Das Ende der Ära Berlusconi: Politik als Dauerwerbesendung
Zweiklassenjustiz, Klientelpolitik, Medienmonopol – das Erbe des Cavaliere. Was für ein Land hinterlässt Silvio Berlusconi nach beinahe 20 Jahren an der Macht?
ROM taz | Es war ein strahlender Mann, der am 27. Januar 1994 vor den Kameras der italienischen Fernsehsender saß. "Italien ist das Land, das ich liebe", verkündete er voller Pathos - und dass er beschlossen habe, "aus dem Schützengraben der Arbeit zu steigen", um sich, den Medienunternehmer, als Politiker neu zu erfinden. Als Politiker, der "die Kommunisten" an der Machtübernahme hindern und den Italienern stattdessen eine "liberale Revolution" bescheren wolle.
Nun, knapp 18 Jahre später, steht Silvio Berlusconi vor dem Abgang. Aber steht auch Italien vor dem Ende der "Ära Berlusconi", wie die Zeit seit 1994 mittlerweile quer durch alle politischen Lager ganz selbstverständlich genannt wird?
Wenig ist geblieben von den vollmundigen Wahlversprechen, die Berlusconi immer wieder gemacht hatte. Etwa bei seinem berühmten Auftritt vor einer Stelltafel im Fernsehstudio: Auf einer Italienkarte zeichnete er geschwind Dutzende neue Autobahnen, Hochgeschwindigkeitseisenbahntrassen und zur Krönung noch die Brücke von Messina ein. So gut wie nichts davon wurde in den nachfolgenden Jahren realisiert - und das gigantische Brückenprojekt wurde vor wenigen Wochen endgültig zu Grabe getragen.
Verächter wundern sich nicht darüber. Berlusconi sei es immer nur um die eigenen Interessen gegangen, behaupten sie. Die Justiz zum Beispiel wollte der in zahlreichen Prozessen Angeklagte "radikal reformieren"; übrig blieben einige Dutzend auf seine Person zugeschnittene Gesetze, die ihm immer wieder Straffreiheit sicherten: durch die Verkürzung von Verjährungsfristen, die Herabstufung der Bilanzfälschung vom Verbrechen zur Ordnungswidrigkeit und allerlei andere Tricks.
Die Stimme des Herrn
Folgenlos allerdings waren diese Gesetze keineswegs. Sie lähmten die sowieso schon extrem langsam arbeitende italienische Gerichtsmaschinerie noch mehr und schufen eine Zweiklassenjustiz, in der begüterte Angeklagte mit guten Anwälten auf Straffreiheit hoffen dürfen, auch wenn sie schwerer Verbrechen überführt sind.
Ähnlich emsig kümmerte sich Berlusconi um die Medien. Unter seiner Regentschaft entstand ein Rundfunkgesetz, das der jeweiligen Regierung den direkten Zugriff auf den staatlichen Fernsehsender RAI gewährt. Die Folgen sind heute zu besichtigen, zum Beispiel in der Hauptnachrichtensendung von RAI 1. Dort macht der von Berlusconi persönlich ausgewählte Chefredakteur Augusto Minzolini als Stimme seines Herrn ungeniert Propagandafernsehen. Gut möglich, dass auch Minzolini bald gehen muss. Doch die Versuchung, willfährige Senderchefs zu bestellen, wird für neue Regierungen bleiben.
Bleiben wird vorerst auch die Vormachtstellung des Berlusconi-Konzerns Mediaset in den Medienlandschaft: Dank der auf ihn zugeschnittenen Gesetze kassiert das Unternehmen 65 Prozent aller Werbeeinnahmen im Land.
Und wenn gerade auf dem Feld der Wirtschafts- und Finanzpolitik die "liberale Revolution" weitgehend ausfiel, hinterlässt Berlusconi auch hier Spuren. "Nur zwei Steuersätze auf die Einkommen" wünschte er sich. Und er verkündete, ein Staat, der von einem Bürger mehr als 33 Prozent Steuern verlange, sei einfach "unmoralisch". Am Ende blieb nur die Abschaffung der Grundsteuer aufs selbst bewohnte Eigenheim.
Plebiszite statt Verfassung
Energischer dagegen war Berlusconi als Verhinderer von Liberalisierung, als entschlossener Verteidiger von Ständegruppen wie Ärzten, Apothekern, Rechtsanwälten, Notaren oder Taxifahrern. All jene Liberalisierungen, die die linke Regierung Romano Prodi in den Jahren 2006 bis 2008 für gering verdienende Berufsgruppen eingeführt hatte, machte Berlusconi nach Wiedererlangung der Macht wieder rückgängig. Ein Land der Korporationen, in dem gesellschaftliche Solidarität eigentlich ein Unwert ist - an diesem Problem dürfen sich seine Nachfolger abarbeiten.
Am stärksten wohl aber hat Berlusconi die Politik verändert - ganz ohne die große Verfassungsreform mit Einführung eines Präsidialsystems, von der er träumte. Berlusconi verwandelte Italiens materielle Verfassung in ein kontinuierliches Plebiszit, das von der Polarisierung und der Dauerkonfrontation mit dem politischen Gegner lebte.
Und er verwandelte das Parteiensystem radikal, indem er eine allein auf seine Person zugeschnittene Partei schuf. Viele seiner Konkurrenten auch aus der Opposition taten es ihm nach. Egal ob der ehemalige Staatsanwalt Antonio Di Pietro oder der Christdemokrat Pier Ferdinando Casini, sie alle ließen es sich nicht nehmen, es Berlusconi gleichzutun und ihren eigenen Namen ins Parteisymbol zu schreiben.
So weit geht die neue Partei "Linke - Ökologie - Freiheit" nicht - doch auch ihr Erfolg beruht vor allem darauf, dass sie mit Nichi Vendola einen charismatischen Anführer gefunden hat. Und die größte Oppositionskraft, die gemäßigt linke Partito Democratico (PD), versuchte das Manko gegenüber Berlusconi dadurch auszugleichen, dass sie in den letzten Jahren bei der Auswahl von Spitzenkandidaten und Parteichefs auf "primaries" setzte - so sollten ihre Frontmänner und -frauen ebenfalls plebiszitär mit einer starken Legitimation ausgestattet werden.
Die Opposition macht sich bereit
In den Reihen des PD läuft sich jetzt - Ironie der Geschichte - einer warm, der ganz genauso wie Berlusconi "Klartext" redet, der markige Sprüche liebt, der sich als "Verschrotter" der "alten Politik" geriert, der sogar bei Berlusconis Tochter Gefallen fand, als er zum Abendessen beim Regierungschef zu Gast war: der erst 36-jährige Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi. Renzi werden beste Chancen eingeräumt. Der Opposition gilt er als Wunderwaffe gegen das Berlusconi-Lager, den anderen als der neue "linke Berlusconi".
So könnte der politische Erbe Berlusconis ausgerechnet von links kommen. Denn seine eigene Partei Popolo della Libertà (PdL, Volk der Freiheit) hatte Berlusconi immer nur als Verein unterwürfiger Vollstrecker und Vasallen organisiert; als Verein von Befehlsempfängern, die ausschließlich von der Gnade ihres Meisters lebten, dem allein die Bewunderung der Massen galt, während den übrigen Funktionären der Partei jeder Charme abging.
Kaum vorstellbar erscheint deshalb, dass der jetzt vom scheidenden Ministerpräsidenten zum Kronprinz auserkorene Angelino Alfano auch nur minimale Chancen hat, demnächst Regierungschef zu werden. Bis zum Juli 2011 war der 41-Jährige Justizminister, dann berief Berlusconi seinen treuen Vasallen zum Generalsekretär des PdL. Die Opposition wird ihn unter keinen Umständen als Regierungschef akzeptieren - und dass Alfano die nächste Wahl gewinnen könnte, halten Beobachter für ausgeschlossen.
Egal ob ein "Berlusconi von links" oder ein Westentaschen-Berlusconi von rechts: Wer immer die Nachfolge des Originals antreten wird, wird sich wohl exklusiv mit dem schwersten Erbe herumschlagen müssen, das der "Ausnahmepolitiker", der er seiner eigenen Einschätzung nach war, hinterlässt: Jahrelang leugnete der Regierungschef die Krise, noch in der vergangenen Woche befand er, es sei alles in Ordnung, schließlich seien "Restaurants und Flugzeuge immer vollbesetzt", und immer wieder betete er sein Mantra herunter, nie werde die Regierung "die Hände in die Taschen der Italiener stecken".
Mit dieser Haltung führte Berlusconi das Land in die wohl schwerste Krise der Nachkriegszeit - und seine Nachfolger müssen jetzt jene drakonischen Maßnahmen verabschieden, die vor wenigen Wochen womöglich noch vermeidbar gewesen wären.
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