DDR-Lebenswelten im Kinderbuch: Abweichung von der Norm

Das Kinderbuch „Gertrude grenzenlos“ erzählt von einer Mädchenfreundschaft unter schwierigen Bedingungen in der DDR.

Die Autorin des Buches "Gertrude grenzenlos", Judith Burger

In „Gertrude grenzenlos“ beschreibt Judith Burger den Alltag aus der Sicht eines Kindes in der DDR Foto: Franziska Frenzel

Erstaunlich, dass auch heute, fast 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, der Alltag in der DDR noch kaum Thema im deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuch ist. Die Autorin Judith Burger, die 1989 siebzehn Jahre alt war, in Halberstadt aufwuchs und heute für den Mitteldeutschen Rundfunk arbeitet, hat mit ihrem Kinderbuchdebüt versucht, diese Leerstelle zu füllen. In „Gertrude grenzenlos“ erzählt sie vom Aufwachsen in der DDR – von Straßen der Besten, Pioniertreffen und Timurhilfe.

Sie erzählt von zwei Mädchen in einer ostdeutschen Kleinstadt Ende der 1970er Jahre, die eine ganz besondere Freundschaft erleben und gegen alle Widerstände zu verteidigen lernen.

Ina Damaschke, im Roman die Erzählerin, ist keine Vorzeigeschülerin im Klassenkollektiv. Ständig eckt sie ungewollt an, bei der Lehrerin und den Mitschülern. Als dann ein neues Mädchen zu ihr in die Klasse kommt und neben sie gesetzt wird, ist Ina sofort fasziniert. Gertrude heißt anders und sieht anders aus als alle anderen Kinder. Sie trägt Westkleidung, singt im Kirchenchor und wohnt mit ihrer Familie in einem Altbau. Dort gibt es keine der üblichen Schrankwände, stattdessen steht ein Sofa in der Küche und der Tee wird aus handgetöpferten Tassen getrunken.

Für Ina, die allein mit ihrer Mutter in einer stets aufgeräumten Plattenbau-Wohnung lebt, öffnet sich mit Gertrude eine neue Welt. Doch dieser Welt haftet etwas Verbotenes an. Ina kommt erst allmählich dahinter, warum ihre Mutter über die neue Freundin nicht glücklich ist und warum die unsympathische Klassenlehrerin Frau Wendler Gertrude für einen schlechten Umgang hält. Denn Familie Leberecht hat einen Ausreiseantrag gestellt, nachdem Gertrudes Vater als Schriftsteller in der DDR nicht mehr veröffentlichen darf.

Judith Burger: „Gertrude grenzenlos“. Mit Bildern von Ulrike Mölken. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2018. 240 Seiten, gebunden. 12,95 Euro. Ab 10 Jahre.

Judith Burger schildert diese verstörenden Ereignisse aus der Sicht des jungen Mädchens und bemüht sich gleichzeitig einen Eindruck von dem politischen Klima jener Jahre zu vermitteln. In diesem Zwiespalt gefangen hält die Autorin die eingeschränkte Erzählperspektive nicht immer konsequent durch und lässt mit vielsagenden Andeutungen zusätzliche Informationen einfließen. Trotzdem gelingt ihr mit der einfühlsam erzählten Außenseiter-Geschichte von Ina und Gertrude auch eine atmosphärisch glaubwürdige Darstellung vom Leben in der damaligen DDR. Zusätzliches Hintergrundwissen liefert Burger im Anhang mit einem Nachwort und einem interessanten Glossar, das zeithistorische Begriffe wie „Frösi“, „Konsum“, „Staatsbürgerkunde“, „Stasi“ oder „VEB“ erläutert.

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