Darstellerin und Dozentin Iris Schumacher über Musicals: „Talent ist, was die Zuschauer berührt“

Kein Wochenende, keine Sicherheit – wer in Musicals mitspielt, muss Opfer bringen. Es gibt einen Grund, warum der Job trotzdem so begehrt ist.

Singen und Spielen: Nur eins von beidem wäre Iris Schumacher zu langweilig. Bild: Miguel Ferraz

taz: Frau Schumacher, angenommen ich bin ausgebildeter Musical-Darsteller und will eine mittelgroße Rolle in der nächsten Hamburger Großproduktion – wie gehe ich vor?

Iris Schumacher: Eine mittelgroße Rolle? Sehr bescheiden.

Ich fange also eine Nummer kleiner an?

Nein, wenn man der Richtige ist für die Rolle, kann man auch mit seinem ersten Engagement nach der Schule eine Hauptrolle ergattern. Wenn alles passt: Wenn man die richtige Nase hat, die richtige Stimme hat, das richtige Aussehen, das richtige Schauspieltalent. Manchmal muss man steppen können oder fechten. Je nachdem, was die Rolle verlangt.

Wie geht der Weg – über ein Casting?

„Audition“ heißt das beim Musical. Bei den großen Produktionen bewirbt man sich schriftlich um eine Audition und wird dann gegebenenfalls eingeladen. Dann gibt es eine erste Runde und wenn man die schafft, rufen sie einen an und sagen: Du bist im Call-Back. Man kommt noch mal, manchmal in einer anderen Stadt. Da sitzen dann der Regisseur, der musikalische Leiter, der Theaterleiter, der Casting-Direktor und die Kreativen aus England oder Amerika. Wenn man da auch in allen Bereichen überzeugt hat, ist man mit viel Glück in den Finals.

Und dann?

Kann es sein, dass man einen Anruf kriegt: Du bist die Erstbesetzung. Oder die Zweitbesetzung. Danach kommen die Verhandlungen. Und irgendwann hat man hoffentlich einen Vertrag. Der ist dann immer befristet. Meistens ein Jahr plus 4 bis 8 Wochen Probenzeit.

48, kommt aus Hamburg, wo sie an der Stage School zur Musical-Darstellerin ausgebildet wurde. Es folgten Engagements in Hamburg, Lübeck, Castrop-Rauxel, Dessau und Düsseldorf, unter anderem in "Titanic", "Mamma Mia!" und "Kein Pardon". Derzeit arbeitet sie als Dozentin an der Stage School und bei "Das Wunder von Bern" in Hamburg, wo sie die in der Show auftretenden Kinder betreut.

Wie viele Leute muss man bis dahin aus dem Feld schlagen?

Kommt drauf an. Wenn man Anfang, Mitte 20 ist, ist die Konkurrenz riesig. Da sind Hunderte Leute und weil es in diesem Beruf mehr Frauen gibt, ist der Konkurrenzkampf um weibliche Rollen noch größer als um männliche. Wenn man in mein Alter kommt, sind es weniger Bewerber – aber es gibt auch weniger Rollen.

Wie wichtig ist die Ausbildung?

Ausbildung ist schon gut. Aber es ist immer das, was der Einzelne daraus macht. Ob er eine Intelligenz für den Beruf mitbringt. Der künstlerische Beruf ist schwierig zu fassen: Was ist Talent? Talent ist das, was mich berührt und in die Geschichte hineinzieht.

Wenn das Talent stimmt: Welche Eigenschaften braucht man sonst noch, um in diesem Beruf erfolgreich zu sein?

Du musst hart im Nehmen sein: Auf einen Job kommen 15 bis 20 Absagen. Man gibt ja immer sein Herzblut bei so einer Audition, da sind Absagen schon hart. Obwohl es oft Gründe sind, für die ein Darsteller nichts kann. Wenn die sich eine kleine Mollige vorstellen, dann hast du als große Dünne keine Chance.

Welche Rolle spielen Kontakte?

Sind schon gut. Ich habe „Kein Pardon“ in Düsseldorf gespielt, das hat Thomas Hermanns geschrieben. Den kenne ich sehr lange. Als er eine erste öffentliche Lesung des Stückes gemacht hat, da hat er an mich gedacht. Wenn man lange dabei ist, kennt man viele Leute. Das muss man sich als junger Mensch alles erst aufbauen.

Mal zusammengefasst: viel Konkurrenz, befristete Verträge, viele Absagen, ständige Umzüge…

…und kein Wochenende. Bei den großen Produktionen hat man am Wochenende vier Vorstellungen. Es gibt keine Zeit für Privatleben. Das ist ein großes Opfer.

Und warum sind so viele Leute so scharf auf diesen Job?

Weil sie den Hunger haben, auf der Bühne zu stehen. Weil sie singen, tanzen und spielen wollen. Bei mir war es so: Ich konnte mir nichts anderes vorstellen. Ich wollte nur das. Dafür habe ich alles andere in Kauf genommen.

Will man dann nicht lieber an einem kleinen Stadttheater landen?

Stadttheater ist super. Ich habe 2000 in Lübeck „Tommy“ gespielt. Das war total schön, aber es war auch nur eine Spielzeit, weil dann der Intendant in Pension ging und der nächste Intendant gesagt hat: „Tommy“ passt nicht in meinen Spielplan. In Dessau auch: „On the town“ war ein tolles Stück, lief aber nur eine Saison.

Warum muss es Musical sein?

Weil man singen will. Das ist für mich das Wichtige. Singen und spielen.

Sie könnten auch mit einer Band auftreten.

Aber da kann ich keine durchgängige Geschichte erzählen. Und auch nicht so spielen. Singen und Spielen. Diese Kombination finde ich spannend. Deswegen unterrichte ich auch so gern Liedinterpretation, weil es Schauspiel innerhalb der Songs ist.

Wäre Oper eine Alternative?

Ich habe in der Oper als Kind gesungen. Das fand ich auch immer toll. Aber dieses Immer-in-einer-anderen-Sprache-Singen war nicht meins. Damals haben sich die Sänger auch nicht viel bewegt, sondern standen steif auf der Bühne. Das hat mich dann letztendlich nicht so interessiert.

Was hat mehr Glamour – Oper oder Musical?

Das ist auch eine Generationsfrage. Wie viele junge Leute gehen in die Oper und zelebrieren das?

Wenige.

Wenn man an die alten Stars wie Pavarotti oder Placido Domingo denkt, dann hat die Oper etwas ganz Glamouröses und Hehres. Das ist alles so over the top. Aber aus Sicht der Beteiligten ist es letztendlich ein Job. Wenn man als Darsteller Glamour will, dann muss man versuchen, zum Film zu gehen.

Weil man als Musical-Darsteller letztlich unbekannt bleibt?

Wenn man ein Star werden will, ist man beim Musical falsch aufgehoben. Es gibt zwar innerhalb der Szene ein paar Stars, aber außerhalb sind auch die nicht bekannt. Letztlich ist es ein harter Job, der viel Spaß macht. Glamour gibt’s bei der Premiere, und dann war’s das.

Was wird aus den Leuten, wenn sie älter werden und nicht mehr gefragt werden – oder nicht mehr wollen?

Keine Ahnung. Ein Kollege vom Londoner Westend hat ein Hotel aufgemacht mit seinem Freund zusammen – ein kleines Bed and Breakfast an der Küste. Ich kenne einige, die sagen: Jetzt will ich das nicht mehr. Die Rollen werden rarer, je älter man wird. Man muss sich Standbeine schaffen. Ich zum Beispiel habe auch viel Musicals übersetzt und unterrichte jetzt an der Stage School.

Wie bewahrt man sich die Lust, wenn man drei Jahre jeden Abend die gleiche Show spielt?

Das ist manchmal schwer. Ich habe viereinhalb Jahre „Mamma Mia“ gespielt und natürlich gibt es Vorstellungen, bei denen man nicht gut drauf ist, weil privat etwas ist. Es gibt aber auch Vorstellungen, wo man auch nach vier Jahren plötzlich eine neue Facette entdeckt an der Rolle. Nach diesen Sachen zu graben, hält es lebendig. Und die Musik reißt mich immer wieder mit.

Was war Ihr Schlüsselerlebnis für die Entscheidung, zum Musical zu gehen?

Die erste Bühnenluft habe ich im Kinderchor der Hamburger Oper geschnuppert. 1985 war ich kurz vorm Abi und habe einen Musical-Workshop in Hamburg gemacht, da hat sich für mich die Musical-Welt eröffnet. 1988 habe ich dann noch mal einen Workshop gemacht. Das war an der Stage School und da haben sie mich gefragt, ob ich Lust hätte, eine Aufnahmeprüfung zu machen.

Haben wir ausreichend attraktive Musical-Stoffe in Deutschland?

Ich bin guten Mutes, dass es immer mehr geben wird und nicht nur die alten Kamellen gemacht werden. Natürlich wird es immer die Disney-Musicals geben, die haben ja auch ihre Berechtigung, aber ich freue mich auf viele neue deutsche Stoffe wie „Das Wunder von Bern“ oder „Kein Pardon“.

Was läuft in Amerika anders als in Deutschland?

Das Musical ist tief in der Kultur der Amerikaner verankert. Als ich 1991 mit Musicals angefangen habe, da gab es „Cats“ schon. Und da gab es „West Side Story“, „Starlight Express“ und „Anatevka“. Aber der Markt war ganz klein und in Deutschland gab es eher Operette und Oper. In Amerika machen sie in der Highschool schon Musical-Produktionen. Da können die Kinder schon alle Broadway-Hits mitsingen. Die gehen mit Musicals selbstverständlicher um. Die Selbstverständlichkeit gibt es hier noch nicht so.

Das mag auch an den Preisen liegen.

Ach, in New York gibt es Preise bis 350 Dollar. Die Amerikaner bezahlen das. Billiger ist es da nicht.

Warum ist die Hamburger Produktion „Rocky“ in New York gefloppt?

Keine Ahnung. Man kann es nie voraussagen, ob ein Stück Erfolg hat oder nicht. Wir wissen es einfach nicht.

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