DEMOKRATIE: Wege zum Kompromiss

Parteien und der Verein Mehr Demokratie verhandeln über Verbesserungen bei Bürgerbegehren. Die Wohnungswirtschaft fordert, ihre Wirkung zu beschneiden.

Als Lösung für den Wohnungsmangel erst recht umstritten: Hochhaus in Hamburg. Bild: dpa

Das Instrument des Bürgerbegehrens ist in jüngster Zeit vermehrt in die Kritik geraten. Wie kurz berichtet, hat sich der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) jetzt mit dem Vorwurf aus der Deckung gewagt, Bürgerbegehren behinderten den Wohnungsbau. Der Verein Mehr Demokratie, der die Volksgesetzgebung durchgesetzt hat, sieht das anders und unterfüttert das mit Zahlen.

Doch auch der Verein räumt ein, dass die Gesetzgebung zum Bürgerbegehren verbessert werden kann. Mit den Parteien in der Bürgerschaft verhandelt er darüber, wie im Verfahren der Weg zu einem Kompromiss geebnet werden kann, so dass es gar nicht erst zu einem Bürgerentscheid kommen muss.

Der VNW, der die öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen vertritt, nennt als Beispiele das Freibad Ohlsdorf und die Wulffsche Siedlung in Langenhorn, wo per Bürgerentscheid der Abriss alter und der Bau neuer Wohnungen verhindert wurde. Im Fall der Wulffschen Siedlung hatten die Stimmen von zehn Prozent der Abstimmungsberechtigten gereicht, um die alten Arbeiterhäuschen zu erhalten und einen Wohnungsneubau zu verhindern. Der VNW fordert deshalb, die Bauleitplanung als Gegenstand von Bürgerbegehren auszuschließen und Mindestbeteiligungs-Quoren einzuführen.

Bürgerbegehren und entscheide gelten auf Bezirksebene. Sie sind 1998 per Volksentscheid hamburgweit eingeführt worden. Der Versuch, sie zu beschneiden, könnte leicht per Volksbegehren gekontert werden.

Ein Bürgerbegehren muss beim Bezirksamt angemeldet werden. Wird es binnen sechs Monaten von drei Prozent der Wahlberechtigten unterstützt, kommt es zu Stande. Kommt es nicht zu einem Kompromiss mit den Initiatoren und wird es nicht von der Bezirksversammlung übernommen, folgt ein

Volksentscheid: Allen Wahlberechtigten wird eine Broschüre geschickt. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet.

Zu beidem wird es nicht kommen. Zwar äußert SPD-Fraktionschef Andreas Dressel Verständnis für die Position des VNW. "Ich mache kein Hehl daraus, dass ich für Quoren bin", sagt er. Allerdings sei ihm sehr daran gelegen, die einschlägigen Änderungen am Paragrafen 32 des Bezirksverwaltungsgesetzes im Konsens vorzunehmen. Die SPD wolle sich darauf konzentrieren, das Verfahren zu verbessern. Gleich bei der Anmeldung solle geprüft werden, ob ein Bürgerbegehren zulässig ist. Und es sollen mehr Möglichkeiten, Kompromisse zu finden, ins Verfahren eingebaut werden. "Eine größere Transparenz hilft allen", findet Dressel.

"Ein Bürgerentscheid ist das letzte Mittel", sagt Manfred Brandt von Mehr Demokratie. Es sei die Aufgabe von Parteien und Verwaltung, die Bürger schon in einem frühen Planungsstadium zu überzeugen. Was heute falsch laufe, zeige sich darin, dass sich bei den Bürgerentscheiden stets die Initiativen durchsetzten. "Offensichtlich haben die Bürger mehr Vertrauen in die Initiativen als in die Politik oder die Verwaltung", stellt er fest. "Das ändert man nicht dadurch, dass man das Verfahren erschwert."

Den Vorstoß des VNW bewertet Brandt als interessengeleitet. Er gehe am Problem vorbei, wie aus der Antwort des Senats auf eine große Anfrage der Linken von 2010 hervorgehe. Demnach sind seit 1998 nur zehn von 300 Bebauungsplänen durch Bürgerbegehren oder -entscheide verändert oder gestoppt worden. Zu 20 Bauanträgen für Wohnhäuser gab es Bürgerbegehren. 14 hatten Erfolg. Zu vier Bauanträgen gab es Bürgerentscheide, die alle erfolgreich waren. Dem stehen nach Schätzung von Mehr Demokratie 26.000 Baugenehmigungen gegenüber.

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