Daft Punks neues Album: Doping für die alte Tante Pop

Die charmanten Popfanatiker von Daft Punk treten weiter behelmt auf und haben ein großes neues Werk geschaffen: eine Hommage an „Random Access Memories“.

Daft Punk: Ohne Helm geht gar nichts. Bild: reuters

Welche Spraydose liefert die Farbtönung? Reicht Krylon aus? Oder braucht es den Klarlack Rustoleum? Der elektronische Briefkasten im Forum des Daft Club, offizielles Bulletin von Daft Punk, quillt dieser Tage über. Fragen über Fragen, im konkreten Fall geht es darum, wie man sich ein Daft-Punk-Cape möglichst originalgetreu modelliert. Und – falls er es wirklich ist –, gibt Thomas Bangalter, eine Hälfte des House-Duos Daft Punk, bereitwillig Tipps: Man nehme einen durchsichtigen Regenmantel, sprühe ihn schwarz an, lasse ihn lufttrocknen, fertig ist der Daft Punk.

Das heißt, noch nicht ganz. An anderer Stelle auf der Homepage finden sich Bauanleitungen für den Daft-Punk-Helm. Hilft ja nichts, für Daft-Club-DoktorandInnen gilt die Helmpflicht: Man hat die Wahl zwischen goldenem Helm mit schwarzem Visier, oder silbernem Helm mit schmalem LED-Anzeigen-Schlitz. „Krieg der Sterne“ ist nichts gegen den Stylewahnsinn hier. Statt Chrom reiche Lackfarbe auf Plastikhelmen aus dem Baumarkt völlig aus, postet Bangalter. Die Folge: Im Forum haben Hunderte Fans Fotos ihrer Helmversionen gepostet.

Capes und Helme sind eine zweite Haut, Daft Punk haben sie sich patentieren lassen, man sieht die beiden Musiker auf Fotos und Konzerten nie ohne. Was Symbole im kollektiven Popgedächtnis angeht, sind ihre Kopfbedeckungen mindestens so ein Markenzeichen wie die Zunge der Rolling Stones. Die Helme sind das Ebenbild elektronischer Popmusik.

Es gehört zu Daft Punk, dem französischen House-Duo, gegründet 1993 von Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, ursprünglich in Paris beheimatet, heute zwischen Paris und Los Angeles pendelnd; meist per Raumschiff, unterwegs in geheimer Mission. Capes sind bereits angelegt, Visiere heruntergeklappt, nächste Woche werden Daft Punk auf der Erde landen und ein neues Album veröffentlichen. Abgesehen von „Tron. Legacy“ (2010), ihrer Neufassung eines Disney-Soundtracks, gab es seit 2005, seit Erscheinen des dritten Albums „Human After All“, kein neues Material von Daft Punk zu hören.

Triumphale Rückkehr

Die Rückkehr fällt nun triumphal aus und beschert der krisengeschüttelten Musikindustrie einen Blockbuster. Verdächtigerweise hat die Geheimniskrämerei geklappt, bis jetzt jedenfalls sind die Songs aus „Random Access Memories“ nirgendwo geleakt. Niemand hat eine Vorab-CD bekommen. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen wurden Journalisten in ein Studio zum Listening eingeladen. Daft Punk möchten, dass ihre Musik gleichsam aus dem All in die Pop-Atmosphäre eintaucht.

Ihr neuer Sound trifft zweifelsohne einen Puls, man weiß nur nicht, welcher Zeit. Denn die Ära der verschrobenen Superstars war bereits abgelaufen. Wahrscheinlich gerade deshalb stehen Daft Punk nun auf und können nicht anders klingen als verschrobene Superstars in der Inszenierung zweier charmanter französischer Popfanatiker.

„Random Access Memories“ ist Musik über Musik. Ein Konzeptalbum, das der klassischen Ära von Disko huldigt und den übel beleumundeten soften Middle-of-the Road-Boogie der mittleren Siebziger auskostet, als wäre zwischen Fleetwood Mac und Electric Light Orchestra noch ein Plätzchen an der Sonne frei. Hier eine Prise Donna Summer, da die Gurkenraspelgitarre von Chic. Europa trifft auf Amerika und lässt daraus einen gewaltigen Soundclash entstehen. Immer mit einem Monsterwumms, von dem Nile Rodgers sagt: „Wenn sich die Welt in Aufruhr befindet, bedeutet der Groove alles.“ Wer möchte ihm widersprechen?

Entstanden ist die Musik während dreier Jahre in einem Multitracking-Studio, bis auf eine Ausname an analogen Bandmaschinen und Instrumenten. Manche wird die Opulenz, die Materialfülle auf die Palme bringen, viele werden sich ihr umstandslos ergeben, aber ausnahmslos alle werden vom neuen Daft-Punk-Album sprechen. Denn „Random Access Memories“ ist ein Werk von der Größenordnung eines „Let’s Dance“, mit dem sich der alte Nassauer David Bowie 1983 neu erfunden hat.

