„Dantons Tod“ im Hamburger Thalia: Trommelduell mit Robespierre

Ist die Revolution möglich? Das fragt Jette Steckel in ihrer Inszenierung von „Dantons Tod“. An der Verneinung ist die Verdummung der Massen Schuld.

Die Schauspieler Jörg Pohl (l) als Danton und Mirco Kreibich als Camille im Hamburger Thalia Theater in „Dantons Tod“. Bild: dpa

Ein stilisierter Globus dominiert die Bühne des Hamburger Thalia Theaters. Untermalt von düster-psychedelischer Musik drehen die Akteure den etwa acht Meter hohen Erdball um die eigene Achse. Ist das ein Versprechen? Revolutionen bewegen die Welt? Die Umstürzler rennen, sie boxen gegen das riesige Gestell, schreien Parolen, es ist dunkel und neblig. Pulsierend spukhaft startet Jette Steckels Inszenierung von „Dantons Tod“.

Um die Erde rotiert eine Drehbühne. Das Drama, das damit endet, dass die Revolution ihre Kinder frisst, lässt Steckel auf dieser monumentalen Skulptur spielen. Der Äquator dient als zweite horizontale Bühne. Den Danton spielt Jörg Pohl. Schludrig trägt der Hedonist einen Pelz über dem Anzug. Nach einer kurzen Unterredung mit seinen Vasallen weiß Danton: Er wird sterben. Die Welt dreht sich, Szenenwechsel. Dantons Widersacher, Robespierre, hält einen Monolog über Moral und Macht. Daniel Lommatzsch mimt Robespierre als neurotischen Choleriker. „Die Waffe der Republik ist der Terror, die Kraft der Republik ist die Tugend!“, schreit der „unbestechliche“ Jakobiner. Bei Georg Büchner hieß „Terror“ noch „Schrecken“. Steckel adaptiert das Stück an unsere Zeit.

Die Erwartungen an die 30-jährige Regisseurin waren hoch. Steckel stammt aus einer Theaterdynastie und ist der neue Shootingstar der Bühnenwelt. Zudem läutete Claus Peymann im Januar das Theaterjahr in der Hauptstadt mit „Dantons Tod“ ein. Der Intendant des Berliner Ensembles hatte einen „Beitrag zu unserer politischen Gegenwart“ angekündigt und eine blamable Inszenierung geboten.

Drama der Gegenwart

Die Jakobiner in schwarzer, die Dantonisten in weißer Kleidung, sämtliche Schauspieler mit geweißtem Gesicht – nach Arabischem Frühling und Occupy sah sich der alte Theatermann wohl in der Pflicht, das Drama der Französischen Revolution aus der Schublade zu holen. Doch die politische Gegenwart wird in seiner Inszenierung nicht gestreift. Die junge Regisseurin holt Peymanns Versprechen in Hamburg nach.

Dantons Getreuer, Camille, zählt die Schandtaten des aktuellen Kapitalismus auf. „Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind am Hungertod.“ Mirco Kreibich steht als Camille am Rednerpult. Die Kälte des Systems ergreife auch die Kultur, kritisiert er. Im Theater würde man den Protagonisten die Gesichter weiß färben und sie dann seelenlos schauspielern lassen. Ein Seitenhieb nach Berlin? Der junge Revolutionär wird von seiner Frau Lucile (Lisa Hagmeister) enttarnt: „Sie spielen ja auch nur Theater.“ Die Welt in Agonie.

Die Lähmung der Masse

Steckel macht deutlich: Revolution ist zwar Klassenkampf – solange aber die soziale Frage ungeklärt bleibt, reproduziert sich der Determinismus der Ungleichheit. Die einfachen Bürger der Straße inszeniert die Regisseurin klamaukig, mürrisch und wankelmütig. Sie sind die Masse, sie könnten das System stürzen, sie tun es nicht. Die Lähmung und die Verdummung der Massen macht das Scheitern der Revolution unausweichlich – dieser Fatalismus der bürgerlichen Revolution ist so klar vorgezeichnet wie Dantons Tod.

Im Zentrum der Inszenierung steht ein Zweikampf: Danton und sein Antipode Robespierre duellieren sich, verbal und musikalisch. Auf zwei Schlagzeugen ballern die beiden Hauptdarsteller gegeneinander an. Sobald einer der Rivalen vor dem Konvent spricht, trommelt der andere dagegen – typisch männliches Konkurrenzgehabe. Die Hassliebe der zwei Revolutionsführer bleibt privat. Die Politik machen ihre Stellvertreter.

Karin Neuhäuser hat eine Doppelrolle, einmal als der eiskalte Gefährte Robespierres, Saint-Just, und als dessen amoralischer Gegenpol, Marion. Die Weltkugel dreht sich und neben Danton sitzt eine riesenhafte, nackte, korpulente Frau. „Ich kenne keinen Absatz, keine Veränderung. Ich bin immer nur eins. Ein unterbrochnes Sehnen und Fassen, eine Glut, ein Strom“, sagt die Hure Marion. Sie spricht aus, was das ganze Stück durchtränkt: das Immergleiche der unerfüllten Hoffnungen. Marions Körper ist eine etwa vier Meter große Plastik, der Neuhäuser ihren Kopf geliehen hat. Das Freudenmädchen wird unübersehbar zu einer symbolischen Chiffre. „Das Leben ist eine Hure“, sagt Dantons Frau Julie. Bevor die Dantonisten an ihren Fesseln gehängt werden, wiederholt Camille diesen Satz – der bei Büchner so nicht vorkommt. Es klingt nach: „Capitalism is a bitch.“

Bei Steckels Premiere am Samstag gab es unüberhörbare Buhrufe, die im anhaltenden Applaus untergingen – ungewöhnlich emotional für Hamburger Verhältnisse.

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