Comic „Sapiens“ von Yuval Noah Harari: Mao-Kult gegen Dagobert Duck

Um nichts weniger als die Geschichte der Menschheit geht es in zwei neuen Monumental-Comics. Mit langem Atem erzählen sie wissenschaftlich fundiert.

In mehreren Bilder nebeneinander sieht man marschierende Sufragetten

Bilder mit Wiedererkennungswert spielen bei Harder eine große Rolle Foto: Jens Harder/Carlsen Verlag

Mit „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ ist der israelische Historiker Yuval Noah Harari weltberühmt geworden. In ihm rollt er die Menschheitsgeschichte auf und erklärt anhand ihrer, wie der Mensch die Vorherrschaft übernehmen konnte. In „Sapiens“ (erschienen bei C. H. Beck, 2020 & 2021) greifen Comicautor David Vandermeulen und Zeichner Daniel Casanave den Inhalt von Hararis Bestseller auf und setzen diesen auf humorvolle Weise in konventioneller Comicform um – angefangen mit der Evolution bis hin zur neueren Geschichte.

Harari arbeitete an der Adaption mit und taucht in dem bislang zweibändigen, auf insgesamt vier Teile angelegten Wissenschaftscomic auch selbst als Haupterzähler auf. Er erklärt seiner Nichte Zoe sowie den Leserinnen und Lesern die Zusammenhänge und neuesten Erkenntnisse aus der Geschichtsforschung.

Etwa, wie der „teuflische“ Weizenanbau sich auf die Geschichte auswirkte, zu Bevölkerungsexplosionen, Epidemien und Kriegen führte. Der didaktische Ansatz wird durch die leichtfüßigen, meist in Dia­log­form erzählten Episoden und dazwischen gesetzten Kapitel aufgelockert. Liebevoll karikierte Figuren – wie etwa der Superheld Doctor Fiction und comictypische Elemente sorgen für Witz. Casanaves bunte Zeichnungen haben Charme, man sieht ihnen an, dass der Zeichner auch Kinderbücher illustriert sowie Cartoons für Zeitungen fertigt. Hararis Wissenschaftscomic ist eine anregende Anleitung zum Nachdenken über die Evolution und die Menschheitsgeschichte, zugänglich auch für Kinder und Jugendliche.

Ebenfalls in Comicform und doch vollkommen anders nähert sich der Zeichner Jens ­Harder (u. a. „Gilgamesch“, 2017) dem gleichen Thema. Bei ihm geht es nicht nur um den Menschen, sondern um die gesamte Kosmosgeschichte auf Basis des heutigen Wissensstands. In drei Bänden erzählt er von der Entstehung des Weltalls bis zum heutigen Status quo. Der abschließende Band „Beta … civilisations volume II“ ist unlängst im Carlsen Verlag erschienen.

Ein purer Bilderfluss

„Alpha … directions“ (Carlsen, 2010) begann mit der Entstehung unseres Sonnensystems. Weiter erzählt Harder dort, wie sich organische Formen auf der Erde bildeten und führt weiter bis ins Zeitalter der Dinosaurier. Bildgewaltig wird diese Entwicklung dargestellt; als purer Bilderfluss, begleitet von nur wenigen erklärenden Kurztexten. Zwischen den Kapiteln, die jeweils den verschiedenen Erdzeitaltern gewidmet sind, werden die wichtigsten Ereignisse auf der Erde in Chroniken zusammengefasst.

Jens Harder: „Beta … civilisations volume II (Die große Erzählung 3: Eine Reise durch 2000 Jahre)“. Carlsen Verlag, Hamburg 2022, 368 Seiten, 50 Euro

Yuval Noah Harari, Daniel Casanave, David Vandermeulen: „Sapiens“. Bisher 2 Bände, Übersetzung: Dr. Andreas Wirthensohn. C. H. Beck, München 2020 & 2021, je ca. 250 Seiten, 25 Euro

Der zweite Band „Beta … civilisations volume I“ (Carlsen, 2014) widmet sich dann der Menschheitsgeschichte bis zum Jahre eins unserer Zeitrechnung. Harders Erzählprinzip besteht darin, überlieferte Bilder jeder Art zu zitieren, um die jeweilige Epoche kenntlich zu machen. So füllt er seine Seiten mit Collagen aus vielfältigem Bildmaterial. Diese an Sergei Eisensteins filmische Montagetheorie erinnernde Technik fördert den Eindruck, einer Erzählung zu folgen, die auf Erkenntnis setzt.

Im neuesten Band fokussiert er sich auf die vergangenen 2.000 Jahre. Nach einer Bilanz der bisherigen globalen Geschichte taucht Jesus Christus erst nach 20 Seiten auf. Mittelalterliche Darstellungen zeigen ihn oft als Jesuskind oder mit Dornenkranz. Leonardo malt ihn zur Zeit der Renaissance im „Letzten Abendmahl“ im weißen Gewand mit langen Haaren und Bart. Noch 1970 im Film „Jesus Christ Superstar“ wird er derart dargestellt.

