Daddy G über Massive Attack: "Es geht um das Familiengefühl"

Der afrobritische Musiker Daddy G ist wieder zu Massive Attack zurückgekehrt. Im taz-Interview spricht er über Rückbesinnung auf alte Klangmuster und brennende Luft auf DJ-Jams.

"Manchmal gibt es Bruderliebe, manchmal Bruderhass", sagt Daddy G (rechts). Bild: promo

taz: Massive Attack ist eine Band, in der verschiedene Stile und Einflüsse aufeinanderprallen. Welche Popmusiker haben Sie in letzter Zeit beeinflusst?

Daddy G: Puh, schwer zu sagen. Black Keys haben mir gut gefallen. Und TV On The Radio.

Beide Bands überschreiten die Grenzen von schwarzer und weißer Musik.

Ja, der Crossover aus Punk und Reggae hat mich geprägt. Anfang der Achtziger war das in Bristol sehr angesagt.

Sie vertreten den DJ-Ansatz bei Massive Attack und sind gerade 50 Jahre alt geworden. Interessiert Sie noch, was in der Clubszene aktuell passiert?

Nicht wirklich. Aber klar, ich liebe Dubstep, besonders Pinch aus Bristol und Burial.

Daddy G heißt bürgerlich Grantley Evan Marshall. Er wurde am 18. Dezember 1959 in der englischen Hafenstadt Bristol als Sohn karibischer Einwanderer geboren. Anfang der 80er war er DJ des Soundsystems The Wild Bunch.

Mit Robert Del Naja und Andrew Vowles gründet Marshall 1988 die Band Massive Attack und nimmt in der Folge drei Alben auf. 2001 beginnt er eine mehrjährige Auszeit. "Heligoland", das fünfte Studio-Album von Massive Attack, erscheint exakt 20 Jahre nach ihrer Debütsingle "Daydreaming" und ist wieder unter voller Mitwirkung von Marshall entstanden.

Es hieß, Burial werde ein ganzes Remixalbum für Sie machen, wie Mad Professor 1995 mit "No Protection". Stimmt das?

Ich sollte lieber nicht darüber sprechen.

Warum nicht?

Ich möchte mir nicht selbst ins Knie schießen. Burial ist ein Enigma. Er macht sich gerne rar, ähnlich wie der Graffitimaler Banksy. So kann er am besten in Ruhe arbeiten.

Sie sind seit ein paar Jahren wieder aktiv bei Massive Attack. Was führte eigentlich zur Trennung?

Es ist ja hinreichend dokumentiert worden, dass sich Massive Attack im Studio nicht besonders gut verstehen. Jedes Mal, wenn wir ein Album aufnehmen, verlieren wir ein Mitglied. Erst haben wir uns mit Tricky und Shara Nelson verkracht. Später verließ Mush (Andrew Vowles alias Mushroom, Anm. d. A.) die Band. Und bei der Produktion des letzten Albums "100th Window" hat die Chemie zwischen mir und 3D (Robert Del Naja, Anm. d. A.) nicht mehr gestimmt. Schlechte Stimmung im Studio. Das war 2001. Meine Freundin war zu der Zeit schwanger. Also bin ich in Elternzeit gegangen, hab mal durchgeatmet und eine Auszeit von Massive Attack genommen.

Und klappt es jetzt wieder besser?

Es ist alles geklärt. Sehen Sie, Robert und ich arbeiten seit mehr als 20 Jahren zusammen. Wir sind wie Brüder. Manchmal gibt es Bruderliebe, manchmal Bruderhass. Aber darüber sind wir hinweg. Wir beiden haben die Grundpfeiler von Massive Attack errichtet. So was wirft man nicht einfach weg.

Wie fanden Sie die Musik, als Massive Attack zum Soloprojekt von Robert Del Naja geschrumpft war?

Es hörte sich sehr einsam an. Die Lebensumstände fließen zwangsläufig in eine Produktion ein. Und es war eine sehr einsame Phase für Robert.

Er sah zu der Zeit noch schlechter gelaunt aus als sonst.

Robert ist eigentlich ein lustiger Typ. Aber sehen Sie, Massive Attack hat immer ausgemacht, dass wir uns von verschiedenen kulturellen und ästhetischen Einflüssen haben inspirieren lassen. Und während der Produktion von "100th Window" hat Robert seine Ansichten durchgeboxt.

Das Album war von Post-Punk und Electronica beeinflusst.

Auf mich wirkte es hart und kalt. Die vielen Klangebenen versperrten den Zugang zur Musik. Unser neues Album ist viel einladender. "Heligoland" fühlt sich wärmer an. Wir haben wieder mehr mit Songs gearbeitet. Das emphatische Moment ist wieder da. Man kommt leichter in die Tracks rein. Ich vergleiche die beiden Alben gerne mit zwei Häusern. Bei dem einen ist der Eingang verschlossen, die Fenster sind zu. Bei dem anderen stehen die Türen weit offen. Das ist "Heligoland". Du gehst rein. Und drinnen brennt ein Feuer.

Eine Flamme, das Symbol für leicht entflammbares Material, ist seit 1991 im Logo Ihres Bandnamens. Im Video Ihres Songs "Protection" fährt die Kamera an einer Häuserfassade entlang. Knüpfen Sie auch musikalisch an die Stimmung dieser Zeit an?

Nicht bewusst. Aber in gewisser Weise steht ein Stück wie "Splitting The Atom" in der Tradition von "Five Man Army" aus dem Debüt. Es beschwört den Geist der Ära herauf, als wir noch als Soundsystem in Bristol gespielt haben. Wir nannten uns The Wild Bunch. Auf unseren Jams hat die Luft gebrannt. MCs und Reggaesänger kamen zum DJ und rappten oder sangen über die Instrumentals. "Splitting The Atom" trägt diesen kollektiven Vibe in sich. Jeder geht mal ans Mikrofon. Horace Andy singt eine Strophe. Dann reicht er das Mikrofon weiter an 3D.

Ihren Bariton hört man in dem Stück auch seit über zehn Jahren das erste Mal wieder.

Es geht einfach um eine gemeinschaftliche Atmosphäre. Um das Familiengefühl. Nicht der Egotrip von "100th Window".

Wie kamen Sie eigentlich auf den Albumtitel "Heligoland"? Das hört sich an wie die Nordseeinsel Helgoland, ein beliebtes deutsches Ausflugsziel.

Erst mal war es nur ein Wort, das gut aussieht. 3D hat es entdeckt. Er kommt ja vom Graffiti und ist für die visuelle Seite von Massive Attack verantwortlich: das Cover, die Clips, die Live-Visuals. Die visuelle Seite ist mittlerweile ebenso wichtig wie die Musik. Zunächst hat uns also die Form des Worts angesprochen.

Im Netz kursierte das Gerücht, das Album hieße "Hell Ego Land".

Ja, man kann damit spielen, seltsame Anagramme bilden. Später fanden wir heraus, was es bedeutet: Heiliges Land. Die Geschichte der Insel Helgoland ist bemerkenswert. Nach dem Zweiten Weltkrieg erklärten sie die Briten zum Bombentestgelände. Die Navy wollte die Bunkeranlagen auf der Insel mit Tonnen von Sprengstoff zerstören. So kam es zum "Big Bang", der größten nichtatomaren Sprengung der Geschichte. Dabei hätten sie in Kauf genommen, dass die ganze Insel versenkt worden wäre. Bizarr. Dänen, Briten und Deutsche haben Helgoland im Laufe der Zeit bewohnt. Und darum geht es auch bei unserer Musik. Einen fantastischen Ort zu schaffen, an dem sich die unterschiedlichen Charaktere begegnen können. Im Nachhinein hat sich "Heligoland" als idealer Titel für den kollaborativen Ansatz erwiesen, den wir diesmal hatten.

An diesem Ort tummeln sich nun alte Bekannte und neue Gesichter. Der Reggaesänger Horace Andy ist Stammgast bei Ihnen, diesmal mit einer rockigen Nummer.

Horace verkörpert, um was es bei Massive Attack geht. Wir sind schon seit Jahrzehnten Fans von ihm. Er ist ein traditioneller Reggaesänger. Wir lachen immer darüber, dass er in Jamaika für unsere Tracks bestimmt schief angeschaut wird. Aber gerade weil er aus dem klassischen Roots Reggae kommt, ist es immer wieder spannend, etwas Neues mit ihm zu erschaffen.

Tunde Adebimpe von TV On The Radio eröffnet "Heligoland".

Tunde ist ein brillanter Sänger. Seine Stimme ist hypnotisch, ich höre da auch Gospelqualitäten raus. Die ersten Aufnahmen von "Pray For Rain" haben wir mit ihm schon vor zwei Jahren gemacht. Aber es hat bis letzten November gedauert, um den Song fertig zu machen.

War der Song schon für das sagenumwobene unveröffentlicht gebliebene Massive-Attack-Album von 2008 gedacht?

Vielleicht in einer völlig anderen Version. Das Album hat sich einfach nicht richtig angefühlt. Die Plattenfirma war natürlich nicht gerade begeistert, als wir Ihnen mitteilten, das wir ein ganzes, fertiges Massive-Attack-Album einfach gelöscht hatten. Bis wir ihnen sagten, dass wir das neue Album bei Damon Albarn im Studio aufnehmen werden. Das hat sie sofort beruhigt. Was Damon macht, hat das Potenzial, großartig zu werden.

Sie haben mit "Paradise Circus" auch wieder einen perfekten Popsong im Stile von "Teardrops" dabei.

"Paradise Circus" lebt von Hope Sandoval. Sie ist Sängerin bei Mazzy Star. Ihre Stimme hat so etwas Mystisches und Existenzielles. Wenn sie anfängt zu singen, könnte ich jedes Mal in Tränen ausbrechen.

Über welchen Gastbeitrag haben Sie sich besonders gefreut?

Über den von Martina Topley-Bird. Wir kennen sie schon so lange. Aber wir haben uns nie getraut zu fragen, ob sie für uns singt. Aus Rücksicht auf Tricky. Er hat Martina entdeckt. Und wir wollten ihn nicht noch mehr verärgern. Also haben wir gewartet. Und schließlich hat Tricky uns seinen Segen gegeben. Endlich hat es geklappt, nach all den Jahren, die wir quasi Nachbarn in Bristol gewesen sind.

Sie sind also noch nicht nach London gezogen.

Es gab nie einen Grund wegzuziehen.

Ist es möglich, Daddy G in Bristol zufällig im Supermarkt zu treffen?

Klar. Ich bin glücklich in Bristol. Es ist eine kleine Stadt mit einer großartigen Musikszene. Die Wege sind kurz, du kannst alles zu Fuß erledigen - Geschäfte machen oder Freunde treffen. Bristol hat genau die richtige Größe, um äußerst kreativ zu sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.