DIE WAHRHEIT: Angriff der Killerkastanien

Britanniens Bürokraten wetteifern offenbar gern um die absurdesten Verbote. Unter dem Deckmäntelchen der Gesetze für Gesundheit und Sicherheit ...

Britanniens Bürokraten wetteifern offenbar gern um die absurdesten Verbote. Unter dem Deckmäntelchen der Gesetze für Gesundheit und Sicherheit lässt sich vortrefflich alles mögliche unterbinden. So dürfen Beamte keine Weihnachtsdekorationen aufhängen oder Strandlatschen tragen. Kinder sollen Taucherbrillen aufsetzen, wenn sie „Conkers“ spielen – ein Freizeitvergnügen, bei dem es darum geht, mit einer Kastanie an einer Schnur die Kastanie des Gegners zu zerschmettern. Zuckerwatte am Stock soll verboten werden, weil man stolpern und sich aufspießen könnte. Kinder sollen zu den Schuluniformen Ansteckschlipse trage, weil sie sich mit richtigen Krawatten erwürgen könnten.

Trapezartisten sollen Helme tragen. Parkbänke müssen ausgetauscht werden, weil sie ein paar Zentimeter zu niedrig sind. Das Spiel, bei dem man mit verbundenen Augen einem Pappesel den Schwanz anheften muss, soll verboten werden, weil man ihn versehentlich einem anderen Kind anheften könnte. Und einige Bezirksverwaltungen haben den Schulen untersagt, Kinderzeichnungen mit Klebepads an Fenstern anzubringen, weil die mit den Chemikalien im Glas reagieren und die Scheibe zum Explodieren bringen könnten. Die Herstellerfirma kommentierte: „Blödsinn.“

Arbeitsminister Chris Grayling hat nun eine Gegenbewegung zur übereifrigen Bürokratie gegründet. „Mythenbrecher“ nennt er den dreizehnköpfigen Ausschuss, der die klotzköpfigsten Bürokraten anprangern soll – wie den „National Trust“, der 1895 gegründet wurde und sich um das britische Architekturerbe, um Parks und Grünanlagen kümmert. Dem Trust gehören 250.000 Hektar Land, 200 Gebäude und Gärten sowie 1.100 Kilometer Küste. Und er wacht mit Argusaugen über seinen Besitz.

Seit mehr als 300 Jahren durften Spaziergänger auf der historischen Petersham-Aue bei London herumlaufen. Jetzt hat der Trust einen elektrischen Zaun aufgestellt, weil er Angst hat, die dort grasenden Kühe könnten über die Spaziergänger herfallen und der Trust müsste Schadensersatz zahlen. Das ist den Tieren bisher nie in den Sinn gekommen, auch nicht, als voriges Jahr der Hund einer Spaziergängerin eine Kuh attackiert hat.

Der Trust gilt als eine der verschnarchtesten Organisationen Großbritanniens. Um dieses Image loszuwerden, hat er sich ein bunteres Emblem zugelegt. Geradezu revolutionär war die Änderung des Namens: Früher hieß er „The National Trust“, neuerdings nennt er sich „National Trust“. Jetzt ist man noch einen Schritt weitergegangen, um zu beweisen, dass man mit der Zeit geht. Der Trust hat eine App für Smartphones entwickelt, die Touristen den Weg durch das Londoner Rotlichtviertel weisen soll. „Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll“ verspricht die App und warnt die Benutzer, dass sie bei der elektronischen Führung durch das Viertel mit schmutzigen Wörtern rechnen müssen. Deshalb muss man vor dem Herunterladen der App bestätigen, dass man schon mindestens 17 Jahre alt ist – also alt genug für derbe Sprache, aber zu alt für „Conkers“ und Zuckerwatte.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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