Comiczeichner Jens Harder erfindet keine neue Interpretation, sondern zeichnet ausgesuchte Motive für seine Panels neu ab. Er gibt ihnen einen durch glänzende Farben wie Bronze, Silber und Gold veredelten Strich. Er setzt auf den Wiedererkennungswert – sofern den Betrachtern das Original bekannt ist.

Harder reiht Darstellung um Darstellung aneinander, um ganze Epochen pointiert abzubilden, setzt ikonische Bilder neben unbekanntere, historische aus der Zeit neben historisierende, die klassischen Comics, Mangas, Filmen, Kartografien oder anderen Medien entlehnt sind. In frühen Epochen tauchen dabei wiederholt auch anachronistische Bildzitate auf, die einen Bogen zu heute schlagen – von den Kreuzrittern zum „Roten Kreuz“ etwa, von frühzeitlichen Waffen zu modernen Raketen.

Die erste belegte Pandemie

Doch nicht nur die visuelle Darstellung der Geschichte interessiert den 1970 in der DDR geborenen Zeichner. In seinen kurzen, zwischen die Panels gesetzten Erklärungen zieht er auch behutsam Schlussfolgerungen wie die, dass sich Kriege zur „größten Triebfeder technologischen Fortschritts entwickelten, aber auch zu seiner permanenten Bedrohung“.

Der Einfall der Hunnen ins spätrömische Reich wird mit zahlreichen popkulturellen Zitaten unterfüttert, aus Comics wie „Prinz Eisenherz“,„Asterix“ sowie „Alix“ hin zum Filmhelden „Conan, der Barbar“. Auch wissenschaftliche Erkenntnisse wie Klima- und Umweltveränderungen werden von Jens Harder aufmerksam einbezogen.

Zwei Comicseiten mit einer dichten Collage von Werbe- und Propaganda-Bildern

Doppelseite aus Jens Harders Geschichte Foto: Jens Harder/Carlsen Verlag

Die erste belegte Pandemie, eine der Pest verwandte Seuche, die auch als Justinianische Pest bezeichnet wird, verbreitete sich um 542 n. Chr. vermutlich in der gesamten spätantiken Welt: Betroffen waren unter anderem Europa, Nordafrika, Vorder- und Ostasien.

Der Zeichner bemüht sich dabei, nicht allein die eurozentrische Sicht zu bedienen und versucht, die Entwicklungen in China, Polynesien, Afrika und Polynesien gleichermaßen zu berücksichtigen. In der zweiten Hälfte des Buches werden die beginnende Globalisierung und Kolonialisierung mit fortschreitenden Welthandelsbeziehungen und damit einhergehenden Verwerfungen wie der massenhaften Versklavung von Menschen des afrikanischen Kontinents eindringlich betrachtet.

Geradezu apokalyptisch erscheint das 20. Jahrhundert mit seinen von Europa ausgehenden zwei Weltkriegen. Durch das umfassend vorhandene Bildmaterial dieser Zeit – ikonische Karikaturen von Adolf Hitler (unter anderem nach John Heartfield), Superhelden, die gegen Nazis kämpfen, Zeichnungen von KZ-Insassen, Art Spiegelmans Comic „Maus“ – werden der Zweite Weltkrieg und dessen weitreichende Folgen bis hin zum Einsatz der Atombombe als deutliche Zäsur gewertet, nach der sich die Welt neu ordnen musste.

Während sich im Westen der Kapitalismus als dominierende Gesellschaftsordnung mittels Werbung, Pop- und Konsumkultur durchsetzte, wurden im Ostblock die Massen durch Propagandakunst und Personenkult angesprochen. Dem Mao-Kult in China stehen Elvis, James Dean und Dagobert Duck gegenüber.

Immer wieder findet Harder ikonische Bilder, die in seiner Collage Erkenntnisprozesse bewirken können, wenn er etwa von Darstellungen Martin Luther Kings einen Bogen zu den „Black Lives Matter“-Demonstranten zieht, deren Gesichtsmasken die Worte „I can’t breathe“ von George Floyd tragen. Wie „Sapiens“ bildet auch Jens Harders Trilogie einen gleichwohl interessanten wie außergewöhnlichen Zugang zur Menschheitsgeschichte.

Erlebbar wird diese ab 16. April in einer Ausstellung. In der Völklinger Hütte, diesem einzigartigen Monument der Indus­tria­li­sierung, werden Harders Comics bis Ende November zu sehen sein. Zudem soll der vollbrachten künstlerischen Kraftanstrengung Harders noch ein vierter Band folgen: In „Gamma“ will sich der Künstler der Zukunft zuwenden. Man darf gespannt sein.

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