Danzig-Besuch: Schalom, Günter Grass!

Mit einer dreitägigen Geburtstagsfeier schließt die Stadt Danzig den verloren geglaubten Sohn wieder in die Arme.

Nach Kontroversen nun wieder herzlich empfangen - Jubilar Grass. Bild: ap

Eine solche Schabbatfeier hatte die jüdische Gemeinde in Danzig noch nicht erlebt. Zu Gast waren Günter Grass, seine Frau Ute und seine Schwester Waltraut. Drei Tage lang feierte die polnische Ostseestadt den vor 80 Jahren in Danzig geborenen Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger. Von Jubel, Trubel, Heiterkeit waren die Konzerte, Theateraufführungen und Lesungen aus der Autobiografie Grass "Beim Häuten der Zwiebel" allerdings weit entfernt. Vielmehr prägte eine leichte Melancholie die Stimmung, aber auch die Großherzigkeit des Vergebens: Das polnische Danzig schloss seinen verloren geglaubten Sohn wieder in die Arme.

"Schalom, Günter Grass", begrüßte Michal Samet, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Danzig, den einstigen "Nachbarn aus dem Labesweg". Vor 80 Jahren, am 29. September 1927, hätten die Danziger Juden die Neue Synagoge in Langfuhr eingeweiht, und ebenfalls vor 80 Jahren, am 16. Oktober 1927, sei Günter Grass zur Welt gekommen, nur wenige Straßen von der Synagoge entfernt. Grass habe in seinem Buch "Aus dem Tagebuch einer Schnecke" dieser Gemeinde ein literarisches Denkmal gesetzt. "Für uns ist es wichtig", las Mieczyslaw Abramowicz die offizielle Begrüßung in deutscher Sprache vor, "dass der bedeutendste Danziger Dichter dieses für uns so wichtige Einweihungs-Jubiläum der Neuen Synagoge mit uns gemeinsam begehen kann." Denn dass ein deutscher Dichter in der polnischen Synagoge in Danzig gemeinsam mit den Juden den Schabbat feiere, sei ein gutes Zeichen für alle, die eine gemeinssame Zukunft bauen wollen - über alle Unterschiede und schmerzlichen Erfahrungen der Vergangenheit hinweg. "Seien Sie uns herzlich willkommen in der Neuen Synagoge, Günter Grass. Schabbat Schalom!"

Grass in den Gassen seiner Heimatstadt Danzig. Bild: dpa

Vor einem Jahr hatte das Bekenntnis von Grass, in den letzten Kriegsmonaten 1945 der Waffen-SS angehört zu haben, einen Aufruhr in Polen ausgelöst. War man einem Lügner aufgesessen? Hatte man über die Jahre hin einen Altnazi als Freund Polens willkommen geheißen? Bis heute haben viele Polen Günter Grass das lange Schweigen nicht verziehen. Politiker der regierenden Recht und Gerechtigkeit (PiS) heizen die im Untergrund schwelende Stimmung weiter an. In Polen ist Wahlkampf. Vor zwei Jahren stach die antideutsche Karte bereits einmal, und die national-konservative Partei von Jaroslaw Kaczynski gewann die Wahlen. Doch an der Protestaktion der PiS-Politiker vor der Polnischen Post, die 1939 heldenhaft gegen die Nazis verteidigt worden war und bis heute für Polen große symbolische Bedeutung hat, gingen die Passanten kopfschüttelnd vorbei.

Nach einem offenen und ehrlich klingenden Briefwechsel zwischen dem Danziger Oberbürgermeister Pawel Adamowicz und Günter Grass über dessen SS-Vergangenheit stimmten die Danziger in einem Referendum dafür, Grass als Ehrenbürger zu behalten. In der großen Debatte über die "Zukunft des deutsch-polnischen Gedächtnisses für ein gemeinsames Europa" mit Exbundespräsident Richard von Weizsäcker, Günter Grass und dem ehemaligen Außenminister Polens Stefan Meller sagte schließlich auch Lech Walesa: "Der Krieg ist vorbei. Jetzt darf uns die Erinnerung daran nicht auch noch die Zukunft zerstören. Es liegt an uns, etwas Neues aufzubauen. Gemeinsam. Nur so geht es."

Für Premier Jaroslaw Kaczynski grenzt diese Offenheit und Toleranz der polnischen Danziger, die zum größten Teil Vertriebene aus Ostpolen und dem von den Nazis zerstörten Warschau sind, fast schon an Landesverrat. In einem Interview warf er kürzlich Donald Tusk, dem Parteivorsitzenden der Liberalen, vor, von den Deutschen intellektuell fasziniert zu sein. Vor zwei Jahren hatte ein PiS-Politiker das Buch Donald Tusks "Einst in Danzig" in die Kameras gehalten und vom Großvater Tusks erzählt, der angeblich freiwillig Dienst in der Wehrmacht geleistet und im Zweiten Weltkrieg gegen Polen gekämpft habe. Tusk verlor daraufhin die Präsidentschaftswahlen.

Auch die jüdische Gemeinde in Danzig diskutierte lange, bevor sie Grass das lange Schweigen über seine Vergangenheit vergab. Auf den festlich gedeckten Tischen des Schabbat-Abendessens lag ein kleines Jubiläums-Heft: "80 Jahre Neue Synagoge in Danzig-Langfuhr 1927-2007". Darin auch ein großes Kapitel über die "Danziger Juden in den Büchern von Günter Grass", Bilder aus Archiven und ein Text über die Bedeutung des Simchat-Thora-Festes, an dem gläubige Juden in aller Welt mit der Thora im Arm tanzen und der ein Jahr dauernde Vorlesezyklus von vorne beginnt.

"Für mich schließt sich hier in der Neuen Synagoge ein wichtiger Kreis meines Lebens", sagte Grass gerührt. Als Kind habe er gesehen, wie in der Kristallnacht 1938 SA-Männer die Neue Synagoge abfackeln wollten. Später habe er in Israel Erwin Lichtenstein kennengelernt, den letzten Rechtsbeistand der Danziger deutsch-jüdischen Gemeinde. Lichtenstein habe ihm Dokumente zugänglich gemacht, die ihm erst das Schreiben des "Tagebuches einer Schnecke" ermöglicht hätten. "Dass ich heute hier mit Ihnen zusammen sein darf, dass wir gemeinsam Schabbat feiern, ich mit meinen 80 Jahren und die Synagoge mit ihren 80 Jahren, bedeutet mir unendlich viel."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.