Kann man sich 2013 genauso neu erfinden? Zumindest wissen Daft Punk, dass dies getoppt werden muss. Also haben sie – genau wie Bowie – den Chic-Gitarristen Nile Rodgers verpflichtet. Aber nicht nur den, eine erlauchte Gästeschar ist aufgeboten, darunter Pharrell Williams, Giorgio Moroder, Panda Bear und der Houseproduzent Todd Edwards. Sänger, Instrumentalisten, Produzenten, eine tighte Backingband. Zusammen mit Daft Punk sind sie der alten Tante Pop mit Eigenblutdoping beigekommen. „Irgendwo außerhalb des Äthers unserer menschlichen Existenz gibt es eine Multitude von Möglichkeiten und Daft Punk haben diese Bibliothek des Wissens gründlich für sich zu nutzen gewusst“, erklärt Pharrell Williams.

Blockbuster heißt auch: Zu jedem der Stargäste existiert eine 20-minütige Doku, sieben Episoden stehen derzeit auf der Internetseite von Daft Punk. Darin sprechen die Gaststars jeweils über ihr Verhältnis zu Daft Punk und geben eine Einschätzung der Musik.

Mulitfunktionaler Mainstream

Bangalter und de Homem-Christo amten schon seit Anfang als Kuratoren ihrer selbst. Begonnen wurde der Metaansatz bereits beim 1997 veröffentlichten Debüt „Homework“. Damals ging ihr Housesound mit Popappeal auch deshalb steil, weil alle Hörerschichten daran teilhaben konnten. In der Dankesliste tauchten Herbie Hancock und the Red Krayola auf. Daft Punk lernten, den Mainstream zu lieben, indem sie ihn für sich multifunktional gestalteten.

Sie bedienen seinen Heißhunger auf Fast Food ebenso wie die Bedürfnisse eines hermetischen Undergrounds, der die obskure B-Seite bevorzugt. Sie besänftigen die Musiklehrer mit einer Ballade und droppen zwischendurch immer wieder geschmackvolle Remixe von angesagten Produzenten. Sie machen Musik fürs Radio, aber haben keine Angst vor Klangexperimenten. Bei „Contact“, dem Finale ihres neuen Albums, machen sie etwa den übersteuerten Krach hörbar, den ein Raumschiff beim Start entfacht. Zu hören ist dabei die Stimme eines Mitglieds der Crew von Apollo 17.

Mit den 13 Songs aus „Random Access Memories“ verhält es sich umgekehrt, wie mit den in Würde gealterten Tracks des Debüts. Das neue Album kommt schon als Evergreen auf den Markt. Es klingt aber weder nach Vergangenheit noch nach Zukunft, es verhandelt auf der Langstrecke die Fantasie einer glücklichen Nacht als never ending Gegenwart. Die zwei schwächeren Nummern unter 13 lassen sich verschmerzen, da zahlreiche Songs über die Ziellinie als Hit kommen. Das beginnt beim Auftakt „Give Life back to Music“. Nile Rodgers lässt dabei seine Gitarrenlicks zum Four-to-the-Floor-Beat und zu Handclaps so beiläufig fallen wie ein Taschentuch, das auf Satinbettwäsche landet.

Daft Punk hauchen Pop neues Leben ein, weil sie der Musik auch den Soul zurückgeben. Weil sie nie klingen, weil sie sich ihre Neugier, ihre Experimentierfreude erhalten haben. Das geht weiter mit dem Spoken Word-Intro von „Giorgio by Moroder“, bei dem der Südtiroler seine Lebensgeschichte erzählt, bis seine Worte von Bass, Drums und Synthesizer abgeholt und auf eine Reise mitgenommen werden, die neun fulminante Minuten dauert.

„The magic is right“

Selten wurde einem Helden unprätentiöser die Ehre erwiesen. Das nimmt seinen Höhepunkt bei „Get Lucky“, einem R&B-Schmachtfetzen mit den öligen Vocals von Pharrell Williams. Und mündet schließlich in den fetten Downlow-Basstrack „Doin’ it Right“ von Panda Bear, einziger digital eingespielter Track. „If you lose your way tonight / You know the magic is right“ singt Panda Bear. Vom Weg abzukommen, lohnt sich.

„Get Lucky“, am 29. April veröffentlicht, stellte als Song bei Spotify einen Streaming-Rekord auf. Derzeit steht er in drei Ländern an Nummer eins der Charts. Das wird mit „Random Access Memories“ ähnlich sein. Es geht also doch, Kommerz, der nicht nach Klimbim klingt.

Daft Punk: „Random Access Memories“ (Columbia/Sony)

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