Corona und Rassismus: Baba nimmt Biontech

Absurditäten mit der Mutter, Skepsis gegenüber AstraZeneca und Repression gegen die Kur­d*in­nen in der Türkei. Aber Volker Bouffier macht Hoffnung.

ein Mann wird von einer krankenschwester geimpft

Beim Impfen einfach schneller: die Türkei Foto: Emrah Gurel/ap

Das Leben ist im Großen und Ganzen absurd, nur denken wir uns das nicht jeden Tag, zum Glück! Denn sonst würden noch viel mehr komplett durchdrehen oder apathisch in der Ecke liegen, weil der Sinn in vielen Dingen und Begebenheiten ja einfach, tja, nicht existiert.

Die Coronapandemie ist hierbei wohl der Gipfel des Absurdismus. Absurdismus, da war doch was, schnell mal gekramt, ach ja, der lauteste Vertreter dieser philosophischen Strömung war der Schriftsteller Albert Camus. Laut Camus kann das Absurde einen einfach „an jeder Straßenecke anspringen“. Und so war es denn auch, es sprang mich einfach an. Und so sammelte ich im Sinne Camus’ an drei Straßenecken Absurdes auf in dieser Woche.

An der ersten Straßenecke traf ich meine ­Mutter, wir kauften ein, dann ging es zu uns. Im Wohnzimmer saßen wir weiter mit Masken, ­obwohl wir ja Kaffee trinken wollten. Zum Kaffee gingen dann die Masken runter und die Fenster weit auf, trotz minus zehn Grad draußen und dem Luftfilter auf voller Gebläsestärke, den ich mir und meiner Familie zum neuen Jahr geschenkt geschenkt hatte.

Das alles erzähle ich so detailliert, weil es um die Impfung ging (Baba hat bald einen Impftermin). Und weil Baba mal wieder und zu Recht ein Loblied auf Özlem Türeci und Uğur Şahin hielt: Wie stolz er wäre, dass ausgerechnet sie den besten Impfstoff weltweit hergestellt hätten, und wie er sich freue, mit dem Biontech-Impfstoff immun gegen Covid-19 zu werden.

Genau da ploppte meiner Mutter eine Nachricht von ihrer Freundin aus der Türkei aufs Handy. Sie liest also laut vor: „Mein Herz, wie geht es Dir? Ich hoffe, Euch und den Kindern geht es gut. Wurdet Ihr jetzt schon geimpft? Also Deutschland macht keine gute Arbeit mehr, glaube ich. Unser ganzes Viertel ist schon geimpft, jetzt sind die unter 60 dran.“ Wir gucken etwas bedröppelt, aber es stimmt wohl: In der Türkei wurden knapp eine Million mehr Menschen geimpft als hier, obwohl sie noch später angefangen haben.

Nachrichten aus der Türkei

Aber irgendwie und irgendwas muss die türkische Regierung wohl als Erfolg verbuchen: In Istanbul gehen die Stu­den­t*in­nen der Boğaziçi-Universität gegen die autoritäre Verkündung eines vom Staatspräsidenten präferierten Direktors auf die Straße, und das türkische Militär tötet 13 Geiseln bei einer Operation in Gara im Nordirak.

Dann lässt die Regierung noch landesweit über 700 Kur­d*in­nen festnehmen, unter dem absurden Vorwurf, sie hätten Verbindungen zur PKK. Auch meh­re­re ­Lo­kal­po­li­ti­ke­r*in­nen der pro-kurdischen HDP sind unter den Verhafteten. Wieder mal wird auf Regierungsebene laut über ein Parteiverbotsverfahren gegen die HDP nachgedacht. Und es ist wahrlich nicht nur die AKP, die sich für ein solches Verbot ausspricht. Aber sie impfen.

An der zweiten Straßenecke kann man in dieser Woche darüber verzweifeln, dass es zwar genug Impfstoff gibt, aber keiner den will. Die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci dachte am Mittwoch schon darüber nach, dass die Wahlfreiheit des Impfstoffs wohl ein Fehler war. Na ja, für einige bedeutet es sehr viel: Baba fährt auch in das für ihn am weitesten entfernt liegende Impfzentrum, weil, klar, Biontech dort verimpft wird.

Das soll nun aufhören: Der Impfstoff von AstraZeneca wird im Impfzentrum Tegel zur Deko, weil sich nur wenige damit impfen lassen mögen. „Impfstoff mit Image­schaden“, hieß es in dieser Zeitung dazu.

Vor allem das Klinikpersonal habe Bedenken gegenüber dem Impfstoff, woraufhin jetzt aus der Wissenschaft die Versicherung kommt, dass der Impfstoff sehr gut sei. Also, würde man mich fragen, würde ich mich schon nächste Woche liebend gern damit impfen lassen, und so geht es wohl vielen Menschen, die Schulkinder haben, Ri­si­ko­pa­ti­en­t*in­nen sind oder in Dienstleistungsberufen arbeiten. Absurd, dass AstraZeneca derweil Staub ansetzt.

Rassismus beim Brötchenkauf

An der dritten Straßenecke will ich in einer Bäckerei ein Brötchen kaufen, es ist einer der Außenbezirke Berlins. Faschingspfannkuchen in bunten Farben liegen in der Auslage. Und dann noch „Partyköpfe“, wie die Bäckerei sie nennt: schwarze Kugeln mit aufgemalten großen Augen und wulstigen Lippen, mit Schokoüberzug. Klar, denke ich, wie komme ich auch auf die Idee, dass dieser Hoho-Rassismus einen nicht einfach im Alltag anspringt, einfach mal so, beim banalen Brötchenkauf.

Wie gut also, dass überall des rassistischen Anschlags von Hanau vor einem Jahr gedacht wird, nicht nur in Hanau selbst, sondern im ganzen Land. So weit, so wichtig. Und wirklich absurd ist in diesem Fall nur ein Zitat, nachlesbar in den wirklich lesenswerten Hanau-Protokollen des Spiegels in der vergangenen Woche: Als die Familien der Getöteten fragten, warum sie so schlecht behandelt wurden nach der Tat, habe der Ministerpräsident Volker Bouffier versprochen: Beim nächsten Mal machen wir es besser.

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Jahrgang 1973, Chefin vom Dienst im Lokalteil der taz. Studierte Publizistik und Turkologie an der FU Berlin.

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