoziativ fortsetzt. Tatsächlich rätselt man nach der Lektüre dieses ästhetisch so betörenden Buches. Etwas Licht ins Dunkel bringt ein Nachwort der Autorin, in dem sie von einem erschütternden Erlebnis erzählt: Als Fünfzehnjährige wird sie von einer Schulkameradin in eine abgelegene Hütte geführt, wo ein älterer Mann sie erwartet. Sie soll Sex mit ihm haben.

Bunjevac weiß, dass sie fliehen muss. Sie kämpft mit dem Mann. Die gesamte Szene wird von einer Kamera gefilmt, die der Mann installiert hat, um die Vergewaltigung des Mädchens zu filmen.

Bunjevac schildert im Nachwort, was ein Betrachter des Filmes sehen würde. Der filmische Blick der Erzählung könnte darin seinen Ursprung haben. Bunjevac hat ein Trauma in ein fesselndes Kunstwerk verwandelt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.