Damaszener Gastfreundschaft: Kein Platz für Krieg

Syrische Geschwister kochen für ihre Münchner Freunde. Die Rezepte haben Mutter und Großmutter via WhatsApp aus Damaskus geschickt.

Taboulé, ein libanesischer Salat, adrett angerichtet

Tabouleh. Dieser „zitronige Salat“ schmeckt sogar den Kindern. Foto: imago/Westend61

Deema Al-Sayed schneidet einen Strauß Petersilie in millimeterfeine Streifen. Auf dem Küchentisch liegen Zitronenhälften, Knoblauchschalen. Sie schließt die Augen, lächelt. „Ich liebe diesen Geruch“, sagt sie. „Ich kann meine Mutter vor mir sehen.“ Sie könne viel schneller schneiden als sie, und viel feiner. „Zu Hause habe ich ihr oft dabei zugeschaut.“

Zu Hause, das ist weit weg, das ist die Wohnung der Eltern in der Nähe von Damaskus, in der die Mutter nun alleine lebt, seitdem ihre Kinder Deema und Taim es über die Balkanroute nach München geschafft haben. Sie 24, er 18. Weil sie sich um ihre Mutter sorgen, sind ihre Namen in diesem Text geändert.

Taim Al-Sayed rührt den Teig für Namoura, ein arabisches Dessert aus Joghurt und Kokosflocken. Es wird im Ofen gebacken und heißt übersetzt „Tigerin“. Er hat es nicht ganz leicht, weil Felix, der dreijährige Sohn unserer Freunde, fest entschlossen ist, ihm zu helfen. Überhaupt hat der kleine Junge seine Liebe zu dem jungen Syrer entdeckt, der ihn bei der Ankunft in der Wohnung ein paar Turnereien auf seinen Schultern machen ließ. Für den Rest des Abends reklamiert das Kind den dunkelhaarigen Mann für sich.

Bei einer Recherche habe ich die beiden Geschwister im August in einem Münchner Erstaufnahmezentrum kennengelernt. Seither treffen wir uns regelmäßig. An diesem Abend kochen wir das erste Mal gemeinsam. Ein befreundetes Ehepaar hat uns eingeladen, das in ihrer geräumigen Küche zu tun. Sechs Erwachsene und fünf Kinder freuen sich auf frisches Taboulé, auf Hackfleisch mit Reis und Erbsen, auf Knoblauch-Joghurt-Soße und ebendas geheimnisvolle Namoura, das keiner von uns Hiesigen schon mal gegessen hat. Alle Zutaten haben die beiden Geschwister selbst in München besorgt, die getrocknete Minze und den Bulgur haben sie bei einem Händler in der „arabischen Straße“ am Hauptbahnhof gefunden. So nennen die Flüchtlinge hier die Schillerstraße, die voller orientalischer Lebensmittelläden ist.

1,5 Tassen Wasser

5 Eier

1 abgeriebene Zitronenschale

1,5 Teelöffel echte Vanille

2 Tassen Zucker

1 Tasse Kokosflocken

2 Tassen Weizengrieß

1 Tasse Joghurt

1 Teelöffel TrockenhefeWasser und eine Tasse Zucker zusammen aufkochen, erkalten lassen, aufheben für später. Restliche Zutaten zusammenrühren, in eine dicht schließende, eingefettete Springform oder eine andere flache Kuchenform einfüllen. Je nach Ofen bei 180 bis 200 Grad backen, bis die Masse durchgehend fest ist. Mit einer Gabel oder einem Holzstäbchen testen. Die fertige Namoura mit dem Zuckerwasser tränken.

Ein geheimnisvolles Dessert

Deema braucht einen großen Topf für den Reis. Der größte im Haushalt fasst knapp 10 Liter. Sie lacht. „So einer gilt bei uns gerade mal als mittelgroß. In Syrien haben wir oft viele Gäste, manchmal durfte ich bis zu 15 Freundinnen nach Hause einladen.“ In einer Pfanne wendet sie jetzt Cashewkerne und Haselnüsse in heißem Öl. Eine schwarze Locke löst sich aus ihrem aufgesteckten Haar und fällt ihr ins gebräunte Gesicht. Der weiße Streifen Haut, der im August noch rund um ihr Gesicht sichtbar war, ist verschwunden. Gleich in Griechenland hat sie damals ihr Kopftuch abgelegt.

„Meine Großmutter hat geschrieben, wir sollen ihr keine Schande machen.“

Taim kauert vor dem Backofen und beobachtet sein Dessert, das beim Backen beginnt, sich asymmetrisch zu wölben. „Meine Großmutter hat geschrieben, wir sollen ihr keine Schande machen.“ Die Rezepte haben die beiden sich aus Damaskus schicken lassen, von Mutter und Großmutter per WhatsApp.

Deema füllt den dampfenden Erbsenreis in Schüsseln, bedeckt ihn mit Hackfleisch und den duftenden Nüssen, denn, so sagt sie: „Wenn man für Gäste kocht, versteckt man das Teure nicht, sondern legt es oben drauf, um seine Gastfreundschaft zu beweisen.“

Es ist ein Kampf um Begriffe und Erzählungen, global ausgefochten mit Kalaschnikows, Youtube und dem Koran. Was die Gelehrten der islamischen Welt dem „Islamischen Staat“ entgegensetzen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./ 22. November 2015. Außerdem: Wie geht das Leben in Paris nach den Anschlägen weiter? Und: „Eisbären sind einfach nicht hilfreich“, sagt Srđa Popović. Der Revolutionsberater im Gespräch über Strategien im Kampf gegen den Klimawandel. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wir anderen haben inzwischen den Tisch gedeckt, mit Messern und Gabeln. Ob sie vielleicht auch Löffel bekommen könnten, fragt Taim und erklärt: „In Syrien kommt immer alles so kleinteilig auf den Tisch, dass man es mit dem Löffel oder einem Stück Brot isst.“ Noch schnell ein Beweisfoto für Mutter und Großmutter. Dann ersetzt friedliches Kauen für die nächsten Minuten die Konversation. Den Kindern schmeckt sogar das Taboulé, das sie den „zitronigen Salat“ nennen.

Felix sitzt neben seinem neuen Freund und legt ihm zum Zeichen der Sympathie die Füße auf den Schoß. Deema wundert sich, dass auch unsere kleinen Kindern selbst die Gabel halten. „Bei uns füttert die Mutter ihre Kinder, bis sie vier sind. Wenn Gäste da sind, macht sie das sogar noch mit einem Sechsjährigen, damit die Kinder sich nicht bekleckern.“

Tirol ist orientalisch

Sehr erwachsen musste Deema dagegen mit 15 Jahren sein, als der ältere Bruder erkrankte. Da führte sie über Monate hinweg nach der Schule das Regiment in Haushalt und Küche und übernahm die Hausaufgabenkontrolle bei Taim.

Aber darüber reden wir an diesem Abend nicht viel. Auch nicht darüber, dass ihr Vater, ein Englischlehrer und Buchübersetzer, vom Assad-Regime gefoltert und ermordet wurde. Dass ein weiterer Bruder inhaftiert ist. Und dass Taim selbst Anfang des Jahres von Assad-Schergen auf offener Straße gepackt und für einen Monat ins Gefängnis gesteckt wurde, auf so engem Raum, dass er nur knien oder stehen konnte. Nein, der Krieg hat heute keinen Platz an unserem Tisch. Lieber erzählt Taim, dass sein Traum ist, hier Flugzeugbau zu studieren.

„Es ist so schön, in einer gemütlichen Küche zu sitzen“, sagt seine Schwester. Die Gemeinschaftsküche der Kaserne, in der sie untergebracht sind, sei wenig anheimelnd.

Taim stellt sein Kunstwerk auf den Tisch und öffnet die Springform – hurra, die noch warme, etwas wackelnde Namoura fällt nicht auseinander. Schnell, ein weiteres Foto, Mutter und Großmutter dürfen stolz sein.

Wir erklären den beiden Syrern, dass jemand, der in Deutschland einen Nachschlag angeboten bekommt, besser daran tut, gleich „Ja, gerne“ zu sagen, weil sonst ganz einfach die Schüsseln weggeräumt werden. Aber in Österreich laufe das anders, widerspricht unser Freund Robert, ein Tiroler. „Da muss man auch dreimal ablehnen, bevor man das nächste Stück Kuchen nimmt. In diesem Punkt sind wir eher orientalisch!“

Dass die beiden einheimischen Familienväter nach dem Essen ganz selbstverständlich beginnen, die Teller in die Spülmaschine zu räumen, beobachtet die junge Syrerin ganz genau. Dann sagt sie kichernd: „Also, ich glaub, ich such mir hier einen Ehemann.“